Glück in Salzburg. Hannelore Mezei
leert ihr Glas. »Kannst du nicht hierbleiben über Nacht? Wir haben drei Gästezimmer. Ich fürcht mich vorm Alleinsein, Martin.«
Er schwankt. Sie hat ihn schon immer mit dieser Masche eingefangen: Du bist mein Ritter in glänzender Gestalt. Nein, diesmal nicht! »Du, ich bleib noch ein paar Minuten und trink einen kleinen Cognac mit dir, dann muss ich aber wirklich zurück. Der Franz hat extra für mich gekocht, und das wäre sonst grob unhöflich von mir. Wir können uns morgen sehen, Romana, vielleicht zum Mittagessen?«
»Ich bring nichts runter«, sagt Romana und wischt sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. »Ich kann nur trinken.«
Sie schenkt Martin ein Glas ein, das er sicher nicht leeren wird.
»Wir waren so glücklich, weißt du, der Hugo und ich. Das letzte Glück, das schätzt man viel höher als alles vorher. Natürlich war er alt, aber so gesund, wie es halt geht in seinem Alter. Wir haben wirklich noch an ein paar wunderbare Jahre geglaubt, der Hugo und ich. Ich dachte, dass wir ganz bescheiden am Wörthersee heiraten könnten. In seiner neuen Villa. Hochzeitsessen von Didi Dorner. Und die Bleiburger Big Band …«
Jetzt weint sie. Martin nimmt einen winzigen Schluck, der teuer durch seine Kehle läuft. Er schiebt ihr den perlenverzierten Behälter für die Taschentücher hin, sie nimmt eines und schnäuzt sich geräuschvoll. »Ach, Martin, ich hab wirklich kein Glück im Leben.«
Du hast mich, könnte er sagen, tut es aber nicht. »Hast du Schlaftabletten? Damit du zur Ruhe kommst?«
Sie zeigt auf die Cognacflasche. »Das tut’s auch. Mach dir keine Sorgen, ich bin ein zähes altes Luder. Was sagst du denn zu der Wohnung?«
Er würde jetzt gerne lachen, unterdrückt den Impuls aber: »Pompös. Ein bisserl groß, meinst du nicht? Übrigens, Fassl lässt grüßen, Lotte auch. Es geht ihr gut.«
Romana seufzt. »Die gute alte Lotte. Und wie geht es deiner Ex Larissa?«
Es interessiert sie gar nicht, denkt Martin, sie will ihn nur aufhalten. »Du, der geht es blendend, sie hat vor Kurzem ihren Banker geheiratet und war in den Flitterwochen auf den Seychellen. Wir sehen uns kaum noch, leben ja auch in getrennten Welten.«
»Sie hat nie zu dir gepasst«, sagt Romana. »Wie diese Lily. Ist die immer noch bei ihrem windigen Italiener?«
Martin nickt. Ein kurzer, kaum wahrnehmbarer Stich in der Region, in der sein Herz zu vermuten ist.
»Die verdient dich nicht, vergiss sie.« Romana leert ihr Glas in erschreckender Schnelle und schenkt nach. Sie hat seinen Blick bemerkt. »Keine Angst. Ich bin keine Alkoholikerin, Martin, höchstens spielsüchtig. Das hab ich dem Hugo versprechen müssen, dass ich nicht mehr ins Casino geh. Daran kannst du sehen, wie sehr ich ihn geliebt hab.«
Oder belogen, denkt Martin und schämt sich gleich dafür. Vielleicht war Flock ja wirklich Romanas große Liebe, und all das hatte nichts mit Geld zu tun. »Ich hab dir noch nicht einmal mein Beileid ausgesprochen, Romana, aber es ist ja auch so eine furchtbare Phrase …«
»… auf die ich verzichten kann. Finde lieber seinen Mörder – oder besser gesagt, seine Mörderin!«
Er schweigt, sieht auf seine Uhr, und sie sagt: »Du musst ja los, geh nur. Und ich denk an meine Hochzeit, die nicht mehr stattfinden wird …«
»Soll ich warten, bis du im Schlafzimmer bist?«
Romana sieht ihn an. »Ach Martin, du bist der Beste – nach Hugo natürlich. Schad, dass ich schon so alt bin. Ich geh jetzt ins Schlafzimmer zu dem Riesenbett. Wenn ich liege, rufe ich ›Gute Nacht‹, und du kannst gehen. Zieh einfach die Tür hinter dir zu. Ich schalt die Alarmanlage dann mit der Fernbedienung ein. Weißt ja, wie paranoid Hugo war.«
Romana stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst Martin auf die Wange, dann durchquert sie langsam und vorsichtig den riesigen Raum und verschwindet hinter einer Tür.
Er schaut ihr nach und wartet auf ihr »Gute Nacht«, das sehr leise im Wohnzimmer ankommt. Dann geht er zur Tür und zieht sie sanft hinter sich zu. Denkt, sie wird sich nichts antun. Sie ist zwar eine zerbrechliche Narzisstin, aber zugleich wirklich auch ein zähes altes Luder. So oder so, er hat sie gern.
***
»Wer würde den Flock denn während einer Theaterpremiere umbringen? Und vor allen Dingen, wie?«
Franz ist nicht mehr bös, jetzt, da sie am Tisch sitzen und satt und zufrieden sind. Er kennt Romana aus Wien und Martins Erzählungen, und nein, er ist dem Fall nicht zugeteilt worden, wenn’s überhaupt einer ist. Fassl ist überzeugt, dass die Obduktion »Tod durch Herzversagen« als Ergebnis bringt, und den Einwand mit dem gerade erst gecheckten Herzschrittmacher wischt er vom Tisch. Aber er wird sich umhören bei den Kollegen, die sind ja prinzipiell alle hilfsbereit, obwohl er ein Wiener ist. Weil die Salzburger sich den Hauptstädtern sowieso ebenbürtig fühlen, so nach dem Motto »kleiner, aber feiner«, und der Mozart mag ja in Wien gelebt und auf seine Geburtsstadt und den Erzbischof »geschissen haben«, wie es überliefert ist; doch in der Getreidegasse steht sein Geburtshaus, und Salzburg feiert Mozart so ausgiebig, wie Wien es niemals fertigbringen würde.
»Sag, haben sie dich schon eingebürgert?«, fragt Martin schließlich. Den Kaffee lehnt er ab, seit ein paar Jahren schläft er danach schlechter, jawohl, eine Alterserscheinung.
Die Frage verneint Franz heftig, er sei nun einmal hier und müsse sich arrangieren. Dann folgt die Liste seiner Lieblingsbeisln, die er Martin noch zeigen will, allen voran das historische Augustiner Bräu, gefolgt vom Gablerbräu in der Linzergasse bis zum Alten Fuchs ebendort. »Und was willst sonst noch sehen?«
Martin hasst es, auf Touristenpfaden zu trampeln. Der Dom, okay, den wird er sich anschauen, zusammen mit ein paar Hundert anderen Besuchern. Und einmal durch die Altstadt schlendern, wenn das überhaupt möglich ist zu Festspielzeiten. Aber erst einmal sei er mit den Testosteron-Fällen und der Briefkastenfirma beschäftigt. Und mit Romana natürlich, also nicht viel Zeit für Besichtigungen.
Franz scheint enttäuscht, dass er Martin nicht »sein Salzburg« zeigen soll, obwohl, na ja, die meiste Zeit muss er eh arbeiten. Dafür können sie abends was unternehmen, sagt Fassl. Und für Samstag habe er tatsächlich noch zwei Festspielkarten organisiert. Reines Glück, er hat sie einem Kollegen abgekauft, der mit einem Festspiel-Obermufti verwandt ist.
Dieses erwartungsvolle Gesicht. Martin gibt sich Mühe, begeistert auszuschauen. Hofft inständig, dass es keine Oper ist, zumindest keine lange.
»Die Mutter aller Operetten, Martin: Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach, inszeniert von Barrie Kosky. Soll der Hammer sein, was meinst, wie die Leut sich um die Karten raufen.«
»Ich bin beeindruckt«, sagt Martin. Eine Operette. Das wird er überstehen. Schon die Ex hatte sich über sein mangelndes Kultur-Gen aufgeregt. Jazz, das ist Subkultur, irgendwie immer noch. »Was schuld ich dir für die Karte?«
Franz schüttelt den Kopf. »Sei nicht blöd, das ist ein Geschenk. Für die vielen Abende und Nächte, in denen du meinem Liebesgejammer ausgesetzt warst. Es hat geholfen, weißt du, und ich bin schon auf dem Weg der Besserung. Letzte Woche hab ich sogar eine angesprochen im Café Bazar und sie gefragt, ob an ihrem Tisch noch Platz ist. Und sie hat Ja gesagt.«
Martin klopft ihm auf die Schulter. »Gut gemacht, Franz! Wirst sehen, in einem halben Jahr lachst du drüber.«
»So wie du über die Sache mit Lily?«
Sekundenpause. »So ungefähr.«
»Habt ihr denn noch Kontakt?«
Martin verneint. »Ich hoffe, dass es ihr gut geht, ehrlich. Können wir jetzt aufhören, über Frauen zu reden?«
Um zwei Uhr morgens räumen sie die Küche auf und verwandeln die Couch in ein Bett. Wünschen einander eine gute Nacht. Eng ist es schon in der Wohnung, aber bei besten Freunden geht das. Martin muss Fassls Schnarchgeräuschen nicht lange lauschen. Er träumt von Lily, die erst Flock erschießt und dann die Waffe auf ihn richtet. Doch daran kann er sich am