Silvia - Folge 2. Jürgen Bruno Greulich

Silvia - Folge 2 - Jürgen Bruno Greulich


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und kam wenig später in einem weißen Hemdchen und mit einer rosa Schleife im Haar zurück. Er schaute sie wohlwollend an, reichte Immanuel das Geld, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in eines der Zimmer.

      „Einer ihrer Stammkunden“, sagte Laura. „Er kommt jeden zweiten Mittwoch. Sie muss sich auf seinen Schoß setzen und er liest ihr Geschichten vor, befummelt sie dabei und will sonst nichts von ihr. Sie sagt, dass sie bei ihm irgendwann noch umkomme vor Langeweile.“

      „Man darf sich über die Psyche der Kunden keine Gedanken machen, nicht wahr?“, fragte Silvia.

      „Nein, auf keinen Fall.“

      Die Psyche der Kunden … Kaum sichtbar schimmerten auf Lauras Po die rötlich blassen Linien unter dem transparenten Schwarz des Gewandes hervor. Auch Silvias Peitschenspuren waren unter dem Schleier ihres blauen langen Negligés leicht zu erkennen, teilten ihr Schicksal jedem Betrachter freimütig mit. Warum verblassten sie nur so zögernd? – Aber sie waren ja noch frisch, fiel ihr ein, erst wenige Tage alt, obgleich sie doch aus einer versunkenen Welt und einer längst vergangenen Zeit stammten. Wie weit dieses Wochenende zurücklag, fast konnte sie sich nicht mehr daran erinnern. Wolfgang, ihr Gebieter, war Vergangenheit, eine Gestalt aus dem persönlichen Geschichtsbuch, als das ihr Tagebuch fungierte. Seine Verächtlichkeit und seine Wut waren nur noch nachzulesen, nicht mehr zu erleiden, welch ein Segen.

      Was hatte Laura eigentlich hierher ins Haus geführt, etwa auch ein Gebieter, der zum Tyrannen geworden war? Vorsichtig fragte Silvia an.

      Laura zuckte mit den Achseln. „Als ich nach der Zeit im Mädchenhaus wieder heimkam, begann mich mein Freund als Einnahmequelle zu entdecken und arrangierte Treffen mit Bekannten von ihm. Es war schrecklich, ich kannte sie doch alle, und plötzlich konnten sie mich haben, sie mussten nur bezahlen. Ich wollte eigentlich nicht …“

      Sie unterbrach sich, überlegte anscheinend, ob sie weitersprechen könne oder ob ihre Offenbarung fehl am Platze sei. Aber sie befanden sich hier im Foyer und es gab die Striemen auf Silvias Haut, die sie mit ihr verknüpften.

      „Na ja, so ganz ohne Reiz war es nicht … Jedenfalls ließ ich es zu, dass er mich mit der Peitsche dazu zwang, war vielleicht sogar froh darum, denn wie anders hätte ich diese seltsam erregenden Gefühle erleben können? Auch seine Freunde durften mich peitschten, gegen Aufpreis natürlich, und auch sonst alles mit mir machen. Schließlich bot er mich sogar seinem Bruder an, der aber erklärte ihn für verrückt und mich für verachtenswert. Auch Siegfried, so hieß mein Freund, begann mich zu verachten, weil ich das tat, was er von mir verlangte, und gleichzeitig gab er seinen Job auf, um nur noch von mir zu leben. Da soll noch jemand behaupten, dass Männer logischer denken als Frauen. Die Zahl der Interessierten nahm zu, da seine Freunde wiederum ihre Freunde einweihten, ich musste jetzt jeden Tag mehrere Freier bedienen und Siegfried behandelte mich immer rücksichtsloser, schlug mich beim geringsten Anlass und gebrauchte mir gegenüber nur noch gemeine Worte. Ich wollte ihm klarmachen, dass es so nicht weitergehen könne, doch war seine Antwort die Peitsche. Ich hielt es nicht mehr aus, es war einfach zu viel, war kein Spiel mehr, sondern bitterer Ernst. Ich wusste, dass ich ihn nicht einfach verlassen konnte, dass er mich suchen würde, ich hätte zur Polizei gehen müssen. – Aber dort meine Geschichte erzählen? Nein, unmöglich. Also wandte ich mich an die Herrin, an Corinna, und sie bot mir Schutz an. Tja, das war vor einem Dreivierteljahr, seither bin ich hier und fühle mich recht wohl.“

      Silvia lächelte. „Ein Glück für Frauen wie uns, dass es Corinna gibt.“

      „Und ein Glück für Corinna, dass es Frauen wie uns gibt … aber wesentlich besser als ein Siegfried. Es ergänzt sich gut.“

      Ein neuer Gast betrat das Foyer und sie umgarnten ihn lächelnd.

      Drei Kunden musste Silvia an diesem Abend bedienen und keiner verlangte etwas Außergewöhnliches von ihr, jedem genügte ihr Mund und ihr Schoß. Alle drei waren freundlich zu ihr, behandelten sie zuvorkommend, ließen sie kein schmähliches Wort hören, es schien der Tag der Liebenswürdigkeit angebrochen. Heute war das Geld noch leichter verdient als gestern.

      Danielle und Annemarie brachen bald nach Mitternacht auf, denn es war ja nichts los, gab keinen Grund, noch länger hier herumzusitzen. Silvia blieb noch ein bisschen, denn sie mochte die Stimmung des Raums, seinen altmodischen Charakter, die Musik, die sich dezent im Hintergrund hielt, hörbar, wenn man sie hören mochte, ohne dass sie aufdringlich wurde. Jazz wurde überwiegend gespielt, ruhige, bluesige Stücke, in die sich das Klingen der Gläser, gurrendes Lachen und das Gewisper der Stimmen mischten. Sie mochte den Duft nach Parfüm und nach Tabak, die täglich frischen Blumen, die kleinen Sofas, auf denen immer wieder neue Pärchen saßen für kurze Zeit, den steten Wechsel der Konstellationen, den unaufhörlichen Fluss der Dinge. Nie konnte man wissen, was als Nächstes geschah, welchem Gast es die Gunst zu schenken galt, was er sich wünschte oder was er befahl. Auch mochte sie die dünnen Gewänder, die reizvollen Dessous, sah sie gerne an den Mädchen und fühlte sie ebenso gern auf der eigenen Haut, genoss die leise Erregung unter den Blicken der Männer …

      Trotzdem wurde es allmählich Zeit, nach oben zu gehen, denn gebraucht wurde sie heute nicht mehr. Laura befand sich mit dem letzten Kunden in einem der Liebeszimmer, Monika, Juliane und Nicole saßen mit Silvia an der Bar, Immanuel wienerte mit einem weißen Tuch seine Gläser, Iris verteilte saubere Aschenbecher auf den Tischen. Wie es aussah, würde man um zwei Uhr schließen können, zum frühestmöglichen Zeitpunkt also, denn so lange blieb immer offen, mit oder ohne Kunden. Silvia trank das vorletzte Schlückchen ihres Bourbons und schaute wie alle anderen zur Eingangstür, denn dort erschien ein großer dicker Mann mit kahlem Schädel und weitem weißem Anzug.

      Monika und Juliane rutschten vom Hocker und begrüßten ihn mit einladenden Lächeln. Er rückte die Brille zurecht und plumpste auf das Sofa, das ihm am nächsten stand, kaum noch fanden die beiden Platz neben ihm. Anscheinend kannte man ihn und seine Wünsche, denn ohne dass er es bestellen musste, schenkte Immanuel Campari mit Orangensaft in ein Glas und reichte es Iris, die es ihm brachte.

      Ein weiterer Kunde kam herein. Mit dem frühen Feierabend schien es doch nichts zu werden. Er marschierte zielsicher zur Bar, begrüßte Silvia mit einem flüchtigen Lächeln und Nicole mit einem breiten Grinsen, als hätten sie schon manches zusammen erlebt. „Hallo, mein Mädchen, wird höchste Zeit, dass ich ihn dir mal wieder reinstecke.“

      Als wäre sie auch dieser Meinung, erwiderte sie sein Lächeln. „Schön, dass Sie mal wieder an mich gedacht haben.“

      Der Dicke kam zur Bar gestapft, begleitet von Juliane, die das weizenblonde Haar vom letzten Kunden noch zu Zöpfen geflochten hatte und ein rosafarbenes kurzes Negligé trug. Er legte tausend Euro auf den Tresen. „Für die süße Juliane und für die da.“ Seine Hand wies auf Silvia. Oh. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber stand ihr die Verblüffung etwa ein bisschen zu deutlich ins Gesicht geschrieben?

      Amüsiert grinste er Immanuel an. „Süß, wie sie guckt. Als wäre ich ein ganz schlimmer Bursche. Wie heißt sie denn?“

      „Ihr Name ist Silvia.“

      Warum redete er nicht mit ihr selbst? Sie kannte ihren Namen doch auch.

      „Ist das Zimmer sieben frei?“

      Immanuel nickte.

      „Gut. Dann wollen wir mal.“ Schnaubend wälzte sich der Dicke vor seinen Einkäufen her zu den Liebeszimmern und sie sahen, wie sich die Tür zu Zimmer eins hinter Nicole und ihrem Begleiter schloss. Das Zimmer sieben war das Letzte auf der rechten Seite des Korridors. Es war ganz in Schwarz gehalten. Schwarz waren der Bezug des großen Bettes, der Boden, die Tapeten und die schweren Gardinen. Und dann gab es noch einen Käfig, der den halben Raum einnahm, von soliden Gitterstäben auch oben abgeschlossen, als müsse er ausbruchssicher sein.

      Von einer Geste des Mannes hineingescheucht, betraten Juliane und Silvia ihn durch die offen stehende Gittertür. Argwöhnisch beäugte Silvia den Stuhl, der in einer Ecke stand, bestückt mit einem roten Dildo, der leicht nach hinten geneigt ziemlich provozierend von der ungepolsterten Sitzfläche aufragte.

      Das alles war auch auf einem großformatigen Ölgemälde an der Wand zu sehen,


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