Wer A sagt, sollte auch weitergehen. Winfried Niebes
nach all den lustigen, mit viel Witzeleien und Neckereien erlebten Zeiten.
Als grandiosen Witzeerzähler kann ich mich nicht hervortun. Im Gegensatz dazu schien mir Spaßmachen und herzlich zu lachen angeboren zu sein – von welchen Vorfahren, ist nicht ergründbar. Zum Stichwort lachen fällt mir ein früherer Dorfnachbar ein, welcher so herzlich lachen konnte, dass sein gesamter rundlicher Körper erbebte. Mir entströmten in den vergangenen Jahren des Öfteren lautstarke Jubelkanonaden zu manchen Filmdarbietungen und ich durfte mir anhören: „Schrei doch nicht so laut!“ Im Gegensatz zu Liselotte Pulver bin ich unbedeutend und niemand kann mein Lachen als Markenzeichen bezeichnen.13 Andererseits liefen mir bei sentimentalen Sendungen, gleich ob zu Filmen oder Berichten zu historisch-bedeutsamen Ereignissen, die Tränen aus den Augen.
Nicht vergessen habe ich, dass im Dorf Krawalle und angehende Schlägereien immer dann angesagt waren, wenn einige ungehobelte und körperlich sehr stabile Kerle, Brüder, so richtige Raufbolde, aus Stadtkyll eintrafen. Der ältere der Brüder war breitschultrig und groß, der jüngere kleiner und hatte eine freche Gosche. Das Augenmerk dieser Rabauken lag auf Stänkereien, sie waren von Natur aus nicht friedliebend. Mit keinem von ihnen, besonders mit dem größten, meist betrunkenen Bauernsohn, hätte ich eine Rauferei erleben mögen. Sehr rasch musste die Wirtin einschreiten; oft wurden sie unter Beteiligung starker Dorfmänner des Saales verwiesen.
Überaus ärgerlich war eine Kontrolle während einer Tanzveranstaltung in Jünkerath. Der Hotelier und Gastwirt Schneider in der Nähe des Bahnhofs kontrollierte, ob ich bereits achtzehn Jahre sei und alleine am Abend hier erscheinen dürfe. Derartige Probleme hatte ich verschiedentlich, zu meinem Leidwesen auch bei den Mädchen, die mich jünger einschätzten und sich daher eher nach älteren Jungs umschauten. Der Gastwirt kannte mich aufgrund der mehrfachen Besuche mit meinen Eltern und deren Kegelklub in seinem Haus. Treu und brav kramte ich aus dem Portemonnaie meinen Ausweis, er schaute gelangweilt die Daten an und verschwand kommentarlos.
13 Lesehinweis
Theater, Theater, der Vorhang geht auf
Wer nun den Eindruck von einem jungen Heranwachsenden mit ausschließlich lustigem, beflügeltem Handeln, der frei von sozialem Engagement war, gewonnen haben mag, soll aufrichtig aufgeklärt werden. Es gab damals bei uns jederzeit viel zu tun, wie der Kabarettist Rüdiger Hofmann in seinen Shows darlegt. Ein umfangreiches, fast unübersichtlich erscheinendes Projekt machte seit längerer Zeit der Dorfgemeinschaft, insbesondere den Theaterleuten, arges Kopfzerbrechen. Das muss in der ersten Hälfte bis etwa Mitte der Sechzigerjahre gewesen sein.
Das alte Vereinshaus, unser „Villax“, bedurfte einer dringenden Grundsanierung vom nicht vorhandenen Keller bis zum Dach. Aus heutiger Betrachtung stelle ich fest, dass damals Schüller über etwas verfügte, was sich mancher andere kleine Ort, wie auch finanziell bessergestellte Gemeinden, gewünscht hätte. Wir Jugendliche waren stets aktiv. Es steht außer Frage, dass die Sanierung oder der Ausbau nur unter der Leitung eines engagierten Erwachsenen ein Erfolg werden konnte. Mit felsenfester Überzeugung stellten wir uns vor, für die Gemeinde etwas mit besonderer Bedeutung zu vollbringen. Ein Veranstaltungsort sollte nicht nur für die Jugend, sondern für alle möglichen Festivitäten im Ort wie die alljährliche Kirmes am dritten Sonntag im Oktober, das Feuerwehrfest im August sowie größere familiäre Zusammenkünfte geschaffen werden.
Einigermaßen unverständlich erschien uns, dass die überwiegend älteren Gemeindeväter mit heftigen Argumenten erst in die Spur gebracht werden mussten. Was wussten wir schon über die Finanzen der Gemeinde? Dass kein hohes Steueraufkommen existierte und somit nur begrenzte Haushaltsmittel für freiwillige Aufgaben zur Verfügung standen, wurde uns ausgiebig nahegebracht. Die Mittel waren für die zwingende Unterhaltung von Friedhof, Straßen oder Feldwegen festgelegt. Zudem stand für die Gemeinde der Neubau einer Schule auf der Tagesordnung. Die Finanzierung konnte selbstverständlich nur mit Mitteln des Kreises und des Landes realisiert werden. Meine alte Schule, direkt oberhalb an das Vereinshaus angrenzend, schien aufgrund der Bausubstanz und die an eine moderne Lehranstalt gestellten Anforderungen wirtschaftlich nicht sanierungsfähig zu sein.
Positiv habe ich in Erinnerung, dass überörtliche Behördenvertreter nach Ortsbesichtigung die Notwendigkeit der Sanierung des Gemeindehauses bestätigten. Soweit ich aus Erzählungen noch weiß, hatte die Gemeinde das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg erworben – ein sehr weiser, wichtiger Schritt für die gesellschaftliche und kulturelle Zukunft der Dorfgemeinschaft mit mehr als dreihundert Seelen.
Jedenfalls erklärten sich sehr viele Männer bereit, für ihren Veranstaltungssaal ihre knappe Freizeit einzusetzen. Wir Jugendlichen hätten das Vorhaben ohne den handwerklichen Sachverstand dieser Männer jedenfalls nicht bewältigen können. Wir zeigten Enthusiasmus und wollten etwas Großes schaffen. Ich war mit meinem Vater abends sowie samstags viele Stunden auf der Baustelle tätig. Er war der Elektriker und ich sein ungelernter Gehilfe.
Der marode Fußboden wurde mit Hacken herausgerissen, sehr viele alte, teilweise angefaulte Holzbretter mussten beiseite geräumt werden. Die Anzahl der bis zum Rand voll beladenen und mir oftmals zu schweren, nach draußen zu schiebenden Schubkarren habe ich nicht gezählt. Eine besondere Problematik ergab sich bei der neuen Konstruktion der Bühne. Die alte, niedrige Saaldecke musste einer neuen, höheren weichen, um Freiraum für Theateraufführungen zu schaffen. Der Einsatz unseres Dorfschreiners war vonnöten. Nach meiner Vermutung stand seinerzeit niemandem der Sinn danach, das Baugeschehen zu fotografieren; ohnehin machte sich kaum jemand Gedanken, möglicherweise Notizen für unsere Nachwelt zu hinterlassen. Als angenehme Tätigkeit gestaltete sich schließlich das Verlegen des Fußbodens mit qualitativ hochwertigen Fichtenbrettern. Damals lernte ich den Unterschied zwischen Nut und Feder kennen. Das schräge Einschlagen der kurzen Metallstifte in die Felder jedes einzelnen Brettes zur stabilen Befestigung war kein leichtes Unterfangen. Nach so manchem Fehlschlag und krummen, mit der Kneifzange wieder herauszuziehenden Nägeln, erlangte ich eine gewisse Schlagfertigkeit.
Irgendwann gerieten wir arg unter Zeitdruck. Mit großen Schritten kam der Dezember auf uns zu. Etwa vier Wochen vor Weihnachten und der geplanten Theateraufführung drängte die Zeit. Aufregung und Sorge existierten zur unklaren neuen Bestuhlung. Das Glück ist jedoch den Fleißigen hold und wir nutzten die Chance, dass Verwandte eines an den Arbeiten indirekt Beteiligten in ihrem Kinosaal in Bochum ihre Kinostühle nicht mehr benötigten. Ob deren Vorführtempel keinen Zuspruch fand oder die Eigner sich zur Ruhe setzen wollten, ist mir nicht mehr erinnerlich. Irgendwie wurde ein Transport für die geschenkten Stühle organisiert. Ein Trupp reiste an, um die Stühle loszuschrauben und die Einzelstücke transportfähig aufzubereiten. Wer die Fuhre zu unserem Bauprojekt auf den Weg brachte und auf welche Art, weiß ich auch nicht mehr. Im Vereinshaus steckten wir die Stühle reihenweise mit seitlichen Verbindungselementen aneinander. Eine Verschraubung auf dem neuen Fußboden war ohne Worte verboten.
Endlich Dezember und unsere ersehnte Aufführung konnte präsentiert werden. Das erste Stück, „Das Vater unser“, war sehr prägnant, emotional und ernst. Mein Vater und eine meiner Schwestern gehörten zum Kreis der Hauptdarsteller. In diesem Stück hatte ich keinen Auftritt. Sehr oft wirkte ich in Luststücken als Gendarm oder junger Liebhaber mit. Meine Mutter hingegen blieb alle Zeiten Zuschauerin. Es war für uns Theaterleute durchaus sehr erfreulich, wenn wir nach den oft einige Stunden dauernden Proben nach Hause kamen und eine Mahlzeit für uns auf dem Tisch bereitstand.
Heute bedauere ich gelegentlich, kein Tagebuch geführt zu haben, das wäre zur damaligen Zeit unüblich gewesen, für einen Jungen zudem nicht passend. In der Biografie über Liselotte Pulver las ich, dass sie bereits seit ihrem zwölften Lebensjahr Tagebuch geführt hatte – aber sie lebte in einem anderen familiären Umfeld.14
Im Lauf einiger Jahre wurden Stücke aus unterschiedlichen Genres aufgeführt. Ich weiß noch, dass es besonders schwierig war, in Lustspielen auf der Bühne selbst ernst zu bleiben; es sei denn, das Regiebuch erlaubte ein Lachen. Wir hatten strenge Lehrmeister bei den Proben. Der erste, ich sage mal, Regisseur, war ein sehr kleiner Mann, allerdings von stämmiger Statur. Infolge hohen Alters übergab er den Stab an seine Tochter. Sie hatte eine nicht so strenge Art, gab aber bestimmt und gekonnt ihre Anweisungen. Insgesamt stelle ich im Nachhinein