Filthy Smells Of Death. Stephan Schöneberg
uns das an!“, rief ich ihr rüber, mich wütend aus Josés verblüfften Armen befreiend.
Wir waren innerhalb von fünf Sekunden auf der anderen Straßenseite und zogen beide jeweils an einem Bein den scheinbar leblosen Körper aus dem Gefäß. „Meine Fresse, was stinkt der!“, entfuhr mir ein böser Kommentar, den ich mir einfach nicht verkneifen konnte.
Plötzlich erwachte er wieder zum Leben, schnappte sich meine rechte Hand und biss ohne Vorwarnung zu. Ich schrie schrill und laut auf. Das sollte ihm das rechte Trommelfell annähernd zerrissen haben. Das hat schon ziemlich weh getan.
„Du blöder Arsch!“ brüllte ihm José in sein linkes Ohr und schickte einen Ellbogencheck hinterher, der ihn nun endgültig bewusstlos neben dem Blumenkübel niederstreckte, wo wir ihn dann auch liegen gelassen haben. In dem Moment ging mir mein hippokratischer Eid, zu dem ich ja eigentlich als Biologe auch nicht verpflichtet gewesen bin, auch vollkommen am Allerwertesten vorbei. „Soll er doch an seiner Kotze verrecken“, war damals der nicht gerade lady-like letzte Kommentar, den ich an ihn verschwendet hatte. Tja, ich wusste ja nicht, wie deplatziert mein Wunsch eigentlich war.
„Dasschautabbablödeausch“, war Kates lapidarer Kommentar zu meiner Hand. „Komm ich fahr euch nach Hause“, sagte José.
Ich wusste damals nicht einmal, dass ich schwanger war. Verdammt, ich war dreiundzwanzig und hatte mich gerade vorigen Monat von dem Typ getrennt, der genau dafür verantwortlich war. Er war einer von der Sorte 'chaotischer Informatiker'. Wir haben uns halt noch einmal mit einem letzten etwas intensiveren Kuss verabschiedet. Er war nicht übel, er war sogar ausgesprochen nett, aber ein Chaot! Ich war das auch. Leider ergänzten wir uns in unserem Chaos eher.
Na gut, zugegeben … es war mehr als ein Kuss als wir uns verabschiedeten, viel mehr. Aber hey! ich hatte doch meine Pille genommen? Oder doch nicht? Ich sagte ja, ich war ein Chaot. Ich habe ihn nie wieder in meinem Leben gesehen. An diesem verhängnisvollen Abend in der Nähe vom Collins View hatte ich mir allerdings deutlich größere Probleme eingefangen als einen gut fickenden, unorganisierten Computerhoschie. Die sind selten und sollten eigentlich gepflegt werden. Aber …, ich habe Besseres verdient, meinte Kate, gerade jetzt, wo sie und ich offiziell Biologinnen waren. Streng genommen waren wir das zwar zu genau diesem Zeitpunkt noch nicht, aber das Einzige was uns noch fehlte war das Diplom, was uns wenig später ein gut-aussehender siebenundzwanzigjähriger Mulitmilliardär überreichte.
HMMM, ANNA … OB DU IRGENDWIE AN SEINE ADRESSE RAN KOMMST?
Letztendlich hat mich das Biologiestudium gerettet, und Hannah natürlich auch. Wie nicht anders zu erwarten, entzündete sich meine Hand. Das sah nicht nur blöde aus, sondern zeitweise richtig übel. Eine kleine Narbe habe ich auch davon behalten, trotz all meiner Heilfähigkeiten. Ich behielt irgendwann kein Essen mehr in mir drin und so lieferte mich Kate schließlich ins Krankenhaus ein, wo man dann unter anderem feststellte, dass ich schwanger war.
„Dieser Mistkerl“, fauchte Kate, als ich ihr von der Neuigkeit etwas kraftlos erzählte.
„Na danke, Kate, ich freue mich auch!“, war das, was ich mir daraufhin dachte. Trotz allem war dies schließlich mein Kind. Ich dachte nicht im Traum daran, es nicht behalten zu wollen.
Die weiteren Untersuchungen waren nicht so erfreulich. Man konnte nicht einmal genau feststellen, was ich hatte. Man hing mich an den Tropf. Es half nichts. Lediglich Hannah, die damals noch nicht wusste, dass sie einmal Hannah heißen würde, schien nicht betroffen zu sein. Irgendwann erklärte man mich für ziemlich tot! Aber … ich war es augenscheinlich nicht. Meine Organe schienen nur noch für Hannah zu funktionieren. Ich selbst begann, mich zu zersetzen. Sie nannten es - einen Nekrophilenvirus und sagten mir, dass ich sozusagen ein medizinisches Wunder war. Eigentlich müsste ich tot sein. Natürlich hatte ich mir nicht einfach nur eine 'Grippe' eingefangen, ein Virus war es jedenfalls definitiv nicht! Ich und mein ungeborener kleiner Engel wurden schließlich künstlich ernährt. Es half nur dem Kind. Ironischerweise hatte der Pathologe, mit dem ich mich von Anfang an gut verstand, die rettende Idee. Er mischte in Absprache mit mir die Essenz von zerstampftem Gehirn kürzlich Verstorbener in die Flüssigkeit des Tropfs. Was blieb mir anderes übrig? Ich war so gerade eben noch bei Bewusstsein und ich hätte wohl allem zugestimmt. Keine Ahnung was ihn zu dieser Idee trieb. Er war ein älterer, schon nicht mehr grauer Herr - sein Haar war schlohweiß. Die Begründung zu diesem nun wirklich sehr ungewöhnlichen Schritt war, dass er einfach zu viele schlechte Horrorfilme gesehen hatte. Aber ich fürchte, er wusste schon immer mehr, als er jemals zugegeben hätte.
„Tot war ich ja schon, warum also hätten wir es nicht versuchen sollen?“, sagte er an dem Tag zu mir, als ich entlassen wurde. Zusammen mit einem süßen kleinen Mädchen, das wir - Kate und ich - Hannah tauften. Ich hatte am Ende Monate im Krankenhaus verbracht. Der Name war, genau wie meiner, ein Anagramm. Man konnte ihn vor- und rückwärts lesen. Was ich bei der Entlassung nicht erwähnte: Ich hatte richtig Hunger! Schon eine ganze Weile lang. Allerdings weniger auf Wiener Schnitzel mit Salat - eher auf einen zu Salat zerschnetzelten Stadtmenschen aus Wien. Wir ahnten damals noch nicht, dass ich noch mehr Gehirn brauche und was genau danach folgen würde. Meine Krankheit war nicht geheilt. Sie schlief bloß. Kurz nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus begannen wir, über mein – ja man muss es wohl wirklich so nennen - Siechtum und mich, Buch zu führen:
Donnerstag, 23. Juli, 08: 30 Uhr, vor 4 Jahren
Eintrag Anna:
Ich fühle mich schwach. Die Hirnmasse, die uns Prof. Dr. Flynn in gefrorener Form mitgegeben hat, wird mich nicht heilen und ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob sie überhaupt lange halten wird. Ich bin tieftraurig, da ich nicht einmal meiner eigenen Tochter die Brust geben kann. Sie erzeugt keine Milch. Ich wüsste sowieso nicht, ob es richtig wäre, Hannah so zu ernähren. Wir wissen so gut wie nichts über meine - naja, Kate nennt es so - Krankheit.
Eintrag Kate:
Was soll bloß aus ihr, aus uns, aus Hannah werden? Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll. Zum Glück hat mir Papa ein großzügiges Konto eröffnet. Anna und ich haben kurz besprochen, dass wir Hilfe brauchen. Mir fiel sofort Papa ein. Er sagte, dass er gar nicht genau wissen möchte, was passiert ist. Aber er hat Kohle ohne Ende und ist nicht so wie Dagobert Duck. Er gibt gerne etwas ab. Ich habe den besten Papa der Welt!
Hey - was ist das? Nightwish! Cool, lange keinen operettenhaften Gesang mehr gehört. Zudem steht da doch tatsächlich so ein knackiger Kerl am Straßenrand. Er hält ein Schild in den Händen, auf dem deutlich „Seattle“ zu lesen ist. Dem Typ kann geholfen werden - hoffentlich kann ich meinen Hunger noch eine Weile bändigen. Nicht dass das verkehrt rüber kommt? Ich bring ja nicht jeden Erstbesten um, der mir über den Weg läuft! Ich versuche schon - sofern möglich - wenigstens die ins Jenseits zu befördern, die es zumindest auch ein bisschen verdient haben. Es ist ja nicht so, dass ich kein Herz habe, es ist nur so, dass meins nicht mehr so oft und richtig schlägt. Manchmal tut es das noch, wenn ich - ach, du ahnst wahrscheinlich, wann das passiert. Mit quietschenden und ein wenig qualmenden Reifen bringe ich den Sportwagen zum Stehen, schließlich muss 'Frau' ja Eindruck hinterlassen. Hoffentlich hat er nicht zu viel Gepäck mit. Die Prollkarre ist zwar toll, viel rein geht aber nicht. Ich öffne die Beifahrertür des SLS für ihn. Ganz einfach deswegen, weil das Ding Flügeltüren hat. Wer das nicht kennt, der macht am Ende noch was kaputt. Breit lächelnd lässt er sich in den Beifahrersitz fallen. Er hat nicht ein Gepäckstück mit. Ich starte den Motor und weiter geht's.
Soll ich anfangen zu reden, oder wird er mich ansprechen?
Ah, er fängt an: „Hey, das ist cool, was ist das?“ Er meint wohl die Musik und nicht das Auto. Naja, das Auto spricht wohl auch für sich. Das ist nicht einfach ein Fortbewegungsmittel, das ist ein Statement. „Nightwish, Phantom Of The Opera“ antworte ich wahrheitsgemäß.
„Ich mag hohe Frauenstimmen, aber eigentlich kenne ich die nur… …“, er stockt ein wenig: „… aus Opern“, erzählt er weiter.
Er hat so eine Allerweltsstimme, aber