Zu neugierige Mörder: 9 Krimis. Karl Plepelits
bereit, dem Teufel auf den Schwanz zu treten, wenn es gilt, oder anderen zu helfen, die in Bedrängnis sind. Keiner von ihnen ist ein Tugendbold, aber wenn die Lage es erfordert, halten sie eiserne Disziplin. Sie sind vier knallharte Männer, und für manch einen sind sie die letzte Hoffnung. Sie lieben das Abenteuer, sie lieben das Leben. Ob im Orkan auf See, im Urwald oder auf schillerndem Parkett des Casinos von Monte Carlo, sie sind überall zu Hause. Es gibt Zeiten, da trinken sie Sekt und essen Kaviar, und es gibt Situationen, da teilen sie sich den letzten Tropfen lauwarmen und brackigen Wassers und kauen auf harter Brotrinde. Und immer bleiben sie Kameraden und halten zusammen... der Baron und seine Crew.
*
Roman
„Das Leben ist ein Kinderhemd, kurz und... goldig“, sang Le Beau und spuckte ins Wasser, das gurgelnd ums Rettungsfloß quirlte. „Dieser verfluchte Nebel. Alex, ich glaube, uns findet nie einer.“
Der hagere, nicht sehr große Mann drehte sich um und blickte auf die Menschen im Floß. Es waren sieben. Ganz vorn bei Le Beau hockte Alexander von Strehlitz, der Baron - in einem nassen, zerrissenen und ölbeschmierten Frack. Das Hemd hatte alle Farben, nur weiß war es nicht mehr. Aber selbst jetzt wirkte der große Mann mit dem dunklen Haar souverän und selbstsicher. Nach zwei Tagen in diesem Schlauchboot-Floß lächelte er noch, und es schien nichts zu geben, was ihn so leicht aus der Ruhe brachte. Das einzige, was sie noch hatten, waren ein Kanister mit Trinkwasser und zwei Dosen Ölsardinen, alles übrige hatten die sieben Insassen des Bootes schon verbraucht.
Neben dem Baron zur Linken kauerte, den Kopf auf den verschränkten Armen liegend, ein dreizehnjähriger Junge. Tipo, ein mexikanischer Schiffsjunge. Es war seine erste Reise gewesen.
Tipo gegenüber saß im zerfetzten, durchnässten hellgrünen Abendkleid eine dunkelhaarige Frau mit einem auffallend hübschen Gesicht, das auch jetzt hoch Ausstrahlung besaß, vielleicht der hellgrünen Augen wegen, die fast dieselbe Farbe hatten wie das Kleid. Diese etwa dreißigjährige Dame war die Journalistin Dr. Dorothee Willington, von Freunden Dolly genannt. Sie war dafür bekannt, dass sie sehr aggressive Artikel über die Manipulationen großer Industrieller schrieb, und um ihr zu zeigen, dass Millionäre auch Menschen sind, war sie von Ölmillionär Stevenson zu dieser Vergnügungsreise eingeladen worden. Kein Mensch konnte ahnen, wie sie enden sollte.
Zur Rechten von Miss Willington befand sich ein breitschultriger, mittelgroßer Mann mit struwweligem brünettem Haar, etwa vierzig Jahre alt, hartes, kantiges Gesicht mit schmalen Augen. Lino Benares war Stevensons tüchtigster Bohrstellen-Manager. Im Augenblick allerdings, da wirkte er wie ein verprügelter Hund.
Im Heck des Flosses hockten zwei sehr ungleiche Männer. Der eine war groß, wuchtig und ähnelte einem Catcher. Das war James, der Chauffeur des Barons. Neben ihm Robert, der Sekretär des Barons, klein, korpulent, glatzköpfig. Mitte der Vierzig, keine Schönheit, wirklich nicht. Aber ein Mathematikgenie. Ein Zahlenroboter. Die gegenwärtige Situation jedoch, die schien er gar nicht zu mögen, und alles an ihm verriet bange Sorge.
Die See zeigte sich nach dem stürmischen Seegang von vorgestern und gestern endlich friedlicher. Dafür lagerte nun der Nebel wie ein Leichentuch über dem Wasser. Da die Sonne über diesem Tiefnebel stand, war er besonders undurchdringlich.
In der Mitte des Bootes stand ein Notsegel, das im Sturm zerfetzt worden war und kaum noch seinen Dienst erfüllte. Aber bis der Nebel kam, hatten alle im Boot damit gerechnet, von den Suchflugzeugen, die sie vom Boot aus immer wieder hatten sehen können, entdeckt zu werden. Aber das erwies sich als Trugschluss.
Le Beau vorn im Floß begann wieder zu singen. Jetzt war es ein französisches, sehr freches Soldatenlied.
„Le Beau, wir haben eine Dame an Bord!“, ermahnte ihn der Baron.
Le Beau brach ab, grinste und spuckte wieder ins Wasser. „Dame hin, Dame her, wenn wir kaputtgehen, fragt keiner mehr!“
„Ein Gentleman ist korrekt, solange er atmet, Le Beau.“ Der Baron sah die anderen an, was die darüber denken mochten, aber die waren derart apathisch, dass sie wahrscheinlich nicht einmal hingehört hatten, worum es überhaupt ging.
In diesem Augenblick schrie Le Beau: „Ein Schiff!" Er deutete aufgeregt nach vorn, wo sich eine dunkle Wand näherte und der Nebel davor zurückwich. Wasser krauste und schäumte, und da sah der Baron schon, was wirklich war.
„Kein Schiff! Ein Felsen! Land!“, rief er.
Die Trägheit der anderen war wie weggewischt. James, der einen Riesenhunger verspürt hatte und sich gerade ausmalte, wie es wäre, wenn man verhungern musste, vergaß seinen Hunger.
Dolly Willington schreckte auf, und ihr blasses Gesicht bekam plötzlich wieder rote Wangen.
Tipo, der Schiffsjunge, wollte erregt aufspringen und vergaß seine Angst.
Robert, den die Seekrankheit geschlaucht hatte, schien das Wunder nicht zu glauben und sah weiterhin trübselig nach vorn.
Lino Benares, ebenfalls von der Seekrankheit gezeichnet, machte nur einen schwachen Versuch, nach vorn zu sehen, wo der dunkle Felsen nun zum Greifen nahe schien. Aber da überkam es ihn wieder, und er sank zum Häufchen Elend zusammen.
Le Beau, der im Mittelmeer selbst eine Motorjacht besaß, rief aufgeregt: „Alex, wir geraten in einen Schlauch. Wir werden richtig hineingedrückt“
Das Floß wurde von der Strömung in eine Art Gasse im Felsen getrieben und hing dann mit einem jähen Ruck zu beiden Seiten am Gestein fest. Der plötzliche Stoß warf alle Passagiere des Floßes nach vorn, ob sie nun wollten oder nicht. James flog auf Benares, der wie ein Stier losbrüllte, Robert, dem alle Übelkeit wieder hochkam, landete auf Miss Willington, und der kleine Mexikaner konnte vom Baron gerade noch aufgefangen werden, sonst wäre er ins Wasser oder an den Felsen geflogen.
Le Beau — eigentlich hieß er Michel Dupont — krallte sich am feuchten Felsen fest und schrie: „Haltet es fest, sonst treibt es zurück! Haltet es!“
Der Baron packte auch zu, dann auch James, doch die anderen hatten völlig mit sich selbst zu tun. Von ihnen war keine Unterstützung zu erwarten.
Die enge Gasse im Felsen besaß an ihrem Ende eine von der Natur zufällig geschaffene stufenweise Schräge, die an eine schmale Treppe erinnerte. Uber einen Felsquader, der irgendwann einmal von oben herunter in diese Gasse gestürzt war und nun unten eingeklemmt lag, konnte man bis zu dieser Treppe klettern. Doch der Felsbrocken war glitschig und glatt.
Le Beau versuchte es dennoch und nahm die Floßleine mit. Wie ein Seiltänzer balancierte er über den glitschigen Stein, sprang bis zur Treppe, rutschte ab, hing bis zum Gürtel seiner zerfetzten Smokinghose im Wasser, zog sich wieder empor, und unter den aufgeregten Blicken der Menschen im Floss gelang es ihm, auf sicheren Boden zu gelangen. Er schlang die Leine um einen Vorsprung, so dass keine Rückströmung das nun festgemachte Floß wegtreiben konnte.
„Endlich! Endlich!“, rief Benares, kam am Baron vorbeigetaumelt und wollte sich an Land begeben.
Der Baron packte ihn an der einstmals dunkelblauen Smokingjacke und zog ihn nach unten. „Ladies first, mein Freund. Erst unsere Dame! Miss Willington bitte!“
Dolly Willington lächelte den Baron dankbar an, dann nahm sie seine Hand und ließ sich über Bord helfen.
„Immer die Leine halten, nicht loslassen! Le Beau, greif zu, sobald sie nahe genug ist!“, rief der Baron.
Dolly kam heil an Land. Danach durfte Benares hinüber, dann der Junge, und jetzt erst folgten Robert, James und der Baron zuletzt.
„Wir müssen das Floß bergen“, sagte er zu Le Beau, als sie dichtgedrängt auf dem treppenartigen Aufstieg standen.
„Ich würde sagen, wir schaffen das so nicht. Machen wir es doch mit zwei weiteren Leinen fest, Alex. Danach sehen wir uns vielleicht das Land mal an.“
„Nun gut, machen wir es also nur fest. Ich bin gespannt, wo wir hier sind.“
„Und ich erst. Vielleicht gibt