Zu neugierige Mörder: 9 Krimis. Karl Plepelits
ging einen Schritt auf Benares zu, der drehte nun ganz durch und sprang dem Baron mit erhobenen Fäusten entgegen.
Aber der Baron hatte immer noch die Arme unten hängen. Erst als Benares zuschlagen wollte und seine rechte Faust wie ein Geschoss auf das Gesicht des Barons zuflog, kam Bewegung in den Angegriffenen. Der Baron griff blitzschnell zu, packte Benares’ rechtes Handgelenk mit beiden Händen, duckte sich zur Seite, drehte sich herum, hatte Benares plötzlich wie einen Sack Kartoffeln auf seinem Rücken liegen, beugte sich jäh vor, und Benares flog wie ein Klumpen Teig in den Sand. Da der Baron aber das Handgelenk nicht losgelassen hatte, wurde Benares der Arm verdreht, und er schrie schrill auf, als er aufschlug.
Der Baron liess die Hand wieder los, stellte sich neben Benares, der wie ein geprellter Frosch am Boden lag, und sagte: „Das nächste Mal, mein Freund, wird es für Sie noch schlimmer. Stehen Sie auf, so schlimm war das nämlich noch gar nicht. Und außerdem bekommen wir Besuch. Dass Sie sich in Gegenwart einer Dame wie ein Straßenjunge benehmen, ist noch ein anderes Blatt. Los, aufstehen!“
Benares kam keuchend hoch, massierte sich die rechte Schulter und warf bitterböse Blicke um sich.
Le Beau trat neben ihn und meinte trocken: „Und jetzt müsste man einen schönen mattglänzenden Revolver haben, was, Benares? Auf Ihrer Bohrstelle haben Sie doch ganz sicher einen. Wenn dann so ein Kanake frech wird, knall, bumms, bekommt er eins vor die Rübe, nicht wahr? Zu dumm, dass Sie jetzt keinen haben, nicht wahr?“
Benares knurrte nur: „Scheren Sie sich zum Teufel!“
Le Beau lachte nur.
Das Boot war inzwischen so nahe, dass auch ein Kurzsichtiger erkennen konnte, was James vorhin berichtet hatte. Nur tauchten nun noch zwei weitere Köpfe im Boot auf, so dass es sieben waren.
Le Beau rief: „Verdammt, und weit und breit keine Kapelle, die ,Home sweet home‘ spielen könnte!“ Er blickte hinauf zu Miss Willington und rief ihr zu: „Legen Sie sich doch wenigstens einen Blumenkranz um den Hals. Das ist hier so üblich, wenn ein Schiff einläuft.“
Robert war neben von Strehlitz getreten. „Sir, es sieht nicht gut aus. Jetzt wird das Trinkwasser nur noch sechs Tage reichen, das Brennmaterial neun Tage, und wie es mit der Verpflegung aussieht, hängt vom Fischfang ab.“
„Wir werden schon irgendwie durchkommen, Robert. Berechnen Sie nur weiter die Vorräte, aber erst müssen wir zusehen, dass wir diese sieben Würmchen heil an Land bekommen.“
„Ich habe schon einige erkannt, trotz des ramponierten Äusseren. Vorn im Boot sitzt Doktor Rosco, daneben seine Frau Nina. Sie kennen Dr. Rosco ja noch von Bord.“
„Der großmäulige Politiker, der mich ausgelacht hat, weil ich eine Straße in den Urwald gebaut habe. O ja, ich weiß. Von dem aus könnten die Schwarzer, Indianer und Chinesen alle im Meer versenkt werden. Der hat noch einen Stich aus der Kolonialzeit behalten. Wer ist denn hinter den beiden? Übrigens ist Nina Rosco schon eine Frau, hmm.“
„Hinter Nina Rosco“, berichtete Robert, „sitzt dieses Playgirl, das sich an der Bar so betrunken hat, die war mit Stevenson befreundet. Seine ständige Begleiterin. Aber Stevenson ist nicht im Boot.“
„Nein, der ist ja gleich mit der Motorbarkasse abgehauen. Die kleine Jenny also, Nun, die macht auch einen ganz brauchbaren Eindruck. Und dahinter, ist das nicht dieser Handelsattache?“
„Ja, Sir, das ist Archibald Home, der Engländer, der Ihnen seine Pfeifentabakmischung angepriesen hat.“
„Stimmt, aber auch sonst war der ganz in Ordnung. Ach, und die beiden im Heck, das ist ja der Industrielle aus Paris. Dacombe.“
„Ja, Sir, Charles Dacombe mit seiner Frau. Sie ist übrigens Engländerin, sehr eigensinnig. Ich erinnere mich, dass sie sich immerzu über etwas beschwert hat.“
„Engländerinnen werden so, wenn sie älter sind. Genau wie Amerikanerinnen. Aber wer ist denn der Bursche ganz hinten?“
„Der Blonde? Das ist ein Mitglied der Besatzung. Maschinist oder so etwas. Ich kenne sogar seinen Namen.“
„Das überrascht mich nicht“, meinte der Baron lächelnd. Er kannte Robert, der ein einmaliges Gedächtnis besaß und immer bestens informiert war. Bestimmt, dachte der Baron, kennt er sogar die Vermögensverhältnisse all dieser Leute, die dort im Boot sassen.
„Der Maschinist heißt Mackenzie. Leider weiß ich den Vornamen nicht.“
Der Baron spottete: „Das ist eine Bildungslücke, Robert.“
Robert blieb todernst. „Verzeihung, Sir, aber das werde ich schnell korrigieren.“
Das Boot war wesentlich größer als das Floß der bereits auf der Insel befindlichen sieben Menschen. In diesem Boot wären gut und gerne dreißig Menschen untergekommen. Doch in der Panik auf dem brennenden Schiff, die besonders durch disziplinloses Verhalten der Schiffsführung gekennzeichnet war, hatte jedermann froh sein können, überhaupt in ein Boot gekommen zu sein.
Knirschend glitt der Bootskiel auf den Sand. Die Männer an Land sprangen hinzu und rissen das von den Wellen nachgeschobene Boot noch weiter hinauf.
Die Insassen kamen auf festen Boden. Erst die Frauen, dann die Männer. Allesamt machten sie einen etwas besseren Eindruck als des Barons Begleiter. Der Grund war schnell zu erkennen. Im Boot lagen jetzt noch Konserven, und Wasser war auch noch vorhanden.
„Welch ein Gück, wir sind an Land!", rief der weißhaarige, wie ein ästhetischer alter Professor wirkende Charles Dacombe.
Archibald Home, ein ebenfalls älterer Herr, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Chamberlain besaß, meinte verdrossen: „Das sieht nicht aus, als sei es ein britisches Eiland.“
Die strohblonde Jenny; die sich ihres offenbar zerfetzten Kleides entledigt hatte und sich daraus so etwas wie einen Minirock und eine Büstenbluse fabriziert hatte, meinte, während sie kess um sich blickte: „Oh, das ist ja wie eine Liebesinsel!“
Dabei warf sie dem Baron einen Blick zu, der ihm den Eindruck vermittelte, als stünde er auf der Schwelle von Jennys Schlafzimmer. Dann aber entdeckte Jenny die inzwischen herabgekletterte Miss Willington, und das veranlasste sie zu der spitzen Bemerkung: „Hach, und diese lästige Journalistin ist auch da!“
Wobei die
Betonung auf „lästig“ lag. Dass ihr Le Beau eilfertig die Hand hinstreckte, um sie durch den knöcheltiefen Sand zu führen, übersah sie geflissentlich.
Diese Hand ergriff, obgleich nicht für sie bestimmt, Nina Rosco. Sie war auch blond, wenn auch nicht so hell wie Jenny, aber sie war mehr als Jenny. Sie war kein Playgirl, keine ständige Begleiterin, sondern schlicht ein mannstolles Weib, und das zu beurteilen, hatte der Baron ein Auge. Nina war in der hohen Blüte einer Frau, so Ende der Dreißig, und sie befand sich in einem Alter, in dem Frauen nicht mehr fragen: Was ist er oder wie ist er? sondern nur noch: Wo ist er?
Le Beau, das sah der Baron mit einem Blick, war im Augenblick das willige Opfer. Und die Tatsache, in Begleitung ihres Mannes gelandet zu sein, schien Nina Rosco kaum zu stören, vielleicht gar nicht. Sie war der Typ Frau, der sich mit seinem Ehegespons arrangiert hatte. Nach dem Motto: Nimm du dir deine Sekretärin, ich nehme mir deinen Personalchef, oder vielleicht war sie auch mit dem Chauffeur zufrieden.
Diese Nina, sagte sich der Baron, wird uns noch viel Freude bereiten.
Ihr Mann war um die Fünfzig, hatte schütteres Haar und trug eine Brille. Auf dem Schiff hatte er, wie überall, wo er auftauchte, das große Wort geführt, sich arrogant gegen jedermann benommen und — wie Le Beau immer dazu sagte — wie ein Ochsenfrosch aufgeblasen. Jetzt jedoch wirkte er wie Napoleon nach Waterloo. Sein weißer Smoking sah aus, als hätte Dr. Rosco damit die Schiffsmaschine gereinigt, und von seinem blasierten Getue war nichts als nacktes Entsetzen übriggeblieben. Hinzu kam, was die Gefühlten des Barons nicht wussten, dass er sich im Boot während des Sturmes in den ersten achtundzwanzig Stunden wie eine Memme benommen hatte, und deshalb beachtete ihn niemand mehr, seine Frau am allerwenigsten. So war von dem großen