Sweetland. Michael Crummey

Sweetland - Michael  Crummey


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Doch er wusste, es käme nur ein nutzloses Durcheinander dabei heraus, die Hälfte übertrieben oder falsch erinnert, die andere Hälfte ausgedacht, und er ließ sie auf ihre Weise fortfahren. Keith erzählte von einer Frau, die er in Fort Mac gevögelt hatte, wie er in den Nachttisch griff, um die Gleitcreme aus der Schublade zu holen, und stattdessen versehentlich die Muskelcreme nahm. » Dieser A535-Scheiß «, sagte er, die Arme lachend vor dem Bauch. » Hab sie damit ordentlich eingeseift und dann ging das Brennen los. Und sie begann zu schreien, Was zum Teufel hast du mit mir gemacht? Was zum Teufel hast du gemacht? Hab mit ihr die halbe Nacht auf der Notaufnahme verbracht. «

      » Nur Keith kann eine Frau so heiß machen «, sagte Barry.

      » Scheiße, Barr, erzähl Moses von der Neunundsechziger-­Sache. «

      » Leck mich doch, er will nichts davon hören. «

      » Ich will nichts davon hören «, bestätigte Sweetland.

      » Er weiß nicht einmal, was Neunundsechzig bedeutet «, sagte Barry.

      » Er hat doch Internet, erzähl schon die gottverdammte Geschichte. «

      » Ach, Scheiße «, sagte Barry. Er richtete sich auf seinem Stuhl auf und zog die Jeansjacke an der Taille tiefer, wie jemand, der eine Erklärung vor Gericht abgibt. » Ich war mit diesem Mädchen «, sagte er. » Nettes Mädchen, ich habe sie gemocht. Und wir haben, du weißt schon, neunundsechzig gemacht. Und es war verdammt glitschig da unten. Jedenfalls, ich bin mit dem Gesicht und den Augen in ihrer … «

      » Er hat sie wirklich gemocht «, sagte Keith.

      » Ich habe tatsächlich praktisch einen Schnorchel gebraucht, um zu atmen. Und ich bin gerade kurz davor, abzugehen, da rammt sie mir einen Finger in den Arsch. Und ich schnappe nach Luft, weißt du, einfach ganz automatisch. Und ich habe sie eingeatmet, ihre … ihre … «, sagte er und kämpfte damit, das Lachen zurückzuhalten oder das Wort zu finden, das er suchte. » Ihre Schamlippen «, sagte er.

      » Scheiße «, sagte Keith und schlug bereits auf den Tisch. » Moses weiß doch gar nicht, was Schamlippen bedeutet. «

      » Fotzenlippen «, schrie Barry. » Rauf bis in die Nasenlöcher. Und sie klammert ihre Beine um meine Ohren. Und scheiße, wenn ich nicht zu lachen anfange. Und ich würge und komme und lache wie ein gottverdammter Idiot. «

      » Fotzenlippen in der Nase «, grölte Keith. Das Gesicht kirschrot, die Augen hervorgetreten.

      » Ich wäre fast ertrunken, verdammt «, sagte Barry.

      » Mann an Schamlippen erstickt «, sagte Keith, was beiden Männer erneut einen hilflosen Lachkrampf bescherte.

      » Bester Fick seit Jahren «, sagte Barry, als er sich schließlich wieder beruhigt hatte.

      Sweetland hatte kein Problem damit, wenn die Priddles gelegentlich bei ihm auftauchten, das stimmte. Doch er war jetzt viel zu alt für ihren Blödsinn, diese unbarmherzige, sinnlose Flutwelle. Es war, als stünde man draußen in einem Sturm, der zu stark war, um es bis zum Unterstand zu schaffen, weshalb man sich dem Wind stellen und es aushalten musste. Er schlürfte aus seinem Glas das warme Selbstgebraute und wartete darauf, dass das Sperrfeuer zu Ende ging.

      » Wir halten dich nur auf «, sagte Barry eine Stunde später, » wir sollten besser gehen. Wollen die Fähre morgen nehmen. «

      » Geht es zurück nach Alberta? «

      » St. John’s «, sagte Keith und schlug Barry auf die Schulter. » Hab für den Fickfrosch hier einen Termin bei dem Psycho gemacht, mit dem Jesse redet. Wollen mal sehen, ob wir ihn nicht wieder in Ordnung bringen können. «

      Barry drehte seinem Bruder das Hinterteil entgegen und klatschte sich auf die Arschbacke. » Gib deiner Mutter einen Gute­nachtkuss «, sagte er.

      Sie verbrachten weitere fünfzehn Minuten damit, aufeinander einzureden, bevor sie schließlich zur Tür hinaus waren und Sweetland, nachdem er sie verriegelt hatte, dastand und horchte, wie sie den Pfad entlanggingen. Es war nicht unbedingt schlecht, dachte er, dass ihre Mutter nicht mehr da war und sah, wie sie als erwachsene Männer lebten.

      ·

      Bob-Sam Lavallee kam vom Leuchtturm herüber, um sich die Überlebenden aus dem Rettungsboot anzusehen. Sie litten alle an Unterkühlung und waren dehydriert, obwohl keiner von ihnen ernsthaft in Lebensgefahr zu sein schien. Kein festes Essen, sagte Bob-Sam, nur Brühe und Wasser und klaren Tee.

      Irgendwas von der Küstenwache?, fragte Sweetland.

      Sie werden erst morgen irgendwann ein Schiff rausschicken können, sagte Bob-Sam. Sie wollen wissen, von welchem Schiff diese Burschen kommen.

      Da war ein Name am Rettungsboot, sagte er, aber jemand hat ihn abgekratzt.

      Die Männer wurden auf die Häuser in der Bucht verteilt, wo sie sich ihrer verdreckten Kleidung entledigen konnten und anschließend gebadet und ins Bett gesteckt.

      Zu dem Zeitpunkt war Sweetlands Mutter erst seit neun Monaten tot und er war noch dabei, sich an das Haus ohne sie zu gewöhnen. In den kleinen Räumen hallte es wie in einem Gewölbe. Den Großteil seiner Freizeit verbrachte er mit seiner Schwester und Pilgrim, nahm bei ihnen seine Mahlzeiten ein und schlief manchmal auf der Couch in der Küche, wenn er für den zwei­minütigen Weg den Hügel hinauf zu viel getrunken hatte.

      Er hatte sich nicht gemeldet, um Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, außerdem hätte ohnehin niemand zugelassen, dass sie in ein Haus ohne Frau gekommen wären, die sich um sie kümmern konnte. An jenem Abend ging er runter zu Pilgrims Haus, um nach ihnen zu sehen und zu hören, welche Gerüchte über das Martyrium der Flüchtlinge die Runde machten. Pilgrim saß in der Küche auf dem Schaukelstuhl neben dem Herd, eine Zigarette brannte in einem Aschenbecher auf dem Tisch.

      Wo ist die Dame des Hauses?, fragte Sweetland.

      Ist gegangen, um beim Toten in der Kirche zu sitzen.

      Sie hat dich mit den beiden oben alleingelassen?

      Die schlafen jetzt oben, sagte Pilgrim. Diese Nacht werden sie sich nicht mehr rühren, denke ich mir.

      Na ja, unten in der Kirche der wird sich nicht rühren, das kann ich dir garantieren.

      Du weißt ja, wie sie ist, Moses. Nimm dir was zu trinken, sagte er. Ich habe eine frische Ladung Shine fertig.

      Pilgrim war auf einem Boot zu nichts zu gebrauchen und hatte nie eine richtige Arbeit gemacht, doch beim Brauen war er ein richtiger Fachmann. Verkaufte Flaschen seines Moonshine in den Häusern der Bucht und an die Mannschaft der Fähre. Bei Bingo­abenden und Tänzen in der Fisherman’s Hall kümmerte er sich um die Bar, und die Jüngeren machten sich einen Spaß daraus, ihm Einer und Zweier als Zehner oder Zwanziger hinzulegen.

      Er war ein » Mängelexemplar «, wie die Frauen es zu nennen pflegten, seine Mutter hatte bereits große Kinder und nahm an, dass sie die Wechseljahre längst überschritten hatte, als sie unerwartet schwanger wurde. Pilgrims Augen waren von Geburt an blind. Sie führte ihn an der Leine, bis er alt genug war, um die Knoten selbst zu lösen. Er wurde zum Schützling der ganzen Gemeinde, zog von Haus zu Haus. Jede sehende Person übernahm es, ihn von den Trockengestellen, den Anlegeplätzen, dem Wasser fernzuhalten. Durch seine Blindheit wirkte selbst die kleinste Errungenschaft wie ein Zaubertrick – eine Scheibe Brot zu buttern, Bibelverse aus dem Gedächtnis wiederzugeben, Kabeljauzungen zu schneiden. Die Frauen klatschten in die Hände und fütterten ihn mit Rosinen und süßem Tee und küssten seinen Kopf, wenn er sein entzückendes neues Kunststück gezeigt hatte. Es gab keinen Platz in der Bucht, wo er nicht wie ein Sohn willkommen war. Pilgrim behandelte Sweetlands Haus als sein eigenes, blieb dort zum Essen und schlief halbe Nächte mit dem Kopf am Fußende zwischen Sweetland und Hollis.

      Die einzige Berufung, die man für blinde Kinder kannte, war die Musik, und die Kirchengemeinde sammelte Pennies und ­Nickel, um Pilgrim eine Violine zu kaufen. Die Kindergeige war aus Presspappe und Lack, mit Plastiksaiten bespannt. Der Pfarrer


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