Glück in Salzburg. Hannelore Mezei

Glück in Salzburg - Hannelore Mezei


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an diesem Tag, mit ein paar Schäfchenwolken. Er freut sich, sein altes Büro zurückzuhaben und wieder in seinem Luxusschrebergartenhaus am Küniglberg zu wohnen. Der Besitzer will erst in einem Jahr nach Wien kommen, bis dahin muss Martin sich eine neue Bleibe suchen. Am liebsten hätte er was mit Grün, Gärtnern ist ein schöner Ausgleich zum Schreibtischjob. Und er läuft lieber durch Parks als in der lauten Innenstadt. Seit April alles wachsen und blühen zu sehen, stimmt ihn heiter bis beinah zufrieden.

      Schön wärʼs noch, denkt er, wenn er jetzt zum Kollegen Fassl gehen könnte, um mit ihm über die Anabolikafälle zu reden. Die zwei Toten, die in einem Fitnessstudio im 9. Bezirk eingeschrieben waren, die einzige Gemeinsamkeit, die er bisher feststellen konnte. Drei Monate ist es jetzt her, dass Franz Fassbinder, alias Fassl, sich auf eine Stelle in Salzburg beworben hatte und prompt versetzt wurde. Und Martin vermisst ihn, weil Franz der Einzige im Präsidium war, mit dem er wirklich reden konnte. Und lachen. Über die Arbeit. Frauen. Politik. Das Leben im Allgemeinen und im Besonderen. Franz, der immer gut drauf war, selbst als er mit eiserner Disziplin zehn Kilo abnahm. Fitness plus Diät, und der Grund war ein schönes Mädchen, das sich auf Franz einließ und ihn dann verließ, als er für sie erschlankt war. Er sei einfach zu nett, das waren ihre Abschiedsworte. Wie können Frauen so was nur denken, geschweige denn sagen?

      Ich steh auf nette Frauen, überlegt Martin, während er aufräumt, das gekippte Fenster zumacht, seine Waffe im Schreibtisch einschließt. Doch er hat keine mehr getroffen, seit er wieder in Wien ist. Gigi aus Graz war die letzte Liebe, vielmehr eine Liebelei, mehr wollten sie ja nicht voneinander. Und Lily, mit der es ernst hätte werden können, verschwand zu ihrem Ex-Mann, dem Vater ihrer Tochter, nach Italien. Sie wollte es noch einmal versuchen, und irgendwie wünscht er ihr auch, dass es gut geht, obwohl es verdammt wehgetan hat damals. So viel Schmerz liegt in der Liebe. Vielleicht ganz gut, dass er eine Pause einlegt. Seine Fälle löst, den Garten bearbeitet, den Küniglberg rauf- und runterläuft, mit Bekannten was essen oder trinken geht, ab und zu in ein Jazzlokal oder ins Kino. Und natürlich seine Saxofonstunden nimmt. Kein aufregendes, aber ein angenehmes Leben, damit könnt er sich arrangieren. Doch der Franz fehlt ihm, und während er zur Tram geht, um in den 9. Bezirk zu kommen, fällt ihm ein, dass er den Fassl ja besuchen könnte. Eine Woche Salzburg, zuletzt war er als Kind da, und er erinnert sich vor allem an den Zwergerlgarten, die grotesken Marmorfiguren im Schlosspark Mirabell. Damals war Salzburg noch keine Event-Stadt, die von Touristenhorden heimgesucht wird. Und natürlich war Martin noch nie bei den Salzburger Festspielen, Pfingsten, Ostern oder Sommer. Jazz mag er schon, doch zu klassischer Musik fühlt er sich einfach nicht hingezogen. Der Vater war nur der Malerei verbunden, und die Mutter früher mehr der Operetten- und Schlagertyp. Doch nach dem Tod des Vaters hat sich Lotte neu erfunden. Hat das Alte abgestreift und sich in unbekannte Abenteuer gestürzt. Jetzt wohnt sie in einer Wohngemeinschaft, hängt den halben Tag am Computer, hört Musik aus den Siebzigern und trägt Hippiegewänder, die an einer Fünfundsiebzigjährigen ganz schön retro ausschauen. Lotte kifft auch gelegentlich und ist angeblich Vegetarierin geworden – mit regelmäßigen Rückfällen, wenn sie an einem erstklassigen Würstelstand nicht vorbeigehen kann. Na Hauptsach, sie ist glücklich, denkt Martin, inzwischen in der Tram, die in Wien auch Bim heißt.

      Das Fitnessstudio, dessen Mitgliedsausweise in den Portemonnaies der Toten waren, liegt im 9. Bezirk, der inzwischen ein Szeneviertel ist, erkennbar an den vielen kleinen Läden und Restaurants und Bars und alten Häusern, die renoviert und ausgebaut wurden. Die Stadt verändert sich jeden Tag, und immer wieder wundert er sich, wie Wien es schafft, seinen Mythos als lebenswerteste Stadt der Welt zu bewahren. Grad weil man nirgendwo einen Parkplatz bekommt, der Verkehr in jedem Jahr grauslicher wird und Horden von Touristen die Innenstadt zertrampeln.

      Das Servitenviertel ist – noch – weitgehend verschont von Wien-Reisenden, und in einer kleinen Querstraße der Servitengasse findet Martin das Studio in einem alten Lagerhaus, das frisch gestrichen wurde, eidottergelb. »Your Workout« steht auf einem blauen Schild in gelber Schrift. Alles sieht neu aus, wie geschaffen für die Hippster, die da kommen werden. Er geht durch die Drehtür und wird von einem jungen Mann gestoppt, der eine entfernte Ähnlichkeit mit dem jungen Arnold Schwarzenegger aufweist.

      »Suchst du was, kann ich helfen?«

      So, wie er sich vor Martin aufgebaut hat, scheint ein Durchkommen ohne Antwort unmöglich. »Sicher, ich such den Besitzer oder Geschäftsführer … Wer grad da ist …«

      Der Möchtegern-Arnie lächelt immer noch freundlich. »Na, da hast du Glück, er steht vor dir: Andy Hubmann, Manager … Willst Mitglied werden?«

      Du könntest schon mehr Muskeln vertragen, sagt sein Blick, doch Martin ist nicht dieser Meinung. Ein Muskelprotz wollte er nie sein. Na ja, vielleicht signifikantere Bauchmuskeln …

      Er zückt seinen Polizeiausweis, und das Lächeln verschwindet aus Andys Gesicht, weicht einem Ausdruck zwischen Angst und Aggression.

      »Können wir irgendwo in Ruhe reden?«, fragt Martin.

      Andy weist schweigend auf eine Tür, auf der in großen Lettern »Management« geschrieben ist. Martin folgt ihm. Hinter der Tür findet sich ein fensterloses Zimmer im Kleinformat. Ein Schreibtisch, zwei Stühle, ein schmaler Aktenschrank. Computer, Drucker, Telefon. Auffallend ist eine Blumenvase mit roten Rosen, sie sind schon ein wenig verwelkt. Andy ist Martins Blick gefolgt: »Die sind von meiner Freundin, ich hatte vor drei Tagen Geburtstag. Ist alles noch provisorisch hier, wir haben erst seit vier Monaten auf.« Er wechselt vom Du zum Sie: »Was führt Sie her, Herr Kommissar?«

      »Chefinspektor«, sagt Martin, »aber das ist nicht so wichtig. Ich komme wegen einem Ihrer Kunden: Matthias Gruber. Er liegt im Krankenhaus. Nierenversagen. Dieser Matthias erzählte dem behandelnden Arzt, dass er Testosteron Enanthat geschluckt hat seit vier Wochen. Und dass er die Anabolika bei Ihnen gekauft hat, Herr Hubmann. Das sind illegale Substanzen, die dem Arzneimittelgesetz unterliegen. Aber das wissen Sie sicher.«

      »Der lügt doch«, sagt Hubmann.

      Alle lügen, denkt Martin. Ich hab jetzt auch gelogen, aber es dient einem guten Zweck – der Wahrheit. »Wenn man so kurz davor ist, a Bankerl zu reißn, Herr Hubmann, dann lügt man nicht mehr. Also: Woher haben Sie die Anabolika, und wer von Ihren Kunden hat sie von Ihnen bezogen? Um eine Anzeige werden Sie nicht herumkommen, aber wenn Sie hier und jetzt ein Geständnis ablegen, wird sich das sicher sehr günstig auswirken.«

      Sein Gegenüber hat den Kopf in die Hände gestützt. Er hat einen Stiernacken, denkt Martin, wahrscheinlich nimmt er das Zeug selber. »Wenn ich jetzt mein Studio verliere … Mein ganzes Geld steckt da drin.«

      Jetzt tut er ihm fast schon leid. Martins Stimme kann sehr sanft werden. »Wahrscheinlich gibtʼs ja nur ein Bußgeld … und es geht doch darum, Schlimmeres zu verhüten. Was, wenn einer stirbt? Womöglich sind die Tabletten überdosiert oder verunreinigt oder was weiß ich … Wollen S’ vielleicht eine Anklage wegen Totschlags riskieren?«

      ***

      Jeder gute Anwalt wird das Geständnis in der Luft zerreißen, das weiß Martin auch. Doch seine Notlüge hat Andy Hubmann immerhin dazu gebracht, ihm eine Briefkastenadresse in Salzburg zu verraten, bei der er die Anabolika bestellt hat. Den Tipp hatte er angeblich von einem Kollegen, einem Ukrainer, der inzwischen zurück in die Heimat gegangen ist. Hubmann hat ihm auch eine Liste seiner Anabolikakunden im Fitnessclub gegeben, vierzehn sind es, zwei davon sind jetzt tot, aber das hat ihm Martin erst ganz am Schluss ihres Gesprächs verraten.

      Hubmanns Reaktion kam überraschend: Er fing an zu weinen, lautlos, ein kleiner Junge mit großen Muskeln, der sich schämt und nicht mehr weiterweiß. Und da hat Martin ihn tatsächlich getröstet und gemeint, ein guter Anwalt würde ihn sicher raushauen, denn die kleinen Fische ließe man oft schwimmen, um an die großen Haie zu kommen. Und dann ging er, nach einem letzten Blick auf das Studio, in dem ein paar junge Männer an Maschinen ihre Körper formten, und Martin dachte ketzerisch, dass die Welt vielleicht ein besserer Ort wäre, wenn so viel Zeit, Energie und Geld aufs Hirntraining verwendet würde.

      Er weiß, dass der Handel mit Steroiden inzwischen ein Milliardengeschäft ist, der große Schmäh von Kraft und Leistung und schnellen Erfolgen. Erst im März wurden am Wiener Flughafen


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