Von unten nach oben - Eine Lebensgeschichte. George Eiselt

Von unten nach oben - Eine Lebensgeschichte - George Eiselt


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sagt „so la la“, das heißt, ich hatte immer ziemlich durchschnittliche Noten auf den Zeugnissen. Einen krassen Ausrutscher gab es lediglich einmal auf einem Zwischenzeugnis in der siebenten Klasse, da erschienen plötzlich vier Vieren, aber diesmal nicht in den allgemeinen Verhaltensnoten, sondern in ziemlich wichtigen Fächern. Weil mir das nun aber doch ein bisschen zu viel der schlechten Zensuren war, hatte ich den heroischen Einfall, wenigstens eine Vier durch eine Drei zu ersetzen. Das bewerkstelligte ich, indem mir „aus Versehen“ ein Tropfen aus meinem Füllfederhalter auf eine Vier fiel, den ich meiner Meinung nach geschickt mit einer Rasierklinge entfernte und an diese Stelle eine Drei schrieb. Meinem Vater konnte ich das glaubwürdig darstellen, aber nachdem ich das von ihm unterschriebene Zeugnis der Klassenlehrerin nach den Schulferien zurückgab, natürlich hatte ich die gefälschte Drei wieder in eine Vier verwandelt, flog der ganze Schwindel auf. An dem Tag der Zeugnisrückgabe war das jedoch nicht das einzige Fiasko, was mir widerfuhr. Denn in der großen Hofpause, das ist die Pause, wo das Mittagessen ausgegeben wird, veranstalteten wir, also einige Schüler, regelmäßig sogenannte Reiterkämpfe. Ich, der ich immer schon in der Körpergröße relativ kurz geraten war, saß dabei bei meinem an Wuchs größeren Partner auf der Schulter und musste nun versuchen, meinen Gegner, der ebenfalls auf der Schulter eines Schülers saß, zu Boden zu werfen. Ich möchte mich hier nicht rühmen, aber meistens ging ich als Sieger hervor, was mir, nebenbei bemerkt, höchste Sympathiewerte in der Klasse einbrachte. An diesem Tag jedoch fiel mein Gegner so unglücklich auf den Boden, dass ein Arm von ihm nicht mehr so war, wie er eigentlich sein müsste, er zog sich dabei nämlich einen Bruch zu. Wegen dieses Vorkommnisses wurde ich in der darauffolgenden Unterrichtsstunde zum Schuldirektor beordert, um dort noch einmal den genauen Sachverhalt zu schildern. Nun war es zu jener Zeit so, dass es in der großen Pause zum damals nicht gerade sehr üppigen Mittagessen immer ein trockenes Brötchen dazugab. In besagter Unterrichtsstunde war ich jedenfalls gerade dabei, dieses Brötchen zu mir zu nehmen, hatte also den Mund in dem Moment richtig mit Selbigem gefüllt, als ich zum Direktor musste. Bevor ich ihm nun Rede und Antwort stehen konnte, war ich nun gezwungen, in seinem Beisein erst einmal meinen Mundinhalt in Richtung Magen zu leeren, was bei ihm natürlich nicht gerade zur Erheiterung beitrug. Ich musste also an diesem einen Tag drei für mich negative Ereignisse verkraften, die letztendlich auch noch in einem persönlichen Schülertagebuch festgehalten wurden, welches wöchentlich von den Eltern gegengezeichnet werden musste. In dieser Woche standen demzufolge die zuvor von mir noch nie erreichte Rekordanzahl von drei Tadeln im besagten Tagebuch. Da die Klassenlehrerin mir nicht zutraute, dass ich es in unverfälschter Form meinen Eltern zur Unterschrift vorlegte, wurde es in solchen Fällen immer einer Musterschülerin mitgegeben, die den gleichen Nachhauseweg wie ich hatte. Sie übergab es immer meiner Mutter und abends folgte dann die Standpauke seitens meines Vaters, einhergehend mit der Verkündung gewisser für mich einschneidender erzieherischer Maßnahmen. In diesem Fall zum Beispiel bekam ich drei Monate Stubenarrest, durfte also nicht mehr allein raus zum Spielen, sondern nur im Auftrag meiner Eltern Einkäufe tätigen. Meine Mutter jedoch, die dieses Strafmaß ihrer Meinung nach für unangemessen hoch empfand, gewährte mir trotzdem einige Strafmaßerleichterungen, ohne, dass mein Vater davon erfuhr.

      Im Großen und Ganzen kann ich aber sagen, dass ich eine relativ ausgeglichene Kindheit erleben durfte, die nur ab und wann vom scherzhaft boshaften Treiben meiner Brüder getrübt wurde. Sie trieben nämlich des Öfteren ihren Schabernack mit mir, der mich teilweise seelisch sehr belastete. Ein Beispiel möchte ich an dieser Stelle kurz ansprechen.

      Da ich als das jüngste Kind immer zuerst ins Bett musste und meine Eltern auch nicht immer anwesend waren, dachten sich meine Brüder, dass es doch lustig wäre, mich mal auf gruselige Art richtig zu erschrecken. Sie steckten sich jeder eine kleine Taschenlampe in den Mund, beugten sich in dem verdunkelten Zimmer über mich und gaben dabei laute gespenstige Töne von sich. Dass ich dadurch einen tüchtigen Schreck bekam, kann wohl jeder nachvollziehen. Das hatte bei mir teilweise solche tiefgründigen Nachwirkungen, dass ich immer mit schaurig ängstlichem Gemüt in den Keller ging, wenn ich den Auftrag bekam, etwas hochzuholen.

      Im Allgemeinen aber war das Zusammenleben mit meinen Brüdern schon in Ordnung und ich konnte in vielerlei Hinsicht von ihnen profitieren. Zum Beispiel hatten wir Kinder in den fünfziger Jahren aus finanziellen Gründen noch kein eigenes Radio in unserem Zimmer. Mein ältester Bruder, der den Beruf des Elektrikers absolviert hatte, bastelte für uns Kinder einen sogenannten Behelfsradioempfänger auf der Basis eines Detektors. Er bestand aus einem streichholzschachtelgroßen Gehäuse, indem ein kleiner Siliziumkristallstein befestigt war, auf den wiederum eine Feder, so groß wie die in einem Kugelschreiber, drückte. Diese Feder war außen mit einem Drehgriff verbunden, so dass man damit auf dem Kristall herumkratzen konnte. Der Kristall war außerdem noch mit einer Spule mit einem kleinen Magneten verbunden, an dem ein langer Draht befestigt war, der als Antenne fungierte. Um die Antennenwirkung noch zu vergrößern, wurde der Draht zusätzlich noch an die Spiralfedern eines Bettes angeschlossen. An der Spule schließlich war noch ein kleiner Kopfhörer angeschlossen, den man ans Ohr drücken konnte. Wenn man jetzt mittels des Drehgriffes an dem Kristall herumkratzte, so ertönte bei bestimmten Stellungen Musik von irgendwelchen undefinierbaren Sendern, die natürlich qualitätsmäßig nicht das größte Klangerlebnis darstellte, aber für uns ein großartiges Erlebnis war.

      Ein Ereignis in meiner Kindheit verdient im Zusammenhang mit meinen Brüdern noch besondere Erwähnung. Am Heilig Abend wurde bei uns immer vor der Bescherung erst in der Küche Abendbrot gegessen. In den ersten Jahren nach dem Krieg, wo noch keine speisemäßige Üppigkeit herrschte, kam an diesen Abenden regelmäßig ein Gericht auf den Tisch, was aus übereinander geschichteten und in Milch eingeweichten Weißbrotscheiben bestand, jede Schicht wurde außerdem mit Zucker und Mohnsamen bestreut. Es nannte sich Schlesische Mohn-Kließla. Diese Speise wurde dann auf die Teller verteilt und mit einem Löffel gegessen. In den späteren Jahren, wo es uns finanziell schon besser ging, gab es an Stelle der erstgenannten Speise prinzipiell pro Kopf zwei Knackwürste mit Kartoffelsalat. Solchermaßen gesättigt ging es dann zur Bescherung über den Korridor ins Wohnzimmer, wobei auf diesem Weg immer zusammen ein Weihnachtslied geträllert wurde. Im Wohnzimmer bestaunten wir zuerst den von unseren Eltern in totaler Abgeschiedenheit geschmückten Weihnachtsbaum und stürzten uns dann natürlich auf unsere Geschenke. Die fielen natürlich damals nicht so üppig aus, wie es heute üblich ist, aber wir erfreuten uns auch an kleineren Sachen. Als ich schon in die Schule ging und unsere finanzielle Situation schon besser war, bekam ich einmal einen Stabil-Baukasten ganz für mich allein, vorher waren es immer Geschenke, die für alle Verwendung hatten, wie z.B. Gesellschaftsspiele, sowie irgendwelche selbstgestrickten Sachen zum Anziehen. Nebenbei gesagt, sah unser Tannenbaum auch nicht so aus, wie man es heute so gewohnt ist. Wir hatten in der DDR immer nur Fichten als Weihnachtsbaum, die meistens schon beim Schmücken so viele Nadeln verloren, dass sie regelrecht gerupft aussahen. Als wir das erste Weihnachten in der BRD feierten, kauften wir uns eine Edeltanne für 35 DM, obwohl unser finanzieller Rahmen damals noch sehr eng gestrickt war. Aber wenn man die Photographien mit denen von früher vergleicht, fällt einem der Unterschied erst so richtig ins Auge. So einen Baum, wie wir ihn früher hatten, würden sich heute noch nicht einmal die Ärmsten von den Armen in die Wohnung stellen.

      An dem für mich besonderem Weihnachtsabend jedoch traute ich kaum meinen Augen, denn unter dem Weihnachtsbaum war ein kreisförmiger Schienenstrang aufgebaut mit einer elektrischen Eisenbahn einschließlich einigen Anhängern. Diese Anlage hatte mein mittlerer Bruder mit Hilfe eines kleinen Zuschusses meiner Eltern gekauft, der zu dieser Zeit schon seine Ausbildung als Fernmeldebaumonteur absolviert hatte und sein eigenes Geld verdiente.

      Diese kleine Eisenbahnanlage zog eine mehrere Monate dauernde Bastelzeit nach sich, denn wir schufen aus diesen Anfängen eine Anlage, die ca. 2,00 m in der Länge sowie 1,50 m in der Tiefe maß. Die Grundlage hierfür bildete eine Spanplatte, die über das Bett unseres inzwischen aus der Wohnung ausgezogenen älteren Bruders gelegt wurde. Sämtliche Aufbauten, wie zum Beispiel Landschaft mit Gebirge und Tunnel, Straßenzüge, Bäume, Sträucher und Häuser wurden von uns selbst gebastelt. Lediglich das Bahnhofsgebäude mit Bahnsteig sowie Ampelanlagen und Schranken, die entsprechend der Notwendigkeit automatisch gesteuert wurden, hatten wir käuflich erworben. Ich war hierbei für die Aufbauten zuständig und mein Bruder für die komplette Elektrik. Auf dieser Anlage befanden sich zwei durch fünf Weichen miteinander


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