Zu neugierige Mörder: 9 Krimis. Karl Plepelits
das fiel weg. Dazu brauchte man Brennmaterial, und hier gab es das kaum. Das wenige mussten sie fürs Kochen und Braten aufheben. Rauchzeichen, damit sah es schon ein wenig günstiger aus, weil genug grünes Gras vorhanden war, das man vielleicht eines Tages in getrockneter Form auch als Brennstoff nötig haben würde. Blieben also zunächst die Sichtzeichen, aufgespannte Stoffetzen oder dergleichen, die ein Flieger vielleicht sehen würde.
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Es war Abend. Die Besatzung des Floßes hatte sich inzwischen etwas von den schlimmsten Strapazen erholt und war vom Baron zur Wellblechbaracke geholt worden. Auch das Boot hatten Le Beau und der Baron um die Insel gerudert, aber als Angelfahrzeug hatte es Le Beau nur mäßiges Glück beschert. Vier Fische, von der Größe mittlerer Forellen, waren ihm an das Monstrum gegangen, das er großartig Angel nannte. Der fünfte Fisch schließlich hatte ihm den dünnen und verrosteten Draht zerrissen, den er mangels etwas anderem als Angelschnur benutzt hatte. Die Schnur stellte auch gleichzeitig den Flaken dar, und als Blinker nahm Le Beau einen kleinen Schlüssel, den er in seiner Tasche noch gefunden hatte. Wie gesagt, es hatte viermal geklappt, denn die Fische hier schienen noch nie mit einer Angel Bekanntschaft gemacht zu haben.
Als sie nun über einem Reisigfeuer brutzelten, kamen James vor Hunger fast die Tränen. Er hätte die vier Fische auf einmal essen können und dann noch nach dem Hauptgericht gefragt.. Aber die anderen wollten auch etwas, und bei einbrechender Dunkelheit konnte Le Beau keinen neuen Versuch unternehmen.
So saßen sie nun alle sieben um das Feuer. Die einen mit ausdruckslosen Gesichtern, die anderen voller nagender Angst und Sorge, und schliesslich noch jene, die eigentlich für die anderen mitsorgten und trotzdem den Kopf oben behielten und lächelten: Le Beau und der Baron. Le Beau erzählte Witze, aber er hatte selbst das Gefühl, dass ihm kaum jemand zuhörte. Indessen zerteilte der Baron den Fisch zu gleichen Portionen, die den hungrigen James wegen ihrer geringen Größe ziemlich traurig stimmten.
Miss Willington, sonst so attraktiv und anziehend, von der Natur mit allem gesegnet, sogar mit einer verblüffend grossen Zuteilung an Verstand, war ziemlich geschlagen. Sie aß selbst diese kleine Fischportion wie ein Kind, das seinen Teller nicht leeren möchte. Dann legte sie sich hin und schlief auf der Stelle ein. Auch der sonst so großsprecherische Lino Benares hatte von diesem Teil der Reise genug und bekam immer kleinere Augen, bis er dann auch schlief.
James wurde vom Hunger wach gehalten, aber seine miese Laune besserte sich, als Robert ihm die Hälfte seiner Fischzuteilung schweigend hinschob und sich dann auch ausstreckte. Nur Tipo, der Schiffsjunge, war nicht mehr müde. Als einziger hatte er auf dem Floß geschlafen, und offenbar genoss er es, nicht wie an Bord in die Koje geschickt zu werden, weil er noch so jung war.
Er zog plötzlich aus seinen Blue Jeans eine dünne Schnur heraus und drückte sie wortlos dem staunenden Le Beau in die Hand.
„Mensch, Männlein, das ist ja eine Angelschnur! Woher, in drei Teufels Namen, hast du denn die? Eh, Alex, sieh dir das an! Dieser Zwerg hat eine Angelschnur einfach so in der Tasche! Und die gibt er mir erst jetzt!“ Er sah den strahlenden Jungen an. „Hast du auch einen Haken?“
Tipo löste den Gürtel seiner Hose, hantierte eine Weile an der Schnalle herum, und löste dann den Dorn und gab ihn Le Beau. „Das ist ein Haken. Ich habe schon Fische gefangen damit. Aber der Bootsmann hat’s gesehen und mich dann verprügelt.“
„Und warum?“, fragte Le Beau.
„Er hat gesagt“, erzählte Tipo, „dass auf einem Luxusschiff keine Fische gefangen werden.“
„Da hat er recht. Luxusschiffe sind keine Fischdampfer, haha!“ Le Beau warf einen kurzen Seitenblick auf den Baron, dann beobachtete er Miss Willington, die im Schlaf noch hübscher aussah als sonst.
James schlief auch und schnarchte dabei. Seine massige Brust und sein Bauch hoben und senkten sich.
Der Baron räumte wie selbstverständlich die Essensreste, Gräten und was sonst noch herumlag, ins Feuer, sah Le Beau an und sagte: „Morgen wird eine menschliche Behausung aus der Baracke gemacht. Sie ist groß genug für uns alle zum Schlafen. Du nimmst den Jungen mit, dann werdet ihr wieder angeln. Dein Hobby ist für uns jetzt Lebenserhaltung. Also zeig, was du kannst! Du auch, Tipo!“
Der Junge, jetzt mit einem Mal doch müde geworden, nickte schläfrig.
*
Am nächsten Tag war herrlichstes Wetter. Blauer Himmel, strahlende Sonne, ein ziemlich ruhiges Meer, aber weit und breit kein Schiff und am Himmel nur Möwen, die ihre neuen Mitbewohner entdeckt hatten und nun in Schwärmen auftauchten, keischten und über dem Lager kreisten, als sei dort etwas Essbares zu erwarten.
Der Schlaf hatte allen sieben Schiffbrüchigen gutgetan. Miss Willington hatte wieder rote Wangen und wirkte selbst in ihrem zerrissenen Abendkleid so attraktiv, dass Lino Benares sie wie gebannt anstarrte.
Auf dem Meer waren Tipo und Le Beau schon sehr erfolgreich gewesen, besonders Tipo, von dem Le Beau noch lernen konnte, wie man ohne teures Angelzeug und ohne eine fachgerechte Petrijünger-Ausrüstung dennoch große Fische fängt. Aber ihr Fischfang lockte auch ein paar andere Kameraden an, Haie. Sie kamen erst in kleinen Gruppen, dann in Scharen. Le Beau brachte das Floß an den Strand, blickte skeptisch auf die weiter draussen dahinschiessenden Dreiedcsflossen und meinte zu Tipo: „Mein lieber Zwerg, wenn wir nicht beim nächsten Fischfang selbst als Köder verdaut werden wollen, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Komm, Zwerg, die Beute ist für heute reichlich.“
Sie schleppten elf große Fische zum Lagerplatz, wo von Strehlitz mit James, Robert und Lino Benares aus zusammengesuchtem Buschreisig einen Stapel Brennmaterial auftürmte. Miss Willington war auf des Barons Geheiß auf die Hochfläche gestiegen und sollte dort Ausschau nach Schiffen oder Flugzeugen halten. Aber sie schaute vergebens, jedenfalls nach großen Schiffen oder Flugzeugen. Statt dessen sah sie am hohen Vormittag, als unten schon ein großer Brennholzstapel aufgetürmt war, etwas anderes.
„Ein Boot! Es kommt ein Boot!“, rief sie.
Sofort ließ jeder, der etwas tat, die Arbeit ruhen, starrte erst zu Miss Willington hinauf und dann in die Richtung, in die sie zeigte. Aber von unten konnten sie es erst später erkennen.
Der Baron kniff die Augen zu schmalen Spalten zusammen und sagte: „Ein kleines Boot mit einem Notsegel. Sieht wie ein Rettungsboot aus.“
„Wir müssen Rauchzeichen geben, Baron, Rauchzeichen!“, rief Lino Benares aufgeregt, zerrte wieder Reisig vom Stapel herunter und wollte es anbrennen.
„Hören Sie doch damit auf! Das Boot hat die Insel längst gesehen und uns auch!“, sagte der Baron scharf. „Wir brauchen das Brennmaterial noch. Das Boot könnte von der ,Monte Christo' sein.“
„Monte Christo? Das sind unsere Retter! Es sind ...“
Der Baron sah Benares an. „Reißen Sie sich mal am Riemen, Mensch! Denken Sie doch nach! Welche Retter kommen mit einem Rettungsboot? Und es ist eines. Sehen Sie doch hin!“
Lino Benares warf erst dem Baron einen bösen Blick zu, dann knurrte er: „Sie spielen sich hier als Boss auf. Am Ende macht Ihnen das alles wohl noch Spaß, was? Ich habe schon davon gehört, dass Sie Abenteuer lieben. Ich bin Geschäftsmann. Ich hasse Abenteuer!“
„Mit Verlaub zu sagen, mein Bester, Sie drehen gleich durch. James, du hast Augen wie ein Adler. Was siehst du?"
James hielt die eine Hand wie ein Fernrohr vors Auge und sagte: „Ein Rettungsboot ... fünf Menschen kann ich erkennen. Vorn steht etwas auf dem Boot, aber ich kann es nicht lesen ... noch zu weit. Aber es sieht aus wie das letzte Boot, Herr Baron, das wir noch mit hinabgelassen hatten. Es ist auch eine Fünf darauf. Ja, jetzt kann ich die Schrift lesen. ,Monte Christo heißt das, ja, genau, das heißt es.“
„Senor Benares, tun Sie das Reisig wieder auf den Stapel!“, bestimmte der Baron.
Der Ölmanager machte ein wildes Gesicht, dann fauchte er: „Halten Sie nur Ihre verdammte Schnauze, Sie Lackaffe! Ich tue, was mir gefällt.“
James wirbelte mit