Blind Date in Paris. Stefanie Gerstenberger

Blind Date in Paris - Stefanie Gerstenberger


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      »Gehen wir rein?«

      »Äh. Ich sehe aber niemanden. Vielleicht haben die ja gar nicht auf.«

      »Irgendwer wird dadrin schon rumsitzen. Wir suchen doch nur nach Aurélie Schneider, keine große Sache. Such Eingang!« Ken, besser gesagt, Barbie übernahm die Führung. So von hinten sieht er richtig cool und selbstbewusst aus, dachte ich, bevor ich ihm durch die Tür folgte.

      In der Galerie war es still. Ich schaute mich verlegen um.

      »Hallo, ist jemand zu Hause?«, rief Ken auf Französisch gegen das hohe Deckengewölbe, so laut und überraschend, dass ich zusammenschreckte. Selbst das schien Ken gehört zu haben, denn er sagte: »Sei ganz cool, wir finden sie. Falls wir es nicht anders hinbekommen, könntest du aber auch anfangen zu weinen. Ist nur ein Vorschlag.« Er lächelte.

      »Pff. Ich werde hier doch nicht losheulen!« Ich sah ihn empört an und marschierte weiter in die Galerie hinein.

      »Bonjour!« Aus dem Nichts tauchte ein kleiner Mann in einem sommerlichen Anzug auf. Seine wenigen Haare waren grau, lang und aus der Stirn gekämmt, er sah mich über seine randlosen Brillengläser vorwurfsvoll an, empfindlich gestört in seinem Frieden.

      Klar, wir sehen ja auch seltsam aus, dachte ich sofort. Ich mit meiner Nase und dem Koffer, Ken mit Reisetasche und seinem Hund. Wir sind ganz bestimmt nicht zum Bilderkaufen hier …

      »Bonjour, Monsieur! Wir suchen eine Künstlerin, die bei Ihnen ausstellt«, sagte Ken in seinem lässigen Französisch. »Madame Aurélie Schnai-dèrr?« Er sprach den Namen so falsch aus, wie die Franzosen es wahrscheinlich alle taten.

      »Madame Schnai-dèrr?«, gab der Mann jetzt ebenso zurück. »Ah, oui …?«

      Ken redete eine Weile mit ihm, zeigte auf mich (woher wusste er schon wieder so genau, wo ich stand?) und schilderte in wenigen Worten, dass mir am Bahnhof alles gestohlen worden sei und wir nun unbedingt Aurélies Adresse bräuchten.

      Ich lächelte den Galeristen so überaus freundlich an, dass meine operierte Nase wehtat, doch der Typ schüttelte nur irgendwann den Kopf. »Non, ce n’estpaspossible!« Es täte ihm leid.

      »Datenschutz«, sagte Ken grinsend zu mir, doch ich merkte, dass er genervt war, so gut kannte ich ihn nun schon. »Von wegen Datenschutz! Das Wort hat der gestern zum ersten Mal gehört.«

      »Genau! Außerdem stellt meine Tante doch hier aus!« Meine Stimme wurde immer lauter. »Sie stellt aus, man kann ihre Bilder kaufen, man kann in ihr Atelier gehen und sich dort eins aussuchen! Das habe ich selbst gesehen. Früher. Also was soll das? Frag ihn bitte!«

      »Gern«, sagte Ken und übersetzte Wort für Wort, was ich gesagt hatte.

      »Ce n’est pas possible!«, kam es leise und arrogant von dem Galeristen-Typ. »Das ist nicht möglich, sie möchte keine Kunden mehr empfangen.«

      »Wie soll ich sie denn sonst finden!?« Plötzlich schlug eine Welle von Selbstmitleid über mir zusammen, ich war nicht zum Spaß hier, ich war bestohlen worden, das hatte der Idiot wohl noch nicht verstanden! Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. Er war meine einzige Chance, wenn ich nicht die Straßen im Umkreis von mehreren Kilometern absuchen und dabei in jeden Hinterhof schauen wollte. Mit einem Blinden neben mir, der absolut keine Eile kannte, mit dem es – sorry, Barbie! – ja doch verdammt viel langsamer als normal ging! Der Galerist schaute mich von oben bis unten an, als ob ich einen besonders fiesen Geruch verströmen würde. Die Worte tropften so langsam aus seinem Mund, dass ich ihnen folgen konnte: »Die Tante, ja? Was ist mit Ihren Eltern? Wissen die nichts?«

      Verdammt, jetzt kamen mir wirklich die Tränen. Natürlich konnte ich bei Papa nachfragen, aber ich hatte einfach nicht die Kraft, mir seine blöden Fragen und Vorwürfe anzuhören. Ich würde mich stundenlang rechtfertigen müssen, für eine Sache, an der ich keine Schuld hatte. Oder zumindest nicht viel. Wie vor zwei Wochen mit dem blöden Nasenbeinbruch und dem Likör. Nie glaubte er mir was! Mir war schwindelig, ich war müde und plötzlich so schwach – keine Minute länger würde ich mich auf den Beinen halten können. Ich ließ mich einfach auf einen Hocker fallen, der mitten im Raum stand, und weinte dort weiter.

      »Mon dieu! Mademoiselle!« Er sagte noch mehr, das nicht wirklich begeistert klang.

      »Er findet dein Verhalten nicht angemessen, soll ich dir ausrichten. Und der Hocker sei ein Kunstwerk.«

      »Echt? Das alte Ding?« Ich schoss hoch. Nachher verklagte er mich noch auf eine Million Schadenersatz, bei meiner Glückssträhne heute. »Er soll mir die Adresse sagen! Das Atelier ist doch nicht privat, da kann doch jeder hin! Scheiß Datenschutz!«

      »Wandâ.«

      Ich schielte zu ihm hinüber. Ken sah aus, als ob er auf die Straße schaute. »Ich glaube, Monsieur möchte irgendwas loswerden.«

      Das wollte Monsieur allerdings, denn er ließ einige zornige Sätze vom Stapel, in denen auch mehrere Straßennamen vorkamen. Durch meinen Tränenschleier sah ich, dass Ken mehrmals nickte, woraufhin der kleine Herr sich auf quietschenden Ledersohlen umdrehte und in den Tiefen seiner Galerie verschwand.

      »Was hat er gesagt?« Ich wischte mir vorsichtig die Nase ab, ein Taschentuch hatte ich natürlich nicht zur Hand. »Und wo ist er hin?« Ich lief ein paar Schritte hinter dem Typ her, kehrte aber sofort wieder um.

      »Siehst du? Weinen hilft!« Ken grinste in die Ferne. »Lass uns rausgehen, der ist echt sauer auf dein Tantchen, aber wenigstens weiß ich, wo sie wohnt!«

      Oh, wie cool! Am liebsten hätte ich seine Hand genommen und kurz gedrückt, aber das wäre komisch gewesen, also ließ ich es.

      Auf dem Weg zu Aurélie erzählte Ken mir, was er erfahren hatte. »Offenbar hat sie ihn mit ein paar Auftragsarbeiten hängen lassen, für die sie schon einen Vorschuss kassiert hat, ja, die sogar schon verkauft sind! Sie fotografiert nicht mehr, liefert ihre Sachen nicht, das Atelier ist angeblich zu.«

      »Für immer? Sie schrieb mir, sie sei heute krank geworden und könne das Haus deswegen nicht verlassen.« Ich zuckte innerlich zusammen, zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Handy noch gehabt. Und mein Portemonnaie.

      Ken imitierte gekonnt die empörte Stimme des Galeristen: »Sie ist unmöglich! Und benimmt sich wie ein kopfkranker Flamingo im Hungerstreik.«

      »Ein kopfkranker Flamingo? Das hat er nicht gesagt!«

      »Doch.« Ken lachte laut auf. »Und dass sie ihm Geld schulde, zu viel trinken würde und keine Kunden mehr bei sich im Atelier haben wolle und mit Männern nicht klarkäme. Das nenn ich mal Datenschutz!«

      Er zog sein Handy hervor und sagte »Rue Brochant« zu ihm. »Voran, Barbie, such Weg. Braver Hund!«

      »Hier muss es jetzt irgendwo sein«, sagte er ein paar Minuten später.

      »Ich weiß, ich weiß, ich erinnere mich!« Vor Freude lief ich so schnell in den Eingang des Hinterhofs, dass die Räder meines Koffers über die buckligen Pflastersteine sprangen. »Hier ist es, das ist das Atelier, das kenne ich alles, da unten geht es zur Dunkelkammer in den Keller!« Ich ließ den Koffer stehen und drehte mich einmal um mich selbst. »Und die Töpfe mit den Pflanzen und die Fenster der Wohnung, da oben, dieselben roten Vorhänge wie früher!« Ich hielt inne. »Vielen Dank, Ken! Ohne dich und Barbie hätte ich das niemals geschafft. Ich hol schnell das Geld, das ich dir schulde, und dann kannst du weiterziehen, du willst ja auch sicherlich in dein … Hotel?«

      Er schüttelte langsam den Kopf. »Wie gesagt, ich bin frei, ich hab Zeit. Soll ich dich nicht noch hochbringen? Wer weiß, ob sie da ist. Vielleicht kannst du meine Hilfe ja weiterhin gebrauchen.«

      Bloß nicht, dachte ich. Das war zwar alles ziemlich toll von dir, aber die Tour war schon echt grenzwertig. Du hast mich weinen gesehen, äh, gehört. Du hast mich so hilflos und irgendwie schusselig erlebt, etwas, das Papa unerträglich findet. »Na ja, vielleicht … ach, ich weiß nicht.«

      »Wenn sie nicht mehr hier wohnt, müssen wir weitersuchen.«


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