Tag X. V. S. Gerling
sich das KSK einen ausgezeichneten Ruf.
Der 11. September 2001 bedeutete auch für das KSK einen Paradigmenwechsel.
Einhundert Mann der Einheit wurden zusammen mit britischen und französischen Soldaten nach Afghanistan geschickt.
Allerdings dachten die alliierten Kräfte im Traum nicht daran, das KSK an Spezialaufträgen zu beteiligen. Diese gefährlichen Einsätze überließen sie lieber den erfahrenen Soldaten der Special Forces oder des SAS. Stattdessen schickte man die deutschen Elitekämpfer zu deren Unmut auf weniger brisante Überwachungsmissionen.
In Afghanistan kamen die Soldaten des KSK natürlich auch in Kontakt mit anderen dort stationierten Soldaten der Bundeswehr. Sie erfuhren von den teilweise katastrophalen Mängeln an der Ausrüstung der Soldaten. Pioniere, die zerstörte Brücken wieder aufbauen sollten, deren Fahrzeuge aber nicht gepanzert waren. Hubschrauberpiloten, die zur Unterstützung verbündeter Kampftruppen eingesetzt worden waren, und die ebenfalls ohne schützende Panzerung auskommen mussten.
Aber was noch viel schlimmer war; die US-Streitkräfte waren bereit gewesen, den deutschen Pionieren ihre gepanzerten Fahrzeuge zu leihen.
Dies wurde jedoch vom Verteidigungsministerium mit der Begründung abgelehnt, die Fahrzeuge der Amerikaner besäßen keine ordnungsgemäße Zulassung laut der geltenden Straßenverkehrsordnung.
Es lag in der Natur der Sache, dass Soldaten kein allzu großes Vertrauen in Politiker setzten. Jemand, der noch niemals selbst durch Scheiße gekrochen war, während ihm Kugeln des Feindes um die Ohren flogen, jemand, der noch niemals mitansehen musste, wie ein Kamerad von einer Mine in Stücke gerissen wurde, so jemand sollte keine Entscheidungen treffen, die über Leben oder Tod bestimmten.
Also war es vollkommen normal, dass die Soldaten des KSK einen Scheiß auf die Worte der Bürokraten gaben. Problematisch wurde es, als sie spürten, dass viele ihrer Offiziere ebenfalls mehr Politiker als Soldaten waren. Wenn Kampftruppen kein Vertrauen in Politiker hatten, hatte das keine unmittelbaren Konsequenzen. Wenn sie jedoch kein Vertrauen in ihre direkten Vorgesetzten mehr setzten, hatte das sehr wohl unmittelbare Folgen.
Die Frustration der Elitesoldaten wurde im Laufe der Einsätze in Afghanistan und später im Tschad und in Libyen immer größer. Mangelhafte Informationen, schlechte Ausrüstung und die Unfähigkeit der Kommandostruktur, die richtigen Entscheidungen zu treffen, führten dazu, dass ein Teil des KSK damit begann, mehr oder weniger autark zu agieren.
Immer die Erfüllung der Mission im Fokus, aber mit eigenen Mitteln.
Hauptfeldwebel Gunnar Abel war Anführer eines Kommandotrupps des KSK. Seine vier untergebenen Soldaten folgten ihm schon seit ihrem ersten Einsatz 2004 in Afghanistan.
Abel war von den Fernspähern zur KSK gekommen.
Hauptfeldwebel Torsten Seifert, ebenfalls Anführer eines Kommandotrupps, hatte seinen ersten Einsatz in Afghanistan nur wenige Wochen später als Abel.
Seifert wechselte vom Jägerbataillon zur KSK.
Beide freundeten sich an.
Beide waren gleichermaßen frustriert und zornig.
Sie hatten es schon längst aufgegeben, ihre Vorgesetzten darum zu bitten, endlich etwas gegen die schlechten Bedingungen zu unternehmen. Spätestens nach ihrem Schlüsselerlebnis war ihnen klar geworden, dass sie auf sich selbst gestellt waren.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der damals amtierende deutsche Verteidigungsminister im Rahmen eines langfristig geplanten Truppenbesuches auch ihren Stützpunkt aufgesucht.
Der übergewichtige kleine Mann hatte sich in einen Kampfanzug gezwängt, trug einen Helm, der ihm ständig ins Gesicht gerutscht war und hatte die ganze Zeit über geschwitzt wie ein Schwein.
Als er die Baracke von Abel und Seifert erreichte, waren die mit ihren Männern gerade von einem Einsatz zurückgekehrt. Der Minister heuchelte Interesse an ihrer Mission und am Ende hatte er sie gefragt, ob sie irgendwelche Wünsche an ihn hätten.
Abel und Seifert hatten einen kurzen Blick gewechselt und geschwiegen.
Dem Minister, ganz Vollblut-Politiker, war das natürlich nicht entgangen. Er forderte den vorgesetzten Offizier der beiden Kommandosoldaten auf, sie alleine zu lassen. Als der Oberleutnant fort war, hatten sich Abel und Seifert kurz zugenickt.
Dann hatte Abel das Wort ergriffen. »Herr Minister, wir werden hier alleine gelassen. Unsere Ausrüstung entspricht nicht den Anforderungen unserer Missionen.«
Dann zählte er die Missstände auf. Je länger er gesprochen hatte, desto unruhiger wurde der Minister.
Aber er machte sich auch Notizen.
Und er versprach, sich um diese Angelegenheit zu kümmern.
Das hätte für ihn Priorität.
Er verließ Afghanistan und sie hörten nie wieder etwas von ihm.
Geändert wurde nichts.
Was folgte, waren Jahre der Sinnlosigkeit. Sie mussten mit ansehen, wie die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, was zur Folge hatte, dass die Bundeswehr keinen Nachwuchs mehr erhielt. Sie erlebten, wie schwer traumatisierte Soldaten nach Hause zurückkehrten, nur um dort alleine gelassen zu werden.
Viele Kameraden nahmen sich das Leben.
Sie registrierten, dass die Politiker sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, ihren Einsatz im Ausland als Krieg zu bezeichnen. Später, als sie erfuhren, warum das so war, konnten sie nur müde mit den Köpfen schütteln. Sollte die Bundesregierung nämlich tatsächlich entscheiden, dass sich die Truppe juristisch im Krieg befindet, änderte sich dadurch die Grundlage des Einsatzes. Der Bundestag müsste in diesem Fall über ein neues Mandat abstimmen.
Das Grundgesetz verbietet aber jede Form von Angriffskrieg.
Rechtlich müsste die Nato deshalb erklären, weshalb sie knapp neun Jahre nach Beginn des Einsatzes am Hindukusch nun plötzlich von »Krieg« sprach.
Totaler Wahnsinn.
Politik halt.
Sie waren seit einem Jahr in Afghanistan, als sie zum ersten Mal von Major Castrop hörten.
Was man über ihn und seine Einheit hörte, konnte nicht stimmen.
Sie taten es als dummes Geschwätz ab.
Ein Offizier der Bundeswehr, seit Anfang des Krieges in Afghanistan, der tat, was er wollte, und von den US-Streitkräften geschützt wurde.
Wo gab es denn so etwas?
Den Gerüchten nach hatten sich dem Major rund zwanzig Männer angeschlossen. Hartgesottene Kämpfer aus unterschiedlichen Verbänden. Killerkommando nannten sie einige.
Angeblich rückten sie nachts aus, um gezielte Tötungen vorzunehmen.
Den Soldaten der alliierten Streitkräfte war das selbstverständlich verboten.
Ein Verstoß gegen diese Vorschriften wurde bei der Bundeswehr ohne Ansehen von Rang und Namen verfolgt und strengstens bestraft.
Was die Amis und Briten mit einem ironischen Kopfschütteln quittierten.
Soldaten sollten kämpfen und nicht Schulen oder Brunnen bauen.
Wenn die Gerüchte stimmten, ignorierte Castrop diese Vorschriften und man ließ ihn gewähren.
Fast so, als hielte jemand Mächtiges eine schützende Hand über ihn …
Sein Ansehen in der Truppe war enorm. Auch die Amis und Briten nannten seinen Namen voller Hochachtung. Und sie fanden das, was er tat, gut.
Abel und Seifert sahen das auch so.
Aber diese Geschichten vom Major … die konnten doch nicht stimmen …
11
»Es gibt nur eine einzige Wahrheit.«
Major