Zu neugierige Mörder: 9 Krimis. Karl Plepelits
„Hier, hier ist was, kommen Sie!“, rief er und verschwand wieder im Gebüsch.
Als Dolly zu ihm kam, kauerte er zwischen den Zweigen und betrachtete eine aufgeklappte Metallkiste, die etwa die Größe eines Munitionskastens hatte.
Im Innern lagen grünschillernde kleine Platten, die der Baron jetzt aus der Kiste ins Gras schüttete. Er hob eine davon auf.
„Was ist denn das?“, fragte Dolly.
„Klischees. Sehen Sie sich das genau an! Etwas Grünspan darauf und Oxyd, aber Sie werden noch genug erkennen.“
Dolly sah sich die Platte an und rief verblüfft: „Das sind doch Druckplatten von Geldnoten.“
„Stimmt. Geldnoten der Republik Haiti. Ich möchte wetten, dass es Fälschungen sind.“
„Verstehen Sie den Zusammenhang?“
„Nein, noch nicht, Dolly. Aber jetzt möchte ich auch sagen, dass diese Insel ihr Geheimnis hat.“
Eine Viertelstunde später lag die Lösung vor ihm. Sie wollten wegen des aufkommenden Sturmes schon umkehren, als er sich durch das Gestrüpp eine Gasse bahnte und auf eine kleine Lichtung im Gebüsch stieß, in der er eine eingesunkene Stelle entdeckte, die er aufgrub. Und hier stieß er auf ein Erdloch, dessen Abdeckung zusammengesunken war. Im Loch befand sich eine Zinkkiste, die er mit Dollys Hilfe heraushob. Als er den Verschluss öffnete, begann der Sturm schon über die Hochfläche zu fegen, Sand und Grasbüschel vor sich hertreibend.
Aber beide waren viel zu vertieft in ihren Fund, um darauf zu achten. Der Deckel der Kiste schlug auf, und darinnen lagen, mit Plastikfolien verpackt, ganze Stöße von Geldnotenbündeln. Der Baron holte eines davon heraus und riss die Folie auf. Die Scheine, die er kurz darauf in der Hand hielt, waren mexikanische Pesos. Er hielt einen Schein gegen den Himmel und sagte: „Meines Erachtens sind es Fälschungen, aber das müsste ein Fachmann sagen. Robert ist einer. Er wird sich wundern. Wenn das Geld echt ist, liegt eine gute Million vor uns. Ist es falsch, können wir Öl darüber gießen.“
„Und wer hat das Zeug hergebracht?“
„Sehen Sie auf die Kiste.“ Er klappte den Deckel zu. „Da steht es drauf.“
Sie sah ein Emblem auf dem Zink, darunter war auf spanisch zu lesen: Nationale Front der Befreiung von Haiti und Westindien.
*
Der Sturm heulte und tobte mit aller Macht. Riesige Wogen wälzten sich auf den schmalen Sandstreifen vor der Steilküste zu, und dort schlugen die gewaltigen Brecher mit der Gewalt gigantischer Dampfhämmer nieder, wirbelten alles durcheinander und rissen beim Zurückfluten alles mit, was sie packen konnten, auch das Rettungsboot, das in ganz kurzer Zeit zerschmettert wurde.
Längst hatte die Sturmflut die herumliegenden Trümmer der Sunderland regelrecht unter sich begraben. Immer höher stieg das Meer an und bedeckte nach einer halben Stunde schon den gesamten Strand bis hin zu den Felsen. Dort aber schäumte, brodelte und donnerte die Flut, als wollte sie auch die granitharten Felswände zermürben.
Oben in der sicheren Höhle hockten die Schiffbrüchigen und ihre beiden Gefangenen dicht an dicht. Vor wenigen Minuten war der Baron mit Dolly Willington zurückgekehrt, gerade noch rechtzeitig, bevor der Sturm Orkanstärke erreicht hatte.
Der donnernde, brüllende Lärm der tobenden See übertönte jedes Geräusch. Eine Unterhaltung war in diesem infernalischen Krach überhaupt nicht möglich. Über der Insel hatte sich der Himmel verdunkelt. Obgleich es erst Mittag war, hätte man meinen können, die Nacht sei hereingebrochen. Gischt spritzte bis hinauf in die Höhle und durchnässte den Baron, der ganz vom am Eingang stand und auf die Szene blickte, die von den Naturgewalten geboten wurde.
Hier oben waren alle sicher, aber Nina Rosco und ihr Mann schienen an den Weltuntergang zu glauben, knieten im hintersten Winkel der viel zu engen Höhle und beteten. Der Baron sah es und dachte: Jetzt beten sie, und derselbe Dr. Rosco hat keine Skrupel, kaltlächelnd eine ganze Familie armer Bauern um die armselige Existenz zu bringen und von seinem Land zu jagen.
Dolly Willington bemühte sich um die vor Angst schlotternde Mrs. Dacombe, während Jenny sich ängstlich an die breite Brust des Schiffsmaschinisten Mackenzie presste. James putzte sich ungerührt die Fingernägel, und Robert sah beispielnehmend auf Le Beau, der mindestens ebenso ungerührt blieb wie James.
Archibald Home, der Attache, blickte am Baron vorbei auf die tobende See, und Charles Dacombe hockte mit gesenktem Kopf und machte ein Gesicht, als errechnete er den Verlust in seinen Fabriken in Frankreich, der während seiner Abwesenheit entstanden sein konnte.
Plötzlich peitschte der Sturm Regen gegen die Felsen. Aus dem Regen wurde ein regelrechter Wolkenbruch, und allmählich flaute auch der Sturm wieder ab und wurde zum böigen Wind. Die See wich vom Strand zurück und gab das frei, was sie aufgewühlt und umgepflügt hatte. Während die Güsse auf die Insel schütteten, schrie der Baron nach James und Le Beau und kletterte mit den beiden bis zur Zisterne hinab. Dort hatten Sand und riesiges Geröll den Zulauf versperrt, so dass kostbares Regenwasser seitlich in den Sand rann.
Sie legten gemeinsam den Zufluss frei, und binnen Sekunden stieg der Pegel in der Zisterne. Bis hierhin hatte zwar das Meer nicht kommen können, doch der Sturm schien Berge von Sand in die Zisterne geblasen zu haben. Mit Blechstücken und Brettstümpfen, die sie fanden, schaufelten die drei Männer den Sand aus der Zisterne, dabei selbst bis an die Oberschenkel im Wasser stehend. In ganz kurzer Zeit war die Zisterne randvoll, an den drei Männern aber war kein Fetzen trockenes Zeug mehr. Trotzdem wühlten sie so etwas wie eine Grube in den Sand, damit das noch immer wolkenbruchartig vom Himmel schüttende Regenwasser aufgefangen werden konnte.
Nach zwei Stunden hörte es auch auf zu regnen, der Himmel wurde hell, und nach ein paar Minuten strahlte die Sonne auf die Insel, als sei nie etwas gewesen. Am Strand war von den Flugzeugtrümmern nur noch ein Stück von dem nahezu völlig mit Sand bedeckten einen Motor zu sehen. Alles andere hatte die See verschlungen. Auch das Rettungsboot. Einzelne Trümmer davon ragten weit entfernt wie Spieße aus dem Sand: Die Insel zeigte sich so jungfräulich wie vor der Besitzergreifung durch die Schiffbrüchigen. Keine Spur einer Explosion, kein Ruß mehr auf dem Sand, alles war neu, weiß und sauber. Und die letzte Chance, mit dem Rettungsboot in Sicherheit zu kommen, bestand auch nicht mehr.
*
Während Le Beau und James noch am Strand nach etwas suchten, was sich vielleicht noch verwerten ließ, kletterte der Baron zur Höhle hinauf. Dort erwartete ihn eine Überraschung. Mackenzie, der Maschinist, hielt die einzige MP, in der sich noch Munition befand, in den Händen. Hinter ihm standen, von ihren Fesseln befreit, die beiden Schwarzen, Jenny und das Ehepaar Rosco.
Mrs. Dacombe riss sich gerade von ihrem Mann, der sie halten wollte, los und stellte sich ebenfalls zu jenen, die sich hinter Mackenzie geschart hatten und offenbar eine Partei bildeten. Gegenüber von Mackenzie hoben Robert, Archibald Home und nun auch Charles Dacombe die Arme. Home lächelte dabei sarkastisch, wie es seine Art war. Er war ein Engländer vom Scheitel bis zur Sohle, ein Sohn jener Ahnen, die ein Weltreich erobert hatten. Angst durfte man haben, aber nie zeigen.
Charles Dacombe schien vor Wut zu kochen, doch was eine MP ist, wusste er zu gut, um den Helden zu spielen. Das gallische Temperament in Dacombe rang mit der Vernunft. Aber man sah ihm an, dass es nicht viel kostete, und er wäre trotz seines Alters wie ein Tiger auf Mackenzie losgegangen. Dacombe hatte sich halb vor Dolly Willington gestellt, die zwar die Arme nicht hob, aber dennoch keine Möglichkeit hatte, etwas gegen Mackenzie und seine Waffe zu tun.
Mackenzie hatte den Baron schon gesehen, schwenkte den Lauf der MP herum und fauchte: „Stehen Sie still! Ich habe keine Hemmungen, das Ding auf Sie abzudrücken.“
Der Baron lächelte kühl. „Und wozu soll dieser Zauber taugen?“
Statt Mackenzie antwortete Dr. Rosco. „Wir haben beschlossen, uns mit den Männern der Nationalen Fiont zu arrangieren.“
Die beiden Schwarzen grinsten breit. Aber sie schwiegen.
„In