Silvia - Folge 2. Jürgen Bruno Greulich
wie?“
„Mit einem Plug, den ich täglich eine Stunde lang in mir trug.“ Dass sie es auf Befehl ihres Gatten getan hatte, behielt sie für sich, brachte Wolfgang nicht mit in dieses Haus (nur in ihren Gedanken), hatte das Gefühl, dass die sklavische Unterwerfung unter den eigenen Mann beschämender sei als die Hingabe an einen Fremden, der durch Bezahlung das Recht auf sie erwarb.
„Man sollte das von jedem Weib verlangen.“ Zwei Finger drangen in ihren Schoß und noch tiefer bohrte sich der Pfahl, ergoss sich in sie. Reglos verblieb er in ihr und schweigend legte der Mann das Gesicht in ihren Nacken, blieb einige Minuten lang wortlos so sitzen, als schenke ihm ihre Nähe Frieden.
Auch dieser Mann verließ sie zufrieden und gelöst. Silvia glich einer guten Fee, die den Männern die Last des Begehrens nahm, die Dämme brechen ließ und angestaute Energie mitsamt ihrer Kälte, Härte und Wut empfing, die läuterte, milder stimmte, eine entspannte Erschöpfung hinterließ. Lange aber würde ihr Zauber nicht anhalten, bald würden die Triebe wieder erwachen, neue Wunden geschlagen werden und frischer Ärger sich sammeln, der Kreislauf nahm kein Ende, begleitete einen jeden Menschen von der Geburt bis zum Tod, vor ihm retteten auch nicht die raffiniertesten Genüsse.
Zweimal noch in dieser Nacht wurden ihre Heilkünste in Anspruch genommen von zwei harmlosen Gästen, die nichts Besonderes von ihr verlangten, einige obszöne Worte, heiser in ihr Ohr geflüstert, aufdringliche Hände an ihrem Körper, die Eroberung ihres Mundes und ihres Schoßes … Sie gab sich geduldig hin, ohne ein zweites Mal zum Höhepunkt zu gelangen, tat aber so, als würde es geschehen, schmeichelte der männlichen Ehre, wie es üblich war und notwendig, wollte man sich den Kunden erhalten, so hatte sie von den anderen Mädchen erfahren.
Als der letzte Freier das Haus verließ und die Pforte geschlossen wurde, war es vier Uhr in der Frühe. Nach und nach versammelten sich die Mädchen zu einem letzten Schluck an der Bar. Danielle, die noch nach Hause fahren wollte, hatte eine Hose und einen dicken Pullover angezogen und den Pelzmantel über ein Sofa gelegt, während die Mädchen, die hier wohnten, flauschige Hausmäntel oder hochgeschlossene Umhänge trugen, ebenso Annemarie, die ausnahmsweise bleiben wollte. Sie habe ein bisschen zu viel getrunken, um sich noch hinters Steuer zu setzen, sagte sie, und außerdem sei sie zum Fahren viel zu erschlagen nach dieser Nacht mit all der vielen Arbeit.
Ein dankbares Lächeln huschte zu Silvia herüber. „Schön, dass du uns so tatkräftig unterstützt hast.“
Silvia als selbstlose Samariterin? So ganz kam es wohl nicht hin. Wie es aussah, hatte sie die gesuchte Anstellung jetzt also gefunden, einfacher, als für möglich gehalten, ganz ohne Bewerbungsstress und ohne dass es jemanden gab, der sie ihr verbieten konnte. Erfüllend war die Arbeit auch, im wahrsten Sinn des Wortes. Nun wurde sie also bezahlt für das, was sich Wolfgang immer wie selbstverständlich genommen hatte. Und die Entlohnung war fürstlich. Fünf Kunden, das waren zweitausendfünfhundert Euro, die Hälfte ging ans Haus, blieben für sie noch eintausendzweihundertfünfzig. – Eintausendzweihundertfünfzig Euro in einer Nacht. Wenn das Wolfgang wüsste. Rechnete sie auf einen Monat hoch, kam sie auf ein Einkommen, von dem selbst er nur träumen konnte, obwohl er doch eigentlich sehr gut verdiente. Er könnte stolz auf sie sein, wäre vermutlich aber nur eifersüchtig, oder nein, sicherlich würde er nichts als Worte der Verachtung finden. Seine Meinung aber zählte nicht mehr. Sie nippte an ihrem Glas und heiß rann der Whiskey in ihre Kehle, brannte die Erinnerung an die Männer nicht weg, tat aber gut.
Ob sie das Geld jetzt gleich in bar haben möchte oder am Monatsende auf ein Konto überwiesen, fragte Immanuel. Sie machte es wie die anderen Mädchen, ließ es sich lieber überweisen, denn was sollte sie mit so viel Bargeld auf ihrem Zimmer? – Aber sie hatte ja gar kein Konto, musste sich erst eines einrichten. Morgen würde sie das tun, nein, heute noch, später, denn der neue Tag hatte ja schon längst angefangen. Eine Liste mit den eingenommenen Beträgen unter dem gestrigen Datum war bereits angelegt, sie musste nur noch ihren Namen dahintersetzen, die Sünde wurde ordentlich verwaltet, jeder Buchhalter wäre zufrieden gewesen. Auch die anderen Mädchen quittierten die Einnahmen durch ihre Unterschrift, wünschten Danielle eine gute Heimfahrt und gingen gemeinsam nach oben, erschöpft wie Soldatinnen nach überstandener Schlacht. Annemarie fand Zuflucht in einem der stets bereiten Gästezimmer und auch die anderen zogen sich zurück, tauschten zum Abschied matte Lächeln aus, und sachte wurden die Türen ins Schloss gezogen.
Silvia trank noch einen letzten Schluck Wein. Die Bilder des Abends liefen vor ihren Augen Revue, ob sie wollte oder nicht, und begleiteten sie ins Bett, seltsam aufwühlende, intensive, erregende Bilder, die sie trotz ihrer Müdigkeit nicht einschlafen ließen und ihre Hand zwischen die Schenkel lockten, hin zur kribbelnden Scham, die so tat, als hätte sie schon seit ewigen Zeiten keinen Mann mehr gehabt. Zärtliche Finger gaben ihr das Gewünschte …
Silvia schlief gut in dieser Nacht, tief und unbeschwert, ohne Sorgen.
Begegnung im Städtchen
Sie erwachte in der Mitte eines eisig klaren Tages. Blassgelb, klein und kraftlos stand die Sonne am makellos blauen Himmel, silbern glitzerte der Park, gepudert vom Reif, der nicht taute. Frühstück gab es keines mehr, stellte sie fest beim Blick auf die Uhr, fast schon war es Zeit fürs Mittagessen. Doch hatte sie keinen Appetit. Mehr als essen reizte sie ein kleiner Ausflug in die Stadt, einkaufen, das Konto einrichten, sich umschauen, vielleicht irgendwo einen Kaffee trinken. Sie machte sich frisch und zog sich an. Die zarten Strümpfe, die es im Schrank nur gab, wärmten kaum und mussten von Strapsen gehalten werden, waren aber besser als nichts, das Gleiche galt für das dünne schwarze Negligé, das sie überzog. Für drüber wählte sie ein schwarzes langes Kleid, das einzige hochgeschlossene im Sortiment, damit war sie für die Stadt gerüstet wie eine Touristin in Sommerkleidung für die eisigen Gipfel eines Gebirges.
Im Speicher des Telefons fand sie das Stichwort „Taxi“, stellte die Verbindung her und hörte das Freizeichen. Ebenso einfach, wie sie eine Verbindung nach draußen schaffen konnte, war sie per Telefon auch zu erreichen: die Nummer des Hauses und die Vierzehn dazu, dann war man mit ihr verbunden. Allerdings gab es niemanden, der die Nummer kannte, niemanden, der sie anrufen würde, sie war unerreichbar geworden für alle ihre Bekannte, verschollen, spurlos aus ihrer Welt verschwunden, es störte sie nicht, es gab kein Bedauern, obgleich … Mit Claudia hätte sie gerne mal wieder geredet, was aber ihr sagen? Sie würde nur auf Unverständnis stoßen, müsste sich Vorhaltungen, Mahnungen, Belehrungen anhören, niemals würde Claudia sie begreifen.
Das Taxi komme in zehn Minuten, wurde ihr von einer weiblichen Stimme mitgeteilt, der Fahrer werde vor dem Tor warten wie üblich. – Wie üblich? Es fuhr also öfter ein Taxi für eines der Mädchen vor, eine beruhigende Auskunft, gab das doch Hoffnung, nicht wie ein exotisches Wesen begafft zu werden, denn dass jeder in der kleinen Stadt über das Geschehen hinter den Mauern von Schloss Sinnenhof Bescheid wusste, musste sie doch annehmen. Sie schaute in den weißen Umschlag von Corinna und fand darin tausend Euro, eine Menge Geld und doch auch nicht, wenn sie daran dachte, dass sie in einer einzigen Nacht mehr eingenommen hatte. Die Männer waren verrückt, keine Frage.
Sie steckte die Hälfte des Geldes in ihr Portemonnaie, zog den warmen Mantel an und ging schon mal hinunter. Der Flur im Erdgeschoss führte am Foyer vorbei zum Personaleingang und sie gelangte auf den Parkplatz hinter dem Haus, auf dem die Mädchen und die Bediensteten ihre Autos abstellten. Das schmiedeeiserne Tor schwang lautlos vor ihr auf, wie von Geisterhand bewegt, und sie kam in den gepflasterten Hof, in dem kein einziges Auto stand. Das ganze Schloss wirkte wie ausgestorben und die Kälte sprang sie an wie ein wildes Tier. Sie schlug den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen.
Auf irgendwelche mysteriöse Weise gesteuert, öffnete sich vor ihr auch die kleine Pforte neben dem geschlossenen großen Haupttor, das ab vierzehn Uhr permanent offen stehen würde. Bibbernd lief sie in der Einfahrtsbucht hin und her, nahm sich vor, unbedingt auch warme Socken zu kaufen, und hoffte, dass das Taxi noch auftauchen würde, bevor sie erfroren war. – Da kam es endlich und hielt direkt vor ihr an. Rasch sank sie auf den Beifahrersitz, froh um die mächtig blasende Heizung.
Wenn sie gehofft hatte, dass die Mädchen des Hauses keine besondere Aufmerksamkeit erfahren mussten, sah sie