Schweres Blut. Aho Juhani
dabei – daß du so fragst?«
Der Fremde schwenkte die Hand.
»O je, ist zu alt für dich. Du bist zu hübsch und zu fein für den, den alten Kerl.«
»Den alten Kerl? Wart, bis du siehst, was für einen Sack er auf dem Rücken trägt.«
»Das Krummbein, das Hakenkinn! Aber dich habe ich schon einmal gesehen, wenn ich dich genauer betrachte. Du bist wohl die – ja, die bist du – derselbe Kopf, dieselbe Haltung – aber damals hattest du die Haare offen.«
»Ich? Wann?«
»Im vorvorigen 5ommer, vor drei Sommern. Du standest dort an der Bucht bei der Schnelle am Strand und kämmtest dich – splitternackt - ich bin im Boot an dir vorbeigeflitzt?«
»Das bist du gewesen?«
»Wenn ich meinen Kahn hätte anhalten können, hätte ich dich mitgenommen.«
»Hättest du?«
»Ja. Wäre ans Land gekommen, hätte dich, mit der einen Hand unter deinem Arm, umschlungen, mit der anderen deine Füße vom Boden gehoben ... da hebt sich ein Mädchen leicht, denn da muß es einem die Arme um den Hals schlingen – und hätte dich in meinen Kahn geworfen.«
»Nur so hineingeschwungen? – Du bist ein Prahlhans, wer du auch sein magst.«
»Weißt du nicht, wer ich bin, junge Wirtin?«
»Das Gesicht verrät es nicht.«
»Hast du nicht von Schemeikka aus Uchtua reden hören?«
Er streckte sich, reckte sich, verschränkte die Arme über der Brust – vertrat Marja nicht den Weg, fesselte sie mit den Augen, wo sie – die Hand am Pfosten der Ofenbank – stand.
»Schemeikka aus Uchtua?« sagte Marja zögernd.
»Hast du von ihm gehört?«
»Der Bekannte, aus Karelien?« entfuhr es Marja.
»Ja!«
»Der Sohn von Hilappa?«
»Ja!«
Juha rief draußen.
»Was will denn der Alte?«
»Du sollst ihm einen Sack aufhalten!«
Schemeikka drehte sich um, schwenkte die Hand und ging.
Einer von denen war er? Von den Schemeikkas! Von der größten Kaufmannsfamilie Kareliens, von den Waldläufern, Bärentötern, Renntier- und Elchschützen, der hochangesehenen reichen Sippe. Schon als kleines Mädchen, zuhause bei Juhas Mutter, hatte Marja von ihnen sprechen hören, von den Gefürchteten, Gehaßten, Verfluchten, den Mordbrennern, den Frauenräubern ... Hätte mich einfach mitgenommen, konnte aber sein Boot nicht anhalten? – Marja griff nach einer Arbeit, ohne zu wissen, wonach, eilte an die Tür, kam zurück, warf einen Blick durch das Fenster, sah, wie Schemeikka versuchte, sich einen Sack auf den Rücken zu ziehen, aber stolperte und auf die Treppe des Speichers zu sitzen kam. Das hält der Rücken nicht aus, obgleich er lang ist. Juha nahm Schemeikkas Sack und seinen eigenen, den einen auf die rechte, den anderen auf die linke Schulter. Marja entfuhr ein kurzes, spöttisch-rauhes Lachen. Brauchte der ihn gegen mich herabzusetzen? »Das Hakenkinn ... das Krummbein?« Aber ohne das Krummbein wärest du Schlenkerbein jetzt in der Stromschnelle, statt daß er deine Säcke trägt. Magst noch pfeifen, Unverschämter, und mit der Rute auf den Sack schlagen! Glaub nicht, daß ich nach dir sehe! Glotz nicht hinter dich! – und Marja zog sich vom Fenster weg. So einem habe ich die Badestube geheizt!
Als aber die Männer an den Fenstern vorbeigegangen waren, eilte sie doch hinaus und konnte noch sehen, wie der junge Mann mit einem leichten Satz sich über das Zaungatter schwang. Da stand auch die Magd mit einer Last Zweigbüschel auf dem Rücken zwischen Pferch und Rinderstall:
»Guck den tollen Kerl, ist wie eine Seejungfer über den Zaun geflogen. Wer war denn das?«
»Der Schemeikka aus Uchtua will er sein.«
»Da hat man den doch auch einmal gesehen ... wenn auch nur von hinten.«
»Lauf nach, dann kannst du auch sein Gesicht sehen!«
»Geht er schon mit Sack und Pack davon?«
»Ich weiß nicht, jedenfalls hat er nicht ›Lebewohl‹ gesagt. Aber ohne unseren Wirt läge der prächtige Bursch jetzt in der Schnelle, und seine Sachen gehörten einem anderen.«
Nach einer Weile hörte man die Männer zurückkommen, in lautem Gespräch, in guter Laune, Schemeikka mit einem Ranzen auf dem Rücken, den er ins Haus trug.
»Er ist wohl nicht weg?« fragte Marja.
»Die anderen sind weg, aber dieser bleibt noch.«
»Weswegen bleibt er denn? Hätte auch gehen können.«
»Laß nur. 'S ist ein guter Kerl. Er muß noch bis morgen hier auf seine neuen Handelsknechte warten, sagt er. Die kommen hier alle zusammen, und einige ziehen von hier aus andere Straßen, unterhalb der Schnellen. Vielleicht richten sie hier bei uns eine ständige Herberge ein, und ich habe gesagt: tut das nur. Weißt du, der muß ein Bad und Essen haben und in dem Speicher untergebracht werden. Den muß man behandeln wie einen Pfarrer.«
»Weshalb muß es denn der so haben, der Rekel?«
»Er hat gut bezahlt, um keine Kopeke gefeilscht, wie die anderen russischen Leute. Ist spaßig und nett. Hat mir sogar einen Schnaps für meine Mühe gegeben.«
»War er süß?«
»Ob er süß war? Das war er – irgend so was Ausländisches – prickelt mir in den Adern wie im Frühjahr der Saft in der Birke.«
»So als ob die Blätter an dir ausschlagen wollten?«
Juha entfuhr ein behagliches Lächeln und Marja ebenfalls.
»Die Badestube ist fertig, wenn ihr nichts anderes vorhabt.«
»Marja, du mußt selbst kommen und uns das Wasser auf den Ofen gießen.«
»Das versteht wohl Kaisa ebenso gut wie ich.«
»Nicht doch – du, die Wirtin, mußt für den Dampf sorgen. Hör mal! Geh doch nicht – nicht mehr bärbeißig sein ... Was?«
Er getraute sich, Marja mit der flachen Hand in der Seite zu berühren. Und sie fuhr ihn jetzt nicht an, tat, als hätte sie nichts davon bemerkt, wiegte sich nur ganz leise. Aber Juha war es, als habe er nicht die Erde unter den Füßen.
»In die Badestube, Freund!« rief er ins Haus, aus dem Schemeikka sogleich herauskam.
Marja war von den Speichern weg halblaufend nach dem Strande zu gegangen.
»Du hast eine prachtvolle Frau,« sagte Schemeikka, ihr nachsehend. »Hebt die Füße wie ein Füllen vor dem Schlitten.«
»Ja, die hebt die Füße!«
»Ist sie auch sonst nach deinem Sinn?«
»Ja, das ist sie, ist nach meinem Sinn wie sonst nichts. Und deine Frau?«
»Habe mir noch keine zugelegt.«
»So, nicht? Mußt dir eine nehmen. – War verdammt fein, dein Schnaps!« sagte Juha, mit den Fingern knipsend.
»Willst du noch?«
»Jetzt nicht, jetzt nicht ... später, wenn wir gebadet haben. Ich habe dir nichts vorzusetzen als ein bißchen bitteren Fusel. Laß dann die Frau auch etwas von deinem schmecken,« zischelte er, indem er seinen Gast in die Seite stieß. »Wenn du mehr Süßes in deinem Ranzen hast, wollen wir uns das später auch ansehen. Junge Menschen sind sehr hinter Süßem her.«
»Habe süße Sachen, habe schmucke Sachen!«
Juha tappelte und hopste und wußte nicht, wie er sein Behagen ausdrücken sollte ... Der Fremde war doch gerade zur rechten Zeit gekommen. Ohne ihn hätte das Verdrießlichtun