Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff


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den Mund schieben.

      Und natürlich war der Wein dort besser und nicht so ein saures Gesöff wie Zuhause.

      Heinrich schwärmte und erzählte, und Martin hörte ihm staunend zu. So hatte er Heinrich noch nie erlebt, so begeistert und frei. Fast war es Martin, als könnte er seinen Halbbruder sogar mögen, irgendwann. Vielleicht war er ja wirklich ganz nett, vielleicht würde man ihm wirklich trauen können, vielleicht würden sie tatsächlich Brüder sein.

      „…. können wir das dann üben, oder?“

      Martin wurde aus seinen Gedanken gerissen. Anscheinend hatte Heinrich ihm eine Frage gestellt, und er wusste aber nicht, worum es ging. Also fragte er:„Was können wir dann üben?“

      „Na, bretonisch. Wenn wir nach Frankreich reisen, dann musst Du doch bretonisch können.“

      „Ich dachte französisch?“

      Heinrich lachte. „Nein, in der Bretagne wird bretonisch gesprochen. Aber französisch kann ich auch, ich kann Dir beides beibringen.“

      Martin nickte. Das Glück kam gefährlich nahe.

       Kapitel 8: der Freund aus Kindertagen

      Bereits am gleichen Tag begann Heinrich, mit seinem Halbbruder Französisch und Bretonisch zu üben. Seine Mutter hatte Bretonisch mit ihren Kindern gesprochen, doch sie hatte ihren eigenen Beichtvater aus Frankreich mitgebracht, der die Kinder auch in Französisch unterrichtete, sogar nach ihrem Tod. Er übte auch mit ihnen, Französisch zu schreiben, was Heinrich als unsäglich schwierig in Erinnerung hatte. Er hatte wohl auch einmal gelernt, in Bretonisch zu schreiben, aber das konnte er nicht mehr.

      Er übte also Wörter und Redewendungen mit Martin, in Französisch und dann in Bretonisch. Die französischen Wörter schrieb Martin auch auf seine Schiefertafel. Es war mühselig. Latein fiel Martin leicht, es war eine logische und strukturierte Sprache. Französisch war schon deutlich schwerer, aber die Sprache hielt sich mit ihrer Logik und ihren Wörtern doch nah am lateinischen Vorbild. Aber Bretonisch war wirklich schwer. Es glich dem Lateinischen überhaupt nicht, und so manches Mal seufzte Martin verzweifelt. Es ging sehr langsam, aber, so tröstete Heinrich ihn, sie hatten ja Zeit. Dieses Jahr würden sie nicht in die Bretagne kommen, sein frisch verheiltes Bein würde noch keine mehrwöchige Reise auf dem Pferd durchhalten. Sie könnten frühestens im Jahr drauf aufbrechen, und bis dahin würde Martin sicher gut Französisch und Bretonisch sprechen.

      Die nächsten Tage hielt Heinrich täglich Unterricht. Er freute sich schon darauf, sich mit Martin irgendwann in seiner Muttersprache unterhalten zu können. Er traf bei Festen und Märkten und Jagdpartien immer mal wieder Leute aus Frankreich und sprach Französisch oder Bretonisch mit ihnen, so dass er es nicht verlernte. Hier am Gut konnte bis jetzt niemand Französisch sprechen, aber das würde sich bald ändern.

      Jeden Vormittag verbrachte Heinrich also mit seinem Verwalter, während Martin bei Bruder Alban war. Nach dem Mittagessen gingen sie zu den Pferden und ritten oft eine Runde aus, dann folgte der Sprachunterricht, und später kam Alban zum Singen. Es war perfekt.

      Oder fast perfekt. Immer wieder dachte Heinrich an seinen Traum, wieder Pferde zu bereiten und zu züchten. Martin sollte ihm helfen, aber Martin war noch nicht gut genug. Heinrich hoffte, dass sein Halbbruder mit der Zeit immer besser werden würde, aber tief drin wusste er, dass Martin seine große Leidenschaft für Pferde vermutlich nicht teilte.

      Der April ging zu Ende, der Mai kam. In der Nacht zum ersten Mai wurde gefeiert nach altem Brauch. Eine Birke wurde aufgestellt, um die herum in der Nacht getanzt wurden. Die Leute legten Besen und Maibüschel aus und knallten mit Peitschen, um die Unholde fernzuhalten. Ebenfalls wurde ein Feuer entzündet, um die bösen Geister zu vertreiben.

      Bruder Alban blieb dem Fest fern, er war jedes Mal erzürnt über die heidnischen Bräuche. Jedoch musste er sich damit abfinden, dass die jeweiligen Herren von Rabenegg gerne Feste hielten, die seit jeher gefeiert wurden. Heinrich verstand nicht, warum er seinen Leuten die unschuldige Freude nehmen sollte. Die Leute arbeiteten so viel, da sollten sie auch feiern dürfen. Außerdem waren die Dinge schon immer so gemacht worden.

      Es gab gutes Essen, ein Ochse wurde am Spieß gegrillt, es gab Bier und die Leute tanzten fröhlich. Heinrich wusste, dass gut neun Monate nach der Walpurgisnacht für gewöhnlich deutlich mehr Kinder in den Dörfern und Weilern zur Welt kamen als sonst. Auch das stieß Alban sauer auf, für ihn hätte es mehr Sinn gemacht, wenn die Leute in der Hexennacht zum Beten und Fasten in die Kirche kommen würden.

      Aber er wusste, er würde am nächsten Tag, am Tag der Heiligen Walpurgis, eine besonders heilige und lange Messe feiern. Dann würden sie zwei Walpurgisfeuer anzünden, zwischen denen alle Gutsbewohner, Herren und Dienstboten, durchgehen mussten. Immerhin war die Heilige Walpurgis die Schutzheilige gegen Pest, Husten und Tollwut. Jeder wusste, dass der Gang zwischen zwei geweihten Walpurgisfeuern vor diesen Krankheiten schützen würde. Für Alban war es wichtig, den Schutz der Heiligen für die Leute des Gutes und der benachbarten Dörfer herbeizurufen. Er hatte sogar eine Reliquie der Heiligen Walpurgis, einen Knochensplitter. Dieser Splitter war in sein Silberkreuz eingearbeitet, das er trug. Es war ein Geschenk seiner Eltern zur Priesterweihe gewesen. Damals war eine Seuche umgegangen, bei der die Leute Blut husteten und dann starben, und die Eltern hatten ihren Sohn mit der Reliquie der Heiligen Walpurgis geschützt, die ja eben auch eine Schutzheilige gegen Husten war.

      Am ersten Mai waren die Leute zwar müde vom Feiern, gingen aber brav in die Kirche und dann zwischen den vom Pfaffen gesegneten Feuern durch. Besser, man holte sich den Schutz der Heiligen ab.

      Das Wetter wurde besser, der Frühling brach sich überall seinen Weg. Die Wiesen wurden so unglaublich grün, alles blühte und die Herzen der Menschen wurden froh. Ein Ofen im Winter war zwar gut, aber der Sommer mit Wärme und Schönheit war trotzdem um Längen besser. Der Sommer brachte zwar unendlich viel Arbeit, aber wenigstens erfror oder verhungerte niemand.

      Kurz nach der Maifeier bekam der Verwalter einen Gichtanfall. Er konnte einige Tage nicht laufen und stöhnte, wenn jemand seinem geschwollenen Zeh auch nur nahekam. Ihn plagte das Zipperlein schon länger, aber nach großen Festen war er in letzter Zeit immer mal wieder bettlägerig geworden mit Fieber, Schmerzen und der Entzündung im Zeh. Er wurde schließlich auch nicht jünger. Heinrich wusste jetzt gottlob, welche Arbeiten zu tun waren und vertrat den Verwalter so gut er konnte. Jeden Tag besuchte er Ulrich und besprach mit ihm, was zu tun war. Nach einigen Tagen brachte der Verwalter ein ganz neues Thema auf: seine Nachfolge.

      Er würde schließlich nicht ewig leben, so erklärte Ulrich seine Gedanken. Er brauchte einen Nachfolger als Verwalter, den er einarbeiten konnte, solange er noch gesund war und die Arbeit einigermaßen leichtfiel. Heinrich hörte sich das alles an und kam zum Schluss:

      Ja, Ulrich hatte Recht. Sie mussten einen Nachfolger suchen.

      Doch Ulrich meinte, sie müssten niemanden suchen, es gäbe da schon jemanden. Heinrich sah ihn gespannt an. Wen Ulrich wohl meinte? Ulrich sah Heinrich so nachsichtig an, wie man einen zurückgebliebenen Trottel ansah.

      Er begann: „Nun ja, wir brauchen jemanden, der hier schon länger arbeitet, der das Gut kennt, der absolut loyal und fleißig ist, und der auch klug genug für die Arbeit des Verwalters ist. Der neue Verwalter muss natürlich rechnen können, um mit den Abgaben und Geldern zu haushalten. Er muss Korrespondenz führen können, auf Deutsch und auf Latein.“

      Heinrich begann zu ahnen, wohin dieses Gespräch führen würde. „Ihr meint Martin?“

      „Ja. Er ist genau der Richtige.“

      Heinrich fühlte sich wie ein Kind, dem man ein Spielzeug wegnehmen wollte. Er wusste, dass Ulrich Recht hatte, dass Martin die beste Wahl war, aber irgendwie fühlte er sich um seinen neu gewonnenen Bruder betrogen. Martin würde künftig den Hauptteil des Tages mit dem Verwalter verbringen müssen, und für ihn würde nicht mehr viel Zeit übrigbleiben. Also meinte er:

      „Ulrich, da habt Ihr sicher Recht. Aber ich wollte Martin Französisch und Bretonisch beibringen, und wir singen zusammen. Außerdem wollte ich ihm zeigen, wie man Pferde bereitet.“


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