Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff


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weh tat, und dass er ihm den Ausritt nicht gönnte. Auf gar keinen Fall durfte er jetzt in seine Fantasiewelt abtauchen, der Herr hätte das sicher bemerkt. Veit zwang sich, im Jetzt zu bleiben und die Angst niederzukämpfen.

      Heinrich, der nichts zu tun hatte und herumstand, sah Veit beim Satteln zu. Er sah, wie sich sein Brustkorb zitternd hob und senkte. Irgendetwas war los mit ihm. Heinrich merkte, dass er sein Gut mit den ganzen stillen Anklagen nicht recht viel länger ertragen konnte. Es war, als wenn er hier ersticken würde. Er musste raus.

      Ob Veit wohl schon mal rausgekommen war in den letzten Jahren? Er konnte nicht einfach gehen, wenn es ihm zu viel wurde. Heinrich seufzte. Diese blöden Gedanken! Er wollte nicht darüber nachdenken, wie es seinen Knechten ging. Aber er konnte es nicht abstellen. Er hatte das Mitgefühl in sein Herz gelassen, und das hatte ihn verändert, ohne dass er es geplant oder gewollte hatte.

      Der Verwalter hatte um Gnade gebeten für Veit. Was war denn eigentlich so Großes dran, ihm Gnade zu gewähren? Ja, da war die alte Sache mit der Eifersucht. Früher war Veit immer der Beste gewesen. Der beste Reiter, der Wortgewandteste beim Spielen. Heinrich kramte ein paar Erinnerungsfetzen heraus. Sie hatten zusammen gespielt als Kinder. Immer hatte Veit den jüngeren Buben dominiert, und es war ihm völlig egal gewesen, dass sein Spielkamerad im Rang deutlich über ihm gestanden war.

      Heinrich atmete tief durch. Das war Kinderkram, das musste er jetzt endlich mal gut sein lassen. Er konnte den Groll nicht ewig herumtragen. Umso mehr, als dass die gebrochene und untertänige Gestalt vor ihm nicht recht viel mit dem strahlenden Veit seiner Kindertage gemeinsam hatte. Er griff nach dem Zügel seines Pferdes. Veit hielt wortlos den Steigbügel und den Sattel fest, damit Heinrich aufsteigen konnte. Sein Bein war so aufgestellt, damit der Herr es als Treppe nutzen konnte. Er tat, was er konnte, damit der Herr Heinrich so schnell wie möglich wieder verschwand.

      Heinrich stieg nicht auf, sondern schaute nachdenklich seinen Knecht an. Er fällte eine Entscheidung. „Komm mit“ sagte er und lief mit dem Pferd am Zügel los. Veit holte tief Luft und gehorchte. Er merkte, wie die Kälte anbrandete und in ihm hochlaufen wollte. Noch kämpfte er verbissen dagegen an. Nur nicht denken, nur nicht fühlen! Er verbot sich selbst, irgendeine Vermutung anzustellen, was der Herr von ihm wollte. Mit ganzer Kraft kämpfte er gegen die Angst, die sich in ihm ausbreiten wollte. Veit bemerkte die Übelkeit, die in ihm aufstieg und wusste, dass er nicht mehr lange die Panik niederhalten konnte.

      Heinrich hielt an und Veit lief gegen den Pferdehintern. Warum blieben sie stehen? Sie waren an der Schmiede. Brauchte das Pferd frische Hufeisen? Veit dachte nach. Nein, die Hufeisen hatte er gestern erst kontrolliert, da passte alles. Was zum ….?

      Der Schmied kam heraus und senkte respektvoll den Kopf. Heinrich wies auf Veit und fragte den Schmied: „Kannst Du die Fußketten wegmachen?“

      Veits Kopf schnellte hoch. Was?!? Der Schmied schien ähnlich erstaunt. Er sah Heinrich kurz an, um zu prüfen, ob er es ernst meinte. Er fand keinen Hinweis, dass das Ganze ein Scherz war, und so antwortete er: „Ja, Herr. Das ist keine Schwierigkeit.“ Heinrich war entschlossen. „Dann tu´s. Nimm die Fußketten weg.“

      Veit schwindelte. Was ging hier vor? Was wollte dieser Mann? Und was in Gottes Namen würde er dafür tun müssen?

      Der Herr wies ihn mit der Hand zum Schmied, und benommen ging Veit näher und stellte erst den einen und dann den anderen Fuß auf den Schemel, wo der Schmied sein Werk verrichtete. Die Fesseln fielen. So schnell, und so unkompliziert, so einfach. So leicht wäre das also all die langen Jahre gewesen.

      Zehn Jahre Elend fielen einfach so herunter, wie wenn das je so einfach sein könnte. Veit war fassungslos. Er hatte sich früher oft ausgemalt, was er tun, wie er jubeln würde, wenn er die Fußketten loswerden könnte. Aber jetzt stand er einfach nur mit leerer Seele da.

      Heinrich dankte dem Schmied mit kurzen Worten. Veit stand immer noch wie betäubt da und wusste nicht so recht, was er jetzt tun sollte. Sollte er sich bedanken? Oder kamen jetzt die Forderungen nach Gegenleistung? Ein Mitglied der Familie von Rabenegg gab niemals irgendetwas ohne Gegenleistung, das hatte er gelernt in den letzten Jahren.

      Heinrich wartete. Ein Dankeschön sollte doch wohl drin sein? Veit stand stocksteif und stumm da, und Heinrich war mit seinen Nerven am Ende. Nichts lief so, wie er es wollte. Er hatte sich entschlossen, Gnade zu zeigen und etwas Gutes zu tun. Und trotzdem liebten ihn die Leute nicht, ließen ihn nicht hochleben. Wortlos stieg er auf sein Pferd und ritt weg.

      Endlich.

      Endlich konnte er diese vertrackte Angelegenheit hinter sich lassen. Heinrich ritt in vollem Galopp zum Tor hinaus und preschte vorwärts Richtung Wald. Sein verheiltes Bein tat nach einiger Zeit weh, aber er ignorierte es. Er ritt und ritt, bis er und sein Pferd keuchte und sie von selbst langsamer wurden. Sie verfielen in Schritttempo, und Heinrich wurde ruhiger. Er sah die Natur um sich herum, hörte die Vögel singen, roch den Duft der Bäume. Immer wieder musste er daran denken, dass er fast der Einzige in seinem Gut war, der dieses Privileg genießen und einfach verschwinden konnte, wenn es ihm danach war. An einem wunderschönen Bachlauf hielt er an. Er stieg mit den Füßen im Bach herum und trank, und sein Pferd tat es ihm nach. Heinrich fühlte, wie seine Nerven sich beruhigten. In der Natur hatte er sich schon immer wohl gefühlt. Im Wald hatte er das Gefühl, dort hin zu gehören. Manchmal war es ihm sogar, als könnte er die kleinen Waldwesen wahrnehmen. Natürlich hätte er das niemals jemandem erzählen können. Seit er acht Jahre alt war hatte er das Kämpfen gelernt. Er hatte gelernt, hart zu sein; zu anderen, und vor Allem zu sich selbst.

      Lange war er immer von anderen jungen Knappen und Rittern und Höflingen umgeben gewesen, und da ging es für ihn nicht an, vor den anderen ruhig mit der Natur zu verschmelzen. Sie hätten ihn als Weichling betrachtet. Er seufzte. Jetzt fühlte er sich wohl. Alleine im Bach, nur sein Pferd und er.

      Heinrich setzte sich auf einen Felsbrocken und fühlte die Sonne auf seiner Haut. Er genoss die Wärme, entspannte sich und schlief langsam ein. Als er wieder aufwachte, fühlte sich Heinrich wunderbar ausgeruht, aber hungrig. Er aß dankbar was er mitgenommen hatte und teilte die Äpfel mit seinem Pferd. Oh, seine wundervolle Alba. Er schmiegte sich an sie und dachte, wie furchtbar es ohne Pferde wäre. Er streichelte sie, und Alba stupste ihn freundlich mit ihrer Nase an. Sein Pferd liebte ihn, das war offensichtlich. Und er liebte Alba.

      Heinrichs Herz wurde wieder schwer. Die Leute auf seinem Gut liebten ihn ganz sicher nicht. Sie kuschten vor ihm, und wahrscheinlich verachteten sie ihn heimlich. Vielleicht zu Recht. Was hatte er die letzten Jahre anderes getan, als faul zu sein und sein Geld zu verprassen? Er hatte vieles geändert in den letzten Monaten, eigentlich war Heinrich zufrieden mit sich. Aber da war immer noch sein Traum.

      Veit war wiederaufgetaucht. Vielleicht war das ein Zeichen des Himmels? Vielleicht konnte er tatsächlich mit Veit zusammenarbeiten. Vielleicht würde Veit ihn jetzt nicht mehr missachten. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Würde er die viele Arbeit schaffen oder aufgeben, wenn es anstrengend wurde? Was, wenn es nicht klappte? Heinrich grübelte und grübelte.

      Der Heimweg zog sich, weil er so sehr mit Denken beschäftigt war und nicht durchgehend galoppierte. Die Strecke war doch länger gewesen als er das bemerkt hatte. Als Heinrich das Tor passierte, wurde es bereits dunkel und die Knechte hatten Feierabend. Trotzdem kam sofort einer angelaufen, verbeugte sich und nahm Alba mit sich. Heinrich blickte sich um, aber konnte Veit nicht bei den anderen Knechten entdecken. Na ja, dann eben morgen.

      Er suchte Martin, den er bei Alban fand. Er bat die beiden, heute ohne ihn zu singen und ging in seine Kammer. Dort zog er die Stiefel herunter und setzte sich in seinen großen Sessel, um nachzudenken. Es klopfte, und die Wirtschafterin stand da und fragte, ob er noch etwas zu Essen wünschte. Gerade wollte Heinrich irgendetwas Leckeres bestellen, als er innehielt. Die Knechte hatten Feierabend, die Mägde wahrscheinlich auch. Er fragte „Was hast Du denn noch da? Brot und Käse reichen auch.“ Die Verwalterin stutzte kurz, und meinte dann „Wir haben Brot und Käse, und noch Gerstensuppe. Aber natürlich können wir Euch auch noch etwas kochen.“

      Sie sah müde aus, und Heinrich versicherte ihr, dass Suppe und ein Butterbrot völlig ausreichen würde. Sie sah ihn kurz verwundert an und verschwand. Kurz darauf erschienen ein paar


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