Glück in Salzburg. Hannelore Mezei
ist das Telefon wieder zu leise, und er versteht nur Herzschrittmacher. »Schlechter Empfang, ich ruf wieder an«, würgt er das Gespräch ab.
Doch Romana hat dem Telefonat gar keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auf ihrem Handy ein Foto von Hugo in Badehose am Wörthersee betrachtet. »Schau, er war schon irgendwie fesch, auch in seinem Alter noch.« Sie hält Martin das Bild hin. Der murmelt Unverständliches, legt den Gang ein und fährt weiter in Richtung Giselakai. Romana liest derweil die Zeitungen, die er gekauft hat. Die Schlagzeilen hauptsächlich, und sie sieht sich auf der Titelseite der Salzburger Nachrichten. Bildunterschrift: »Die unbekannte Begleiterin des Wörthersee-Milliardärs auf dem Weg zur Jedermann-Premiere.« Sie findet, dass sie gut getroffen ist, Blitzlicht ist immer günstig gegen Falten. »Hast das Foto gesehen, Martin? Da waren wir noch glücklich, der Hugo und ich. Bevor die Mordwitwe zugeschlagen hat!«
Martin sagt nichts und fährt vor dem Hotel Stein vor. Wartet im Wagen und beobachtet mit leichtem Unbehagen die Touristenmassen, die sich auf dem Makartsteg über die Salzach wälzen. Er ist froh, im ruhigen Maxglan zu wohnen. Auf der rechten Uferseite, gleich nach den Hotels Stein und Sacher reißt der Besucherstrom dann abrupt ab. Lediglich ein paar Jogger und Radfahrer bevölkern den autofreien Uferweg. Eine schöne Laufstrecke mit Blick auf die Altstadt am anderen Salzachufer. Er hat Lust, in den nächsten Tagen hier eine Runde zu laufen.
Schnell checkt er auf dem Handy seine Mails. Eine ist von Barbara, seiner Wiener Assistentin. Es sei noch keine Antwort der Postdirektion auf seine Anfrage eingetroffen. Könnte dauern, bis die den Namen des Postfachbesitzers herausgeben, über das die Anabolikabestellungen laufen. Verdammte Datenschutzverordnung! Nun, dann wird er morgen eben Plan B in die Tat umsetzen.
***
Martin hat sich nicht getraut, Fassl am Telefon darum zu bitten. Also sind sie nach abenteuerlichen Wegen durch Salzburg und zahllosen Telefonaten auf der Suche nach einem Zimmer vor dem Wohnhaus des Freundes gelandet. Nicht nur Romanas romantische Vorstellung von einer Suite im »Verlobungshotel« Stein ist dahin, es gab überhaupt kein einziges freies Zimmer in einem guten oder zumindest akzeptablen Hotel. Zunächst wollte er Romana überreden, nach Kärnten zurückzufahren. Dann aber ist ihm eingefallen, dass man sie hier noch als Zeugin brauchen wird. »Vielleicht hat ja die Polizei noch eine Ausnüchterungszelle zum Übernachten frei.« Sein Scherz wurde mit eisigem Schweigen beantwortet.
Jetzt sitzen sie erschöpft, hungrig und Romana sogar etwas kleinlaut im Auto. Schließlich entscheidet sich Martin, erst einmal allein zu Fassl raufzugehen.
»Schau, ich weiß, Franz, es ist eine Zumutung in der kleinen Wohnung. Aber es wär nur für eine Nacht. Und ich schlaf halt auf dem Fußboden. Morgen suchen wir in der Umgebung von Salzburg was für sie.«
Wie immer erweist sich Fassl als echter Freund, der auch Freunden des Freundes hilft. »Eh klar, wir können sie ja nicht auf der Straße übernachten lassen. Überlass ihr dein Sofa im Wohnzimmer, musst dann halt zu mir ins Ehebett ziehen.« Er zwinkert vielsagend, dann müssen beide lachen.
»Danke, Franz, das vergess ich dir nie.« Martin umarmt ihn.
»Na, na, spar dir die Zärtlichkeiten für später auf.« Fassl muss immer Witze machen, wenn er gerührt ist. »Aber eine Bedingung hab ich schon: Sie soll nur eine Tasche mit heraufbringen, der Rest vom Gepäck muss im Auto bleiben. Hier ist wirklich kein Platz.« Das kann Martin bestätigen. In den Kästen und Laden hat keine Büroklammer mehr Platz, er selbst hat seine Habseligkeiten an eine Garderobenstange gehängt und den Rest im Koffer gelassen.
Martin ist schon halb aus der Tür, um Romana zu holen. Da fällt ihm noch etwas ein: »Du, Franz, was war das heute mit der Obduktion vom Flock? Ich hab nur ›Herzschrittmacher‹ verstanden.«
»Na, die Batterie war leer, haben sie festgestellt, als sie das Gerät untersuchten. Schon seltsam. Wird so was denn nicht rechtzeitig angezeigt?«
Martin spürt ein undefinierbares Kribbeln im Bauch, das Gefühl kennt er: »Die Batterie leer? Das gibt’s ja gar nicht. Der Flock war Freitag bei seinem Salzburger Kardiologen zur Kontrolle, hat Romana gesagt. Und da war noch alles in Ordnung mit dem Herzschrittmacher.«
Die beiden sehen einander an. Sie sagen nichts, doch denken das Gleiche: Und wenn Flock doch ermordet wurde? Aber wie, zum Teufel? Wie?
***
»Hast da Steine drin?« Martin schleppt Romanas größten Koffer die zwei Stockwerke zu Fassls Wohnung hinauf.
»Nur das Allernötigste. Hast lang nicht trainiert, gell, Bub?«
Martin verkneift sich eine Antwort. Typisch Romana, ihre demütigen Phasen sind immer sehr kurz.
Als sie oben ankommen, steht Fassl in der Tür, umarmt den Überraschungsgast und nimmt Martin anschließend den Koffer ab. Nachdem Romana »ihr« Zimmer bezogen hat und Martin ins Schlafzimmer übergesiedelt ist, setzen sie sich am Küchentisch zusammen. Der Gastgeber kredenzt ein Willkommensschnapserl und Brot mit Grammelschmalz. »Wisst ihr was? Nach der ganzen Odyssee heute habtʼs ihr beide sicher einen Mordshunger. Ich übrigens auch. Also hab ich einen Tisch im Gasthaus Zur Einkehr gleich um die Ecke reserviert. Schöner Gastgarten, super Gulasch, Kaspressknödel, und auch sonst gute Hausmannskost.« In seiner Vorfreude auf die Köstlichkeiten schiebt sich Franz zwei Grammelschmalzhappen gleichzeitig in den Mund.
Romanas und Martins Blicke treffen sich auf Fassls Körpermitte. Romana setzt gerade zu einer Bemerkung an, überlegt es sich aber im letzten Moment. Kein Bett frei in Salzburg, da muss man den Gastgeber behandeln wie ein rohes Ei.
Die Umgebung von Fassls Wohnung entpuppt sich als Vorstadtidylle frei vom Festspieltrubel. Die drei spazieren vorbei an kleinen Einfamilienhäusern und gepflegten Gärten, machen Radfahrern und Hunden samt deren Besitzern Platz. Der Bach plätschert, die Vögel zwitschern. Ab und zu stört ein Auto. Romana ächzt, obwohl sie keine zehn Minuten gehen. Aber sie trägt auch Stöckelschuhe, die alles andere als bequem sind. Schließlich hakt sie sich bei ihrem rohen Ei unter und beschließt, einen Abend lang nur charmant zu sein, auch wenn sie unendlich wütend ist. Wütend auf Hugo, der sich einfach so davongemacht hat.
Bei Wein und Bier nach dem Essen kommt das Gespräch natürlich auf Flock. Romana beharrt auf ihrer Mordtheorie, und diesmal widersprechen die beiden nicht. Fassl fragt nach: »Wie kommen S’ denn drauf, dass er ermordet wurde? Gibt’s irgendwelche Anhaltspunkte?«
Jetzt ist Romana in ihrem Element, sie sprudelt förmlich über vor Insiderwissen. Erzählt von der untreuen Ehefrau, die es mit dem Tod-Einspringer aus dem Jedermann getrieben hat. Schon länger. »Der Hugo war eh schon misstrauisch geworden und hat dann den Wolf, seinen Bodyguard, darauf angesetzt. Als er die Wahrheit über die zwei erfahren hat, ist grad sein Sohn Christian im Sterben gelegen. Das war alles zu viel für ihn, obwohl der Hugo eigentlich hart im Nehmen ist – war. Der einzige Sohn und Erbe! Er hat zwar noch eine Tochter, aber die lebt irgendwo in Südamerika und züchtet Lamas. Oder Alpakas? Wurscht, irgendwelche exotischen Viecher halt. Der arme Hugo! Ich war in dieser schrecklichen Zeit seine einzige Stütze.« Sie schluckt und hält die Tränen zurück. »Und dann noch die Drohbriefe.«
»Welche Drohbriefe?« Franz und Martin gemeinsam.
Sie mag es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. »Eigentlich waren es ja SMS. Natürlich anonym. Aber ich bin sicher, dass die von der Tussi und diesem Paul Neumann, ihrem Liebhaber, kamen. Die Iris war ja ganz panisch, als der Hugo ihr eröffnet hat, dass er die Scheidung will. Es gab da einen Ehevertrag, im Fall der erwiesenen Untreue hätt die Schlampe gar nix gekriegt. Wollt ihr die SMS sehen? Ich hab nämlich Hugos Handy … Ja, ich weiß, hätt ich nicht behalten dürfen, aber ich war so außer mir. Es war ja in meiner Handtasche, weil in seinem Smoking kein Platz dafür war …«
Kein Wort des Tadels, Franz und Martin wollen Flocks Handy unbedingt sehen. Und weil Romana auch noch das Passwort kennt, finden sie unter den Nachrichten zwei SMS, die schon bedrohlich klingen. »Wenn du deine Absicht nicht änderst, wirst die Reis alsbald antreten!« Und eine zweite Nachricht: »Und der Tod mir grausam die Kehle zuschnürt.«
»Das ist aus dem Jedermann«, weiß Romana, und ihre Zuhörer