Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff


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wollte, der ihm zuarbeitete, oder wirklich als eigenständigen Ausbilder und Zureiter. Irgendwie fürchtete Heinrich, dass Veit ihm dann wieder überlegen sein und ihn das auch spüren lassen würde. Andererseits sah Veit gerade nicht nach Arroganz oder Selbstüberschätzung aus. Vielleicht konnte er es riskieren. Vielleicht würde Veit ihn diesmal ernst nehmen, weil er nicht sein Schüler war, sondern sein Herr. Sein Herr.

      Irgendwie hatte das Schicksal seinem ehemaligen Freund übel mitgespielt. Heinrich überlegte kurz, wie es denn für ihn an Veits Stelle wäre. Es war kein gutes Gefühl.

      Veit wartete still. Der Herr Heinrich plante anscheinend, wieder Pferde zu trainieren. Warum sprach er nicht endlich?

      Heinrich fasste sich ein Herz und redete einfach. Er starrte den Tisch an, während er erzählte, was ihm während der letzten Monate im Kopf umgegangen war. Er wollte wieder Pferde züchten, und zureiten, und fürs Erste auch Jungpferde zukaufen und ausbilden.

      Das hatte er ja schließlich gelernt und wollte es wieder tun. Heinrich erzählte natürlich nicht, dass er das Gefühl hatte, die letzten Jahre stinkfaul gewesen zu sein, und dass er sich nach einer Aufgabe sehnte. Das ging niemanden etwas an. Er erzählte von seinen Plänen mit den neuen Ställen und dass er auch vorhatte, die scheuen und wilden und schwierigen Pferde der umliegenden Nachbarn zuzureiten, wenn diese das wollten und auch bezahlten. Und jetzt kam der schwierigste Teil. Heinrich zögerte kurz. Er starrte immer noch nach unten, und erzählte dann der Tischplatte, dass er das ja nicht allein tun konnte, und jemanden brauchte, der auch Pferde trainieren konnte, und vor allem jemanden, der wusste, wie man so etwas organisierte. Und natürlich jemanden, der die Drecksarbeit machte. Das sagte Heinrich selbstverständlich nicht, aber beide wussten, dass es so war.

      Heinrich hatte seine Ideen ausgesprochen. Er wusste, dass Veit keine Wahl hatte, aber er war trotzdem recht angespannt. Tief in sich drin fürchtete er, dass Veit, der übermächtige Lehrer seiner Kindheit, ihn auslachen und ihm das Talent absprechen würde. Veit hatte gebannt zugehört. So etwas hatte er sich schon öfters überlegt und durchdacht. Es wäre so wunderbar, wenn es klappen würde. Er war sich nicht sicher, ob der Herr eine Antwort wünschte, also wartete er ab. Nach kurzer Stille fragte Heinrich: „Und was meinst Du dazu?“

      Veit wusste, dass er vermutlich so etwas sagen sollte wie „Ich werde alles tun, was Ihr wünscht“, aber es ging nicht. Zu lange hatte er gewartet. Also erzählte er dem Herrn Heinrich von den Pferden, die gerade im Stall waren. Von den Fohlen, wie alt sie waren, wie man sie trainieren konnte, er sprach auch über das wilde Pferd, das Heinrich geschenkt bekommen hatte, und das keiner zähmen konnte. Er redete sich in Fahrt und beschrieb seine Vision, die der von Heinrich ziemlich nahekam.

      Heinrich saß da und war verblüfft. Veit lachte ihn nicht aus und sprach ihm auch nicht das Talent ab.

      Offenbar hatte er die gleichen Träume wie er selbst.

      Am Schluss seiner Erklärungen, als er schon geendet hatte, fiel Veit die ursprüngliche Frage wieder ein. Deutlich scheuer als gerade noch fügte er hinzu: „Ich finde Eure Pläne wirklich gut, und ich würde gerne helfen, wie auch immer“.

      Heinrich entspannte sich. „Gut, abgemacht. Wir fangen morgen an. Ich komme nach dem Gespräch mit dem Verwalter“.

      Heinrich sprach jeden Morgen mit dem Verwalter, und künftig würde auch Martin dabei sein, der das Ganze ja lernen sollte. Plötzlich fand Heinrich, dass es eine gute Idee war, Martin zum Verwalter auszubilden. Heinrich wurde leicht rot. Er kam sich sehr selbstsüchtig vor. Martin war beschäftigt, und er konnte mit Veit die Pferde zureiten. Die Tatkraft packte ihn, und die Vorfreude.

      Veit nickte. „Ich bin wahrscheinlich auf der Weide und bessere Zäune aus.“ Dann stand er auf. Heinrich gestattete ihm zu gehen, was Veit nach einer höflichen Verbeugung auch tat.

      Auch er war voll Tatendrang und Vorfreude, die allerdings deutlich getrübt war. Er wusste einfach nicht, ob Heinrich seine Idee wirklich umsetzen würde, ob er dranbleiben würde, wenn es schwierig wurde. Ob er sich von Veit etwas sagen lassen würde, oder einfach nur jemanden brauchte, der die harte Arbeit für ihn verrichtete. Veit wusste es nicht. Er würde es ganz einfach abwarten müssen, etwas anderes blieb ihm – wie so oft – nicht übrig.

       Kapitel 9: Große Pläne

      Am nächsten Vormittag stand Veit wie so oft auf der Weide und besserte Zäune aus. Er war allein, auch wie so oft. Seit über zehn Jahren mieden ihn die anderen, und er wusste auch, warum. Aber er weigerte sich, drüber nachzudenken. Normalerweise schaffte er es, an nichts, außer an die nächste Arbeit zu denken, und sie gut und gründlich zu erledigen. Arbeiten half, über den Tag zu kommen und sich abzulenken. Er arbeitete gerne und viel mehr als die anderen Knechte. Die waren froh, wenn Feierabend war, aber Feierabend war für Veit ein Graus. Er hatte niemanden, zu dem er sich hätte setzen können, der sich mit ihm unterhalten hätte. Sie sprachen mit ihm genau das, was für die tägliche Arbeit nötig war, und mehr nicht.

      Veit werkelte vor sich hin, aber das mit dem Nichtdenken klappte heute nicht so gut. Würde Heinrich kommen? Würde er tatsächlich mit Veit Pferde trainieren wollen?

      Dann hörte er Schritte, und als er sich umdrehte, kam da tatsächlich der Herr Heinrich an. Seine Kleidung war gut, aber ganz deutlich mehr für Arbeit gedacht als für das Herrenleben.

      Die ersten Tage waren merkwürdig. Heinrich wusste offenbar nicht genau, wie er das Ganze anpacken sollte, und Veit traute sich nicht recht, seine Vorschläge zu unterbreiten und die Führung zu übernehmen. Er hatte die letzten Jahre gelernt, den Blick zu senken und den Mund zu halten, wenn ein Mitglied der Familie von Rabenegg bei ihm war.

      Erst als Heinrich frustriert feststellte, dass seine Vorgehensweise nicht durchdacht war und nirgends hinführen würde, übergab er das Ruder offiziell an Veit. Und der legte los. Natürlich immer sehr höflich und sehr vorsichtig, um Heinrich nicht das Gefühl zu geben, er wüsste alles besser.

      Sie richteten den Übungsplatz her, und auch die alte Reithalle. Dann fingen sie mit dem Training an und bauten nebenher noch mehrere Ställe.

      Heinrich musste oft die Zähne zusammenbeißen. Die viele Arbeit war er nicht gewohnt. Ein paarmal war er kurz davor, alles hinzuschmeißen, weil er sich lieber ausruhen oder singen wollte. Aber sein Traum trieb ihn an. Er war froh, dass Veit dabei war. Ohne ihn hätte er keinen Einstieg gefunden. Oft warf er das Ganze einfach deswegen nicht hin, weil er sich vor Veit nicht die Blöße geben wollte, aufzugeben. Trotzdem war es zäh, mit seinem ehemaligen Freund und Lehrer, der jetzt sein Knecht war, zu arbeiten.

      Besonders in den ersten Tagen bemerkte Heinrich, wie anders Veit war als früher. Er war so extrem respektvoll und vorsichtig mit seinen Vorschlägen, dass es Heinrich manchmal gewaltig nervte. Es frustrierte ihn, dass Veit meistens auf den Boden blickte, zusammenzuckte und sich verkrampfte, wenn Heinrich ihm zu nahekam. Er konnte ihm nicht einmal die Hand auf die Schulter legen oder einfach nur nahe bei ihm sitzen, ohne dass Veit furchtvoll zurückwich, und das machte Heinrich oft wütend, aber auch sehr nachdenklich. Er hatte gehört, was Veit zugestoßen war, aber die Einzelheiten waren anscheinend noch viel grausamer gewesen, als er sich das je hätte vorstellen können. Es tat ihm leid. Soviel Unrecht war geschehen auf seinem Gut, und Heinrich wusste nicht, wie er das alles jemals gutmachen konnte. Also versuchte er, gleichbleibend freundlich zu Veit zu sein. Heinrich vermied abrupte Bewegungen, er vermied es, laut zu werden, und vor allem vermied er es, Veit anzufassen.

      In den ersten Tagen und sogar Wochen war Veit extrem vorsichtig. Er konnte einfach nicht wirklich glauben, dass Heinrich das Ganze ernst meinte.

      Nach und nach entspannte er sich. Nach und nach blitzte der Veit von früher durch. Nach und nach gewöhnte er sich daran, mit dem jungen Herrn zu arbeiten und erwartete nicht ständig das Schlimmste. Heinrich und er arbeiteten zusammen den ganzen Tag, und irgendwann bemerkte Heinrich, dass Veit ruhiger wurde, dass er ihn immer öfter direkt ansah und auch von sich aus sprach, wenn es nötig war.

      Veit war unendlich dankbar, dass Heinrich ihn nicht anfasste und so freundlich zu ihm war. Wie eine verdurstende Blume das Wasser sog er die Güte und die Freundlichkeit auf und sein Herz wurde jeden Tag ein klitzekleines


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