Blind Date in Paris. Stefanie Gerstenberger

Blind Date in Paris - Stefanie Gerstenberger


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in das Bistro gegangen und haben croque monsieur gegessen. Kino schmeckt für mich noch heute nach überbackenem Toast …«

      Aha. Ich wollte mit ihm keinesfalls noch weiter über seine Zeit als sehendes Kind reden. Mein Koffer rumpelte über das Trottoir. Neben mir, vor mir, hinter mir, überall waren Menschen. Und dieser Verkehr erst! Mir lief der Schweiß über den Rücken. Wie sollte ich in diesem Gewühl vorwärtskommen, noch dazu mit Ken im Schlepptau? »Da vorne ist ein Zebrastreifen, wollen wir da rüber?«

      »Klar. Barbie kann das.«

      Ich beobachtete, wie die Hündin ihr Herrchen umsichtig an Pollern und Mülleimern vorbeiführte, die im Weg standen. Sie hielt brav am Zebrastreifen, bevor er dann wieder mit ihr losging, und wich schlecht geparkten Motorrollern und sonstigen Hindernissen aus. Die Tische draußen waren alle besetzt, wir entschieden uns hineinzugehen. Kurz darauf saßen wir im Inneren des leeren dunklen Bistros und tranken eine eiskalte Cola.

      »Gute Barbie, fein, ganz fein gemacht«, sagte Ken und steckte dem Hund etwas aus seiner Hemdtasche zu.

      Ich schüttelte langsam den Kopf und lächelte. Unglaublich, wozu Barbie in der Lage war … Er konnte sich wirklich auf sie verlassen.

      »Alors, was wissen wir über die Umgebung, in der deine Tante wohnt?«

      »Äh. Nichts. Paris eben.«

      »Gab es irgendwas Auffälliges in der Nähe, einen Park, eine Kirche, ein Sportstadion?«

      »Keine Ahnung. Ich war acht!« Ich legte meine Hände auf den Tisch und den Kopf darauf. Mein Gesicht war heiß. Trotz der Cola war ich müde, ich war erschöpft, ich war beklaut worden. Niemals hätte ich gedacht, dass sich dieser Zustand so furchtbar anfühlte. Was diese Mädchen getan hatten, hatte mich gedemütigt, ich fühlte mich schmutzig, ausgelacht, aus der Bahn geworfen.

      »Ein Friedhof, Bahngleise, eine Feuerwache, ein …«

      »Ein Friedhof?« Ich hob den Kopf und setzte mich wieder aufrecht hin. »Ja, wir waren mal auf einem Friedhof.«

      »Der in der Nähe lag?«

      »Ich glaube schon.«

      »Hmm. Gut. Es gibt im Pariser Stadtgebiet nur drei große Friedhöfe, die man im Allgemeinen besucht. Es waren doch keine lieben Haustiere dort begraben, sondern Menschen?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Keine Tiere.«

      »Nichts Unterirdisches? Nicht die Katakomben mit aufgereihten Schädeln an den Wänden?«

      »Nein.« Wer machte denn so was?

      »Ihr habt keine kleinen Kiesel auf die Grabsteine gelegt?«

      »Nein. Wieso sollten wir?«

      »Sonst wäre es der jüdische Friedhof gewesen. Das mit den Steinen machen die Juden, wenn sie ihre Toten besuchen. Alte Tradition. Möchtest du wissen, warum?«

      »Wenn du nichts dagegen hast, jetzt gerade nicht.«

      Mann, dieser blinde Typ weiß ja verdammt viel, dachte ich. Na ja, aber dafür weiß ich alles über meinen Sport, das ist eben meine Welt. Und was sagt Papa immer? Man muss im Leben Prioritäten setzen.

      »Dann sprechen wir von einem der großen drei: Père Lachaise, Montmartre, Montparnasse. Irgendein berühmter Toter, eine Persönlichkeit, an die du dich erinnerst?«

      »Ich war acht!«, wiederholte ich.

      »Na und? Ich erinnere mich noch an alles Mögliche, als ich acht war.«

      »Kann ja sein, aber doch nicht an Tote auf dem Friedhof, oder?«

      »Tote zu Hause. Mein Opa; ganz kalt war er, aber er lächelte. Hat er sonst nie gemacht.«

      Ich holte tief Luft. Ob Ken seine sehenden Erinnerungen wie einen wertvollen Schatz hütete? Und was tat er, um diesen Schatz zu erhalten?

      »Hast du schon Gesichter von früher vergessen? Sorry, wenn ich so neugierig bin.«

      »Ja, manche verblassen, das ist Mist.« Er lachte. »Also. Was haben wir noch?«

      »Nichts.« Ich sah in mein leeres Colaglas.

      »Doch! Du musst dich nur erinnern. Alles kann wichtig für uns sein. Was hat deine Mutter auf dem Friedhof gemacht oder dein Vater? Und auch nicht unbedingt dort, sondern auf dieser Reise, hier in Paris, überleg!«

      »Wir haben Schnecken gegessen.«

      »Okay, das kann man in dieser Stadt leider überall.«

      »Und Papa hat Rotwein auf Aurélies Sofa geschüttet, aber das war dunkelgrün, den Fleck sah man gar nicht.«

      »Schöne Geschichte, bringt uns aber nicht wirklich weiter.« Ken tastete vorsichtig nach seinem Glas und trank einen Schluck.

      »Und Mama hat immer ein Lied gesungen, das hat sie dann nachher auch auf dem Cello gespielt. Aurélie hat dazu ganz übertrieben getanzt. Das war echt lustig.«

      »Wie ging das?«

      »Ich weiß nicht, das gab es auf Französisch und auch auf Deutsch. Irgendwas mit achtzehn Jahr!«

      »Dalida! Il venait d’avoir dix-huit ans …« Ken sang den Text, laut und erstaunlich melodiös, als ob er sein Leben lang darauf gewartet hätte.

      »Ja, das war es! Er war gerade achtzehn Jahr, fast noch ein Kind …«, sang jetzt auch ich.

      »Ich wusste, du würdest dich an etwas Besonderes erinnern! Dalida war eine berühmte Sängerin, sie liegt auf Montmartre, auf ihrem Grab steht eine lebensgroße Statue von ihr. Total schön ist die!«

      »Aha. Und das bringt uns weiter?«

      »Wenn ihr wirklich zu Fuß dorthin gegangen seid, grenzt das auf jeden Fall unser Gebiet ein! Montmartre selbst oder ein Stück um Pigalle herum oder das Batignolles-Viertel, da habe ich übrigens gewohnt, damals mit meinen Eltern.«

      »Es ging immer bergauf, daran erinnere ich mich auch noch. Papa hat mich für meine Ausdauer gelobt und dass ich nicht gemeckert habe.«

      »Bergauf! Super! Richtung Montmartre geht es bergauf und hinten Richtung Clignancourt auch wieder hinunter. Wir sind auf der richtigen Fährte.« Er schwenkte sein Handy vor meinem Gesicht herum. »Ich geb mal Aurélie, Fotografin, Galerie, Montmartre oder einen der anderen Stadtteile ein, und zwar am besten auf Französisch. Vielleicht spuckt Google uns was aus.«

      Wieder bewunderte ich, mit welcher Schnelligkeit er sein vor sich hin redendes Handy bediente, dem er durch weitere Wischer allerdings immer wieder das Wort abschnitt.

      Google spuckte einige Sekunden später tatsächlich etwas aus, in eiligem Französisch ratterte es die Einträge herunter. Wieder verstand ich kein Wort, doch Kens Miene erhellte sich: »Galerie Le Chat, Rue Legendre Nummer 4, in Batignolles, meinem alten Viertel! Da stellt eine Aurélie Schneider aus, im Katalog gibt es drei Einträge.«

      »Schneider! Das ist sie, Aurélie liebt die Schauspielerin Romy Schneider. Wie konnte ich das nur vergessen! Mein Vater hat sich tierisch aufgeregt über den deutschen Künstlernamen, aber Mama fand’s gut!«

      »Mama findet öfter mal gut, was Papa blöd findet, oder?«

      »Manchmal. Aber sie streiten eigentlich sehr selten. Das ist echt schön bei uns.«

      Ken hob die Hand und machte ein kurzes Zeichen, als ob er zahlen wollte.

      »Woher weißt du, dass der Kellner dort steht?«, flüsterte ich.

      »Na, der trocknet Gläser ab, das hör ich doch«, war seine Antwort.

      Er bezahlte und ich musste mich zurückhalten, um nicht zu fragen, wie er die Euroscheine voneinander unterscheiden konnte. »Ich leihe mir von Aurélie Geld und dann gebe ich dir alles, was du jetzt für mich ausgibst, sofort zurück!«

      »Ja klar. Kein Problem.«

      Er


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