Sweetland. Michael Crummey

Sweetland - Michael  Crummey


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die Stützbalken ersetzt. Dein kleines Museum, wie Clara es nannte.

      Er legte die Kettensäge und den Benzinkanister und die Axt und den Essensbeutel ans Ende des Stegs und kletterte hinunter in sein Boot, überprüfte dann den Motor und das Funkgerät.

      Jesse war außer Atem, als er über die Planken stampfte. Das Hemd hing ihm aus der Hose, das Gesicht war noch vom Schlaf zerdrückt. Eine Jacke hing ihm schlaff in der Hand.

      Sweetland nickte ihm zu. » Gib mir mal die Kettensäge «, sagte er, und ihm kam ein Gedanke. » Du hast doch nicht vor, jemanden mitzunehmen, oder? «

      » Nur Hollis «, sagte der Junge.

      » Ich nehme Hollis nicht mit. «

      » Er wird auch nichts sagen. «

      » Als er gelebt hat, mochte er es nie, auf dem Wasser zu sein. Da werde ich den Arsch auch jetzt nicht mitnehmen. Kommst du oder nicht? «

      Der Junge wandte sich ab, um flüsternd mit dem toten Mann zu sprechen. Sweetland konnte nicht sagen, zu welchem Ergebnis es führen würde, bis Jesse die Axt nahm und runter auf das Dollbord trat.

      Es war schon fast hell, als sie sich zur Mündung der Bucht wandten und hinaus in die Schaumkronen des offenen Meeres fuhren. Eine dreistündige Tour bis zu der Bucht, wo er sein Holz schlug, und Jesse schlief auf halbem Weg ein. Sweetland stand mit dem Gesicht im Wind und beobachtete die Küstenlinie, die sich wie eine langsam treibende Flutwelle aus Fels und Fichten aus dem Ozean erhob.

      Er weckte Jesse, bevor er in die Bucht einbog, ließ den Jungen das Ruder übernehmen. Über ihnen steile Hänge, zwischen den Fichten eine Mischung aus Birken und Balsamtannen. » Bring es drüben bei Nancy’s Rocks herum «, sagte Sweetland, ging am Bug entlang und machte das Boot an einem verrosteten Eisenring fest, der vor ewigen Zeiten dort in den Granit gebohrt worden war. Zusammen stiegen sie aus und traten ans Ufer und der Junge sprang hoch zu den Bäumen, ungeduldig wie ein Hund.

      ·

      Während des Tages war Wind aufgekommen und der Ozean schlug nach ihnen, als sie auf dem Rückweg aus der Bucht kamen, das Boot träge mit einer vollen Ladung Holz. Als sie an Little Sweetland vorbeifuhren, bogen sie in den Windschatten ab, um ein paar Minuten aus dem Schlimmsten heraus zu sein. Die Insel war bucklig und karg und einsam. An der Südseite von Tilt Cove standen zwei einfache Hütten mit Satellitenschüsseln an der Außenwand. Sweetland hatte noch nie gesehen, dass jemand diese Hütten benutzte, obwohl sie seit Jahren dort waren.

      » Hier haben sie die Büffel hingebracht «, sagte Jesse.

      Jedes Mal, wenn sie an Tilt Cove vorbeikamen, wollte er das bestätigt haben und bestand darauf, die Geschichte zu hören, eingefordert wie eine Maut, um die Passage fortzusetzen.

      » Das ist der Ort. «

      » Wie viele Leute lebten hier? «, fragte Jesse und überraschte Sweetland damit. An diesem Detail hatte der Junge bisher kein Interesse gehabt.

      » Da lebten fast hundert, als ich in deinem Alter war «, sagte Sweetland.

      » Was ist mit ihnen passiert? «

      » Sie wurden alle in den Sechzigern von der Smallwood-Regierung umgesiedelt. «

      » Wo sind sie hingegangen? «

      » Hierhin und dorthin «, sagte er. » Placentia Bay. Burgeo, Hermitage. St. John’s. «

      » Jetzt sind sie alle tot. «

      Sweetland nickte. Er wusste nicht, wo der Junge noch Dinge in seinen Kopf hinpacken konnte. » Die meisten, nehme ich an. «

      » Du hast ihnen an Land geholfen «, sagte Jesse.

      » Was meinst du? «

      » Den Büffeln. «

      » Das war ziemlich lustig «, sagte er.

      Er war gerade zurück von seinem ersten Einsatz in Toronto, wo er als Deckarbeiter auf einem Schoner arbeitete, der Trockengut und Salzfisch an der Südküste transportierte. Die Ceciliene ­Marie. Sie waren durch die Meerenge nach Cape Breton gefahren, um Bison aufzunehmen, die Tiere wurden in Einzelcontainern mit einem Kran vom Dock gehoben und in einen improvisierten Pferch im Frachtraum gelassen. Insgesamt zwei Dutzend, die meisten einjährige Kühe. Zwei Bullen. Seltsam aussehende Dinger, jedes tausend Pfund schwer, das meiste Gewicht im massiven Kopf und den Schultern, superschwer auf ihren dünnen Beinen. Das Gegenteil von Eisbergen, dachte Sweetland, neun Zehntel über dem Wasser. Die Tiere waren glasäugig von der Betäubung und stanken nach Scheiße und Angst. Fünf waren im Waggon auf der Reise von Manitoba gestorben und Sweetland dachte, es wäre ein Wunder, wenn eins die Meeresüberfahrt überleben würde.

      Das Amt für Wildtiere wollte sie dort ansiedeln, da es ein paar große Tiere den wenigen in der Provinz hinzufügen wollte. Sie planten, die Bisons nach Little Sweetland zu bringen, um sicherzustellen, dass es kein Krankheitsrisiko für lokale Tiere gab, bevor die Herde später zur größeren Insel Neufundland gebracht werden sollte. Doch das wurde nie gemacht.

      Die Ceciliene Marie segelte an Sweetland vorbei, um die Nacht in Miquelon zu ankern. Dort betranken sie sich, die Beamten von der Behörde und Sweetland, ankerten am letzten Überbleibsel Neufrank­reichs, das noch immer französisches Territorium war. Es war das einzige Mal, dass er dort war. Die Beamten waren alle Neufundländer, doch der Verantwortliche war ein Amerikaner aus Nevada. Er hatte den Halt in Miquelon gefordert, weil er, wie er meinte, jede Chance nutzen würde, eine Nacht in Frankreich zu verbringen.

      Als sie am nächsten Morgen in Tilt Cove ankamen, war es feucht und klamm. Dutzende Menschen waren von der Fortune Bay und der Burin-Halbinsel herübergesegelt, um das Ereignis zu beobachten, der Hafen gedrängt voll mit Booten, und Zuschauer auf den Dächern der Häuser, die noch in der Bucht standen.

      Der Frachter konnte nirgendwo anlegen, weshalb sie im tieferen Wasser ankerten. Die Büffel wurden einzeln in Kisten geladen, um mit einem Floß an Land gebracht zu werden, das sie gebaut hatten. Diese hatten Duke Fewer angestellt, um das Floß mit seinem Longliner hin und her zu ziehen. Sweetland saß beim ersten Dutzend Umsetzungen auf dem Kran und senkte die Kisten auf das ebene Floß neben dem Schoner. Die Bisons sediert und mehr oder weniger still, als sie an Land gebracht wurden. Benommen stakten sie ins Freie, schüttelten ihre mächtigen Schultern und stolzierten trunken aufwärts und weg vom Wasser. Die Leute auf den Dächern johlten und schrien fassungslos, während die mythologischen Geschöpfe in ihrer verlorenen Herde herumzogen, hin und her gingen, an dem Riedmoos scharrten und die salzige Luft schnüffelten.

      » Das sind keine echten Büffel «, verkündete Jesse.

      » Ist das so? «, fragte Sweetland.

      » Bisons sind nicht mit Wasserbüffeln oder afrikanischen Büffeln verwandt. «

      » Womit sind sie dann verwandt? «

      » Mit Kühen «, sagte Jesse. » Und Ziegen. «

      Der Junge zitierte das Ergebnis einer Google-Recherche, ein Universum aus Fakten, das ihm zur Verfügung stand. Als wäre er nicht so schon anstrengend genug, dachte Sweetland. » Wie dem auch sei «, sagte er, » stört es Eure Hoheit, wenn ich sie trotzdem, für den Zweck dieser Geschichte, Büffel nenne? «

      » Das stört mich nicht «, sagte Jesse.

      Sweetland hatte nach dem Mittagessen auf das Floß gewechselt und stand mit einem Beamten da, während jede Kiste einzeln herangeflößt wurde. Dabei hielt er sich an der Oberseite der Kiste fest, um auf der engen Fläche Platz zu haben. Am Ufer stellte er sich nach hinten, während der Beamte die Tür öffnete. Falls sie eine Ermunterung brauchten, um ins Freie zu gehen, stupste Sweetland die Tiere von hinten mit einem Stock durch ein eigens gebohrtes Loch.

      Sie treten sofort die Wand durch, wenn es ihnen in den Kopf kommt, warnte ihn der Beamte, also pass gut auf.

      Die Tiere waren alle morgens betäubt worden, doch im Laufe des Nachmittags schienen sie langsam


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