Second Horizon. E.F. v. Hainwald

Second Horizon - E.F. v. Hainwald


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– was war das mit dem nackt? Also dem wieder? Hab ich was verpasst?« Babe wackelte frivol mit den Augenbrauen.

      Wolf leckte sich über seine Nase und zwinkerte Tonie zu. Der Hacker hob eine Augenbraue gleichsam mit seiner Hand und hielt Zeigefinger und Daumen, wie schon in der Umkleide, sehr nah aneinander. Wolf schnaubte. Babe lachte lauthals. Dann verschwand Tonie einfach und beide glotzten ins Leere.

      »Wenn er mich nicht im falschen Moment erwischt, ist er zumindest aushaltbar«, erklärte Wolf, zuckte mit den Schultern und wandte sich Babe zu. »Und nun? Er ist wohl weg.«

      »Wir brauchen ihn hier nicht unbedingt«, antwortete sie und winkte ab. »Wollte nur eure Situation entschärfen. Warst am Kommunikator ein bisschen zickig.«

      »Hat ja hervorragend geklappt«, brummte Wolf und schniefte laut. »Was wollen wir hier? Gibt doch nur totes Material an diesem Ort.«

      »Das ist das Stichwort. Folge mir«, antwortete Babe, wandte sich um und lief voraus.

      Wolf tippte auf ein Symbol an der Unterseite des Boards, woraufhin es sich auf die Größe einer Handfläche zusammenfaltete, und steckte es in seine Hosentasche. Das strapazierfähige Keramikmaterial war sehr leicht. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und machte keine Anstalten Babe zu folgen. Sie hielt inne, wandte sich um und stopfte ihre Hände in die Hosentaschen.

      »Habe ich dich je beschissen?«, fragte sie ernster, als Wolf es erwartet hatte.

      Nein, niemals, gab Wolf gedanklich zu und schüttelte langsam seinen Kopf. Du bist die einzige Person, welche in mir nie nur den eigenen Nutzen sieht.

      »Du wirst meinen Vorschlag nicht mögen«, sprach sie weiter und trat gegen einen kleinen Stein.

      Wolf fuhr sich entnervt mit der Pranke über sein Gesicht. Er fühlte eine gewisse Art von Treue und Verbundenheit zu ihr.

      Bei den Engeln, ich hoffe, das ist nicht der Köter in mir, dachte er frustriert. Manche Tiere vertrauen Menschen viel zu lang, selbst wenn, sie von ihnen misshandelt werden.

      Er schloss seine Finger um den Kristall, der stets vor seiner Brust baumelte, seufzte und trottete ihr entgegen. Sie lächelte ihn an und stieß spielerisch mit der Schulter gegen seine Brust, als er neben ihr war. Seite an Seite liefen die beiden unter dem wilden Blick des Monstrums die Straße hinab.

      Die Gebäude wurden flacher und bald liefen sie über offenes Land. Geschwungene, silbern glänzende Siliziumplatten bedeckten den Boden, soweit das Auge reichte. Ein paar schlanke, schwarze Obelisken streckten sich dem Himmel wie verkohlte Nadeln entgegen. Der Wind rauschte ungebremst über die Ebene, zerwühlte Wolfs dunkles Fell und ließ Babes Haar wild umherflattern.

      »Lange halte ich das hier nicht aus«, japste Wolf nach kurzer Zeit und atmete schwer durch das offene Maul. »Diese Platten sind wie Spiegel. Wir laufen zwischen zwei Himmeln und braten unter zwei Sonnen.«

      »Ungemütlich hier, gebe ich zu«, erwiderte Babe und schob sich ihre Sonnenbrille die schweißnasse Nase nach oben. »Da vorne ist es.«

      Wolf hob den Blick und blinzelte gegen die Helligkeit der Reflexionen an. Zwischen mehreren, unterschiedlich hohen Obelisken türmte sich eine große Pyramide auf.

      »Gibt hier offensichtlich nicht viele andere Ziele«, murmelte er und begann schneller zu laufen, denn der Schatten des wuchtigen Gebäudes versprach Kühlung. »Warum laufen wir eigentlich, statt einen fahrbaren Untersatz bei den Fabriken … auszuleihen?«

      »Der Energiefluss macht hier Zicken«, antwortete Babe.

      »Nervt«, grunzte Wolf und deutete mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten. »Liegt's an dem riesigen, erstarrten Vieh?«

      Babe drehte sich zu ihm um, ohne anzuhalten, und grinste breit. Sie schüttelte ihren Kopf, warf ihm über die Kante ihrer Sonnenbrille einen wissenden Blick zu und tippte sich an die eigene Nasenspitze.

      »Immer diese Geheimniskrämerei«, grollte Wolf.

      Die weiße Pyramide hatte seltsame Proportionen. Ihre Kanten waren steil und die gesamte Struktur war verdreht, wie ein überdimensionales Schneckenhaus. Wolf trat in ihren Schatten und seufzte erleichtert, als die Sonne endlich nicht mehr direkt auf seinen Pelz brannte.

      Plötzlich wurde ihm schwindelig. Er presste die Lider fest zusammen und schüttelte den Kopf. Doch das Gefühl wollte nicht verschwinden. In der Schwärze rotierte die Umgebung weiter. Seine Ohren drehten sich wie verirrte Satelliten immer wieder in verschiedene Richtungen. Sein Magen schien Anlauf für einen perfekten Rückwärtssalto zu nehmen. Er öffnete die Augen, blinzelte ein paar Mal und rieb sich würgend den Bauch. Babe spazierte unbeeindruckt weiter. Wolf schluckte die Übelkeit hinunter und schlich ihr vorsichtig hinterher.

      Je näher er dem Gebäude kam, desto mehr stellte sich der Haarkamm in seinem Nacken auf. Sein Schweif peitschte aufgeregt hin und her. Die Luft konnte gar nicht schnell genug in seine Lungen gesaugt werden und sein Herz raste, als würde er sprinten.

      Wolf hatte ... Angst? Aber wovor?

      Reiß dich zusammen, ermahnte er sich in Gedanken, ballte seine Hände zu Fäusten und straffte die Schultern. Du bist schließlich kein Welpe mehr. Halt, nein, kein Baby mehr – kein Baby mehr!

      Seine Begleiterin schien nicht im Geringsten beeinträchtigt zu sein. Schützten sie ihre Runen oder war es nur die Bestie in Wolf, welche sich hier so fürchtete? Sie stoppte und er schaute über ihre Schulter auf den Eingang der Pyramide.

      Ein großer Rundbogen ragte vor ihnen auf. Er war mehrere Mann hoch und breit. Verschlungene Muster zierten seinen Rahmen, welche sich um eine komplizierte Kette aus Runen wanden. Dazwischen versperrte eine Wand aus Skeletten und konservierten Leibern den Weg. Ihre Körper waren abweisend nach innen gewandt. Die fahle Haut auf ihren knochigen, gebogenen Rücken glänzte kränklich. Die Arme und Beine waren undefinierbar obszön miteinander verschlungen und versperrten komplett die Sicht auf das, was dahinter lag.

      »Wir sind hier ganz offensichtlich nicht erwünscht«, stellte Wolf voller Unbehagen fest. »Das Ding ist so voller Bio-Magie, dass ich fast einen Knoten im Darm bekomme, wenn ich es nur anschaue – von dem überzogen nekrophilen Stil mal abgesehen. Nebenbei bemerkt, bin ich der festen Überzeugung, dass du nun völlig übergeschnappt bist – nicht, dass dich das besonders interessieren würde.«

      »Ach, komm schon – jedes Mal, wenn ich eine total geile Idee habe, ziehst du den Wahnsinn-Joker, um mir das madig zu machen«, erwiderte Babe vorwurfsvoll und wedelte wie eine Lehrerin mit ihrem Zeigefinger in der Luft herum.

      »Muss ich nicht – das Ding ist vermutlich bereits voller Maden«, knurrte Wolf, trat an die Leichenmauer, packte die Rippe eines Skeletts und rüttelte daran.

      Sofort zogen sich die Rippen zusammen und drohten seine Finger einzuklemmen. Hastig zog er die Hand zurück. Die toten Körper rutschten näher aneinander, pressten sich Schulter an Schulter, Knochen an Knochen. Ein widerliches Knacken und Schmatzen, durchzogen von einem seltsamen Rascheln, war zu vernehmen.

      »Wie sollen wir da durchkommen? Das hier ist keine einfache Sicherheitstür, die wir mit Gewalt öffnen können«, überlegte Wolf laut, verschränkte die Arme vor der Brust und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

      Babe zog ihre Sonnenbrille von der Nase und hängte sie an den Kragen ihres Shirts. Ihr Blick wanderte die Umrisse des Tores ab.

      »Durch diese Barriere dringt kein lebendes Wesen, nur den Jenseitigen ist es gestattet, hier ohne Weiteres hindurchzuschreiten«, sinnierte sie mit leiser Stimme.

      Ihre wohlklingende Wortwahl irritierte Wolf und er schielte argwöhnisch zu ihr hinüber.

      Babe trat näher an die Tür und streichelte mit den Fingerspitzen über die gewundenen Formen. Dann kniff sie ihre Augen zusammen, winkelte ihre Arme an und hob ihre Handflächen. Runen flammten unter der Haut auf. Sie rammte beide Hände in die Tür hinein. Die Leichen rückten erneut eng zusammen. Das Knacken wurde lauter, manche der Brustkörper zerbrachen unter dem Drängen, wie faulige Eier, und geleeartige Säfte quollen hervor. Knochen und


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