Sweetland. Michael Crummey

Sweetland - Michael  Crummey


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Wenn er nicht einsam sein will, hätte er irgendwo nach St. John’s gehen sollen. In ein Heim für pensionierte Geistliche. «

      » So was gibt es doch gar nicht, oder? «

      » Mein Gott, Moses «, sagte Duke. » Würdest du ihm bitte mal etwas Verstand einbläuen. «

      » Klappt nicht. Der liebe Gott weiß, dass ich es versucht habe. «

      Pilgrim stand auf und stellte seine Tasse auf den Sitz hinter sich. » So eine Behandlung kann ich auch zu Hause bekommen «, sagte er. An der Tür blieb er stehen. » Wirst du mit Jesse reden, wie er dich gebeten hat? «

      » Geh verdammt noch mal nach Hause «, sagte Sweetland.

      Duke stand am Fenster und beobachtete, wie Pilgrim im strömenden Regen blind seinen Weg den Hügel hinaufging, wartete, bis er ihn durch seine Haustür verschwinden sah. Wandte sich zurück zum Raum. » Er hat ein unnatürliches Interesse an diesem Jungen «, sagte er.

      » Wer? «, fragte Sweetland, obwohl er von Duke schon mehr als hundert Mal diese Anklage gehört hatte.

      » Der Reverend. «

      » Verdammt, Duke. «

      » Das ist nicht normal, mehr will ich gar nicht sagen. Versucht jetzt, ihn den ganzen Sommer allein in sein Haus zu bekommen. «

      » Ich glaube, er denkt, dass er Gottes Werk tut. «

      Duke schüttelte den Kopf. » Wie-heißt-er-noch-gleich? Bin Laden hat auch gedacht, dass er so was tut, verdammt noch mal. «

      Am Abend war es draußen zu unangenehm, um rauszugehen, und Sweetland versuchte, die Zeit mit einer Partie Poker rumzubringen. Er goss sich ein Glas Rye ein, rührte es aber nicht an, und blickte kaum zu den aufleuchtenden Karten, sodass er innerhalb einer Stunde seinen Einsatz verloren hatte. Er saß da und schob das Glas in Kreisen über den Tisch. Das alte Haus knarrte bei jedem Windstoß, der Wind warf den Regen eimerweise gegen die Fensterscheiben. Im Wohnzimmer zog sich eins der letzten Hockeyspiele der Saison hin, der Lärm der Zuschauer an- und abschwellend wie ein eigenes Unwetter. Fast rechnete er damit, dass die Priddle-Jungs auftauchen, besoffen ins Haus stürmen und einen Drink verlangen würden, um sich dann über die Lebenshaltungskosten in Fort Mac auszulassen, das Geld, das sie mit Überstunden verdienten, das nackte Fleisch, das man in den Bars da oben bekommen konnte.

      Die Priddles waren sogenannte irische Zwillinge, der zweite war zehn Monate nach dem ersten auf die Welt gekommen, und sie hatten ihr Leben lang nie etwas ohne den anderen getan. Sie schwammen und angelten und machten Feuer, sie tranken und wilderten Elche und zockten gemeinsam. Zusammen besaßen sie ein Boot und übernahmen für ein paar Jahre die Krabbenlizenz ihres Vaters, bis sie sich dazu entschlossen, auf dem Festland zu arbeiten. Während der Bausaison verschwanden sie sechs oder acht Monate lang nach Nova Scotia oder Ontario, verbrachten dann die Wintermonate zu Hause, strichen Arbeitslosengeld ein und nervten die anderen. In Burin wurden sie wegen Drogenbesitz und -handelsabsichten verhaftet, plädierten auf einfachen Besitz und eine viermonatige Haftstrafe im staatlichen Gefängnis von St. John’s. Sie waren jetzt über vierzig und keiner der beiden hatte geheiratet oder auch nur die kleinste Neigung gezeigt sich niederzulassen. Sie waren zähe Burschen und die Gesellschaft des anderen schien sie dazu zu bringen, noch zäher und rücksichtsloser zu sein, als sie es ohnehin schon waren.

      Ned Priddle hatte es nie ganz verwunden, dass Effie bei der Geburt von Keith starb. Ned sagte es nicht, doch er benahm sich so, als würde er den beiden kleinen Jungs den Verlust seiner Frau vorwerfen, und nahm ihnen ihre Ansprüche an ihn übel. Als sie älter wurden, blieben sie sich selbst überlassen, vor allem, nachdem ihr Vater wieder heiratete. Sie verbrachten den Großteil ihrer Zeit auf dem Wasser oder im Wald. Sie bauten sich einen drei mal drei Meter großen Schuppen im Tal auf der anderen Seite von Sweetland, die Holzstämme mit Moos verstopft, ein einziges winziges Fenster, das sie aus einem alten Steuerhaus gerettet hatten. Dort lebten sie mehr oder weniger und verwilderten wie Katzen in einem verlassenen Stall. Über die Jahre hatten die Jungen die Hütte schrittweise gebaut und immer wieder umgebaut, wobei sie das Baumaterial mit dem Quad heranschafften. Sie meinten, sie würden dorthin gehen, wenn sie von allem genug hatten und das Leben in Chance Cove für ihren Geschmack zu hektisch wurde.

      Als die Priddles aufwuchsen, waren sie den meisten Leuten zu wild, um sie zu ertragen. Sweetland war einer der wenigen, der sie über die Schwelle ließ, und während ihrer Teenagerjahre sah er sie öfter als ihr eigener Vater. Er lebte allein und besaß nichts, was nicht geklebt werden konnte, falls es zu Bruch ging. Und er hatte das Gefühl, bei Effie etwas gutzumachen, wenn er sich um die Jungs kümmerte. Obwohl er nicht genau bestimmen oder benennen konnte, was es war.

      Nach der Schule kamen sie vorbei und guckten sich, wenig altersgemäß, Die Glücksbärchis oder Die Schlümpfe an. An Sonntagabenden kamen sie für das Fernseh-Wrestling und er gab ihnen ein Glas selbst gebrautes Bier zu trinken. Sie gaben sich selbst Wrestlingnamen – Tidal Wave und Rip Tide –, und in den Werbepausen schlugen sich die Brüder wie Verrückte. Sweetland nannte sie Pancake und Over Easy, die Goldenen Priddles, eine Andeutung, die sie nicht mitbekamen, aber trotzdem beleidigt waren. Keith war der größere und Sweetland musste sich gelegentlich ins Getümmel stürzen, um Barry vor dem Schlimmsten zu bewahren. Dann warfen sie sich eine Weile von ihren gegenüberliegenden Stühlen aus Schimpfwörter zu, wobei Heulsuse und Schwanzlutscher ihre liebsten waren.

      Hin und wieder brachten ihm die Brüder ein paar Kaninchen mit und halfen im Herbst beim Einsäen der Kartoffeln. Sie begleiteten ihn beim Holzholen und waren ganz wild auf die Arbeit, sie hackten und sägten und schleppten mit derselben fröhlichen Hingabe, die er bei ihnen sah, wenn sie sich auf dem Boden seines Wohnzimmers gegenseitig Piledriver und Sleeper Holds verabreichten. Er bezahlte sie für ihre Hilfe mit einem Dutzend Bier und ein paar Pornoheften, und sie empfanden das als angemessene Bezahlung.

      Seit sechs Jahren arbeiteten sie jetzt schon in Fort McMurray, drei oder vier Wochen Arbeit, dann hatten sie zwei Wochen frei, um nach Hause zu fliegen und ihr ganzes Geld zu vertrinken, zu verrauchen und durch die Nase zu ziehen. Es war ein Lebensstil, der nicht gerade dazu beitrug, dass sie weniger Ärger verursachten. Sie entschieden sich für Kokain als ihre bevorzugte Entspannungsdroge, und das manische Hoch gab ihrer Rücksichtslosigkeit einen unangenehmen Beigeschmack. So verlor Barry an dem Nachmittag die Spitze seines Zeigefingers, als sie abwechselnd ein angezündetes Streichholz aus dreißig Schritten Entfernung mit einem Zwanzigkaliber auszuschießen versuchten, indem einer die kleine Flamme auf Armlänge von sich hielt. Barry war so high, dass er den Schmerz gar nicht richtig spürte. Er wickelte den Finger in ein Taschentuch und schoss dann noch einmal auf das Streichholz seines Bruders.

      Mit der Zeit tauchten sie immer seltener bei Sweetland auf und bevorzugten Orte mit leichterem Zugang zu Drogen und Frauen. Doch alle waren nervös, wenn sie nach Hause kamen. Als würde man ein paar wilde Hunde in einem Hotelzimmer lassen. Der Ort war nicht halb so groß wie nötig noch besonders geeignet für das Leben, das sie führen wollten, und es gab immer irgendwelche Schäden in ihrem Kielwasser. Sweetland versuchte ebenfalls, Abstand zu halten, obwohl es unmöglich war, ihnen ganz aus dem Weg zu gehen.

      Er hob das Glas Rye an den Mund, probierte es aber nicht. Das Wetter war selbst für die Priddles zu schlecht, nahm er an. Als das letzte Tageslicht endlich verschwunden war, ging er ins Wohnzimmer, um den Fernseher auszustellen.

      Sweetland wachte vor Tagesanbruch auf und wälzte sich schwerfällig im Bett. Döste noch ungefähr eine weitere Stunde. Es war fast acht, als er schließlich aufstand und in Unterhose und Unterhemd zum Badezimmer ging. Er ließ das Wasser laufen, während er die unverletzte Seite seines Gesichts rasierte, wo die Barthaare noch wuchsen. Ließ sich dann im brühendheißen Wasser einweichen, solange er das Nichtstun ertragen konnte. Er nahm seine » gute Garderobe « aus dem Kleiderschrank im Schlafzimmer, eine dreißig Jahre alte Anzughose und ein weißes Hemd, das er für die Beerdigung seiner Mutter gekauft hatte. Fuhr sich mit einem Kamm durch das ölige Haar, bevor er die Treppe nach unten ging.

      Am Sonntag unterließ er jede Art von Arbeit. Er hackte kein Holz, noch ging er


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