Second Horizon. E.F. v. Hainwald
– was will man auch mit wandelnden Toten? Die stinken, sind strunzdumm und brauchen eine stetige biomagische Energieversorgung … von der Widernatürlichkeit des Umstandes mal abgesehen. Hier geben die Menschen das zurück, was sie einst nahmen«, erklärte er, legte die Handflächen vor seinem Gesicht aneinander und seine dunklen Augen blickten fürsorglich. »Ein Leben lang floss Energie mittels Nahrung und Erfahrungen durch den Körper. Das eine verbrauchte sich, das andere reicherte sich an. Hier werden die angehäuften Zellerinnerungen in Energie umgewandelt, welche dann dem Schwarm erneut zur Verfügung steht.«
»Sozusagen ein Toten-Kraftwerk«, warf Babe nachdenklich ein.
»So könnte man es nennen – in Fachkreisen ist es ein nekrobetriebenes Energieumwandlungssystem. Es bedarf einer gewissen Ausrichtung des Gebäudes, einer Geometrie und Konstruktionsmathematik. Man kombiniert Geomantie, planetare Energiematrix, alchemistisches Grundwissen und spirituelle Techniken. Am Anfang steht die Leiche«, er deutete auf die Steinsärge am Rand des Raumes, »und am Ende hat man universell einsetzbare Energiekerne.«
»Das ist … widerlich«, knurrte Wolf, sein Schweif war buschig vor Ekel.
»Warum?«, fragte der Exorzist und in seiner Stimme schwang echte Enttäuschung mit. »Das Kraftwerk des Lebens war schon immer der Tod. Das ist die Natur der Schöpfung. Hier ist es nur optimiert. Es ist ja nicht so, als würden die Verstorbenen davon etwas mitbekommen, oder?«
Er trat zu einem der Sarkophage, legte eine Hand auf dessen Deckel und lächelte selig. Dann tippte er flink auf ein paar Stellen. Runen flammten auf und der Deckel glitt mit einem leisen Schaben beiseite. Ein Geruch nach staubiger Feuchtigkeit hing plötzlich in der Luft. Der Exorzist griff hinein, packte einen Arm und zog erstaunlich kräftig eine klapperdürre Leiche empor. Ihre dünne Haut schimmerte, als flatterten darunter Hunderte Glühwürmchen. Zärtlich strich er über die eingefallene Wange des Toten.
»Schön, dass man im Tode noch die Lebenden so bereichern kann, oder?«, wisperte er nachdenklich. »Manche sind so sogar hilfreicher, als sie es in ihrem Leben waren.«
»Du … hast die Frage nicht beantwortet«, presste Wolf hervor, trat einen Schritt zurück und hielt sich seine Pranke vor die Nase.
»Das stimmt wohl«, flüstert der Exorzist, legte den Körper behutsam zurück, schloss den Sarkophag und wandte sich Wolf zu.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, mahlte mit den Zähnen und schien verunsichert. Im Allgemeinen war er viel zu leicht zu lesen, so gar nicht gefährlich, wie es sich Wolf immer vorgestellt hatte. Dennoch fühlte er sich in seiner Gegenwart unsicher. In einem Moment wirkte er sanftmütig und unsicher, im nächsten bestimmend und stark.
»Nun sag es ihm schon, Elian«, mischte sich Babe augenrollend ein. »Ich weiß es doch aus den Akten – ich kann das auch übernehmen, wenn du zu schüchtern bist.«
Sein Name schien etwas in ihm anzustoßen. Er nickte.
»Nun … Exorzisten werden eigentlich in der Sozialbefriedung, Magiedämmung und manchmal im Kampf eingesetzt …« Er zögerte, legte eine Hand in den Nacken und grinste dann schief. »Ich bin jedoch zu individuell von meinen Lebensansprüchen her. Ich wäre gern angepasster, um im Schwarm zu leben – ich wäre vermutlich glücklicher in einem sicheren Einerlei und einer wohlgesonnenen Gesellschaft. Na ja, es ist wie es ist. Ich überwache hier die Arbeit und schubs die eine oder andere Seele aus ihrem Körper, falls sie nicht loslassen will.«
»Hä?!«, fuhr Wolf auf. »Du bringst sie also um, damit sie hier verbraten werden können?«
»Aber nein«, entgegnete er, nun sichtlich verärgert, und schnitt mit der Handfläche durch die Luft. »Manche Verstorbene können nicht loslassen und hängen noch an ihrem Körper, Orten oder Gegenständen. Ich trenne sie davon, bevor ihre Überreste in den Reaktorzellen landen.«
Wolfs Ohren senkten sich und das Maul stand ihm offen. Das war sogar irgendwie ehrenhaft – er erleichterte den Seelen sozusagen den Übergang.
Irgendwie. Hoffentlich.
»Womit wir wieder beim Thema wären«, sprach er dann mit schneidender Stimme, seine Unsicherheit war wie weggeblasen und sein Gesicht zeigte plötzlich einen gefährlichen Zug.
Wolf presste die Lippen zusammen. Er hatte keine Ahnung. Er warf Babe einen hilfesuchenden Blick zu. Die löste sich endlich von der Säule und schlenderte gelangweilt umher. Das war jedoch nur Tarnung. Innerlich war sie zum Zerreißen angespannt – jetzt galt es!
In diesem Moment musste sie nicht nur den Exorzisten davon überzeugen mit ihr zusammenarbeiten.
Nein, viel komplizierter!
Sie musste Wolf davon überzeugen.
Babe atmete tief ein, suchte nach den richtigen Worten und entschied sich dann für nervenbetäubende Klarheit. Sie wirbelte herum, blickte die beiden fest an und sprach:
»Elian, du sollst diesen Wolf zu einem Menschen machen.«
Wolf riss die Augen auf. Er blickte zwischen den beiden hin und her. Dann stolperte er ein paar Schritte rückwärts, den Schwanz zwischen seine Beine eingeklemmt. Fassungslos schüttelte er seinen Kopf.
»Okay, das war vielleicht ungenau ausgedrückt. Er ist ja ein Mensch – also auch – aber er muss zeitweise auch so aussehen. Illusionsmagie kann man aufdecken, allerdings …«, versuchte es Babe nochmals und ließ eine Hand in der Luft kreisen, wie einen Propeller.
»Ich verstehe.« Die Worte des Exorzisten hallten von den Wänden wider. Das Lächeln war auf seine Lippen zurückgekehrt. »Du möchtest, dass ich den Wolf abtrenne und austreibe. Wenn etwas nicht da ist, kann man es nicht aufdecken.«
»Du bist wirklich so clever, wie Wania erzählte. Kein folgsamer Schwärmer, sondern ein mutiger Mann«, umgarnte Babe ihn weiter, stemmte ihre Hände in die Hüften und lachte.
»Tja, nun verrate mir mal, warum ich das tun sollte«, erwiderte Elian amüsiert und tätschelte den Sarkophag.
»Aus dem gleichen Grund, aus dem du damals Wania geholfen hast«, erklärte Babe mit einem triumphierenden Lächeln. »Es ist eine Herausforderung.«
Der Exorzist schmunzelte und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht, Mädchen. Du bist aber ziemlich dumm, wenn du glaubst, dass es eine Herausforderung wäre, einem Wandler das Tier auszutreiben«, entgegnete Elian und warf Wolf einen abschätzigen Blick zu. »Es ist geradezu lächerlich einfach. Das ist wie einen Kaugummi von einer Tischplatte zu ziehen – nervig, aber nicht besonders aufregend.«
Wolf knurrte ihn rauflustig an. Sollte er es nur versuchen. Dieser Kaugummi würde ihm mit bloßen Krallen die Haut von den Knochen schaben, wenn es sein musste.
»Urteile nicht auf den ersten Blick«, gab Babe zu bedenken. »Wolf ist ein kein Wandler. Den Menschen von der Bestie zu trennen, ist schwierig. Es ist gefährlich.«
Die Augen des Exorzisten verengten sich und musterten Wolf nun genauer. Der richtete sich vollends auf und drückte die Brust nach vorne. Er spannte alle Muskeln an und starrte ihm mit unverhohlener Geringschätzung entgegen. Die Züge des Exorzisten wandelten sich. Etwas Böses schlich sich in sie hinein, doch zusätzlich etwas noch wesentlich Schlimmeres: Interesse.
»Hast du Angst, dass es deine Fähigkeiten übersteigt?«, stichelte Babe in einem verniedlichen Tonfall weiter. »Oder hast du Bammel vor dem Schwarm? Armer Junge, weggesperrt inmitten von stummen Leichen, die nur abgenutzte Erinnerungen aus zweiter Hand bieten können – und dabei wenigstens ihr Leben gelebt haben.«
Elian lächelte grausam und drehte den Kopf zu Babe, ließ Wolf jedoch nicht aus den Augen. Er strich sich schweigend das Haar zurück. Nur das Klimpern der Ketten zerschnitt die Stille, während er seine Gedanken hin und her wälzte.
»Du manipulierst mich. Schlau. Du weißt genau, was du sagen musst – wo meine Schwächen zu finden sind«, ergriff er schließlich das Wort und seine warme, sanfte Stimme passte so gar nicht zu seinen Worten. »Beeindruckend.