Die Coltschwinger kommen: Extra Western Sammelband 7 Romane. Pete Hackett
Gesicht nicht sehen. Aber Dwyer wurde bleich. „Nein Jess! Mach keinen Quatsch! Ich weiß ja, dass ich keine Chance gegen dich habe …“
„Das hättest du dir früher überlegen müssen.“
„Keinen Mord, Jess!“, rief Bancroft dumpf. „Soll er doch verschwinden! Wir werden Chad auch ohne ihn erwischen! Für so feige, erbärmliche Kreaturen ist sowieso kein Platz an unserer Seite. Lass ihn reiten, Jess. Ich will ihn nie wieder auf unserer Ranch sehen.“
Zwei, drei Sekunden kämpfte Jess heftig mit sich, und nur Dwyer, der Jess‘ Augen sah, wusste die ganze Zeit, wie nahe er dem Tod war. Dann endlich sank Jess Waffe herab. Im selben Augenblick zeigte sein hageres Gesicht wieder hämische Gelassenheit. „Schon gut, Dad, ich werde mir die Hände an so einem Kerl nicht schmutzig machen. Hau ab, Jube!“
Dwyer wagte erst seinen Gaul zu wenden, als Bancrofts Ältester den Revolver ins Holster schob. Dwyer gab seinem Braunen so heftig die Sporen, dass das Tier mit einem schrillen Aufwiehern wie von der Sehne geschnellt davonschoss. Die Staubschleier zwischen den Felstürmen verschluckten ihn.
„Heh!“, rief Will. „Er hat noch meine Winchester im Scabbard. Ich hab sie ihm geliehen.“
Die Brüder wechselten einen Blick. Jess lachte. „Dann beeil dich, Mann, wenn du ihn noch einholen willst. Du brauchst die Knarre sicherlich noch, ehe wir über die Grenze zurückreiten.“
Will saß schon im Sattel, geschmeidig wie ein Panther, packte die Zügel und preschte los, bevor sein Vater etwas sagen konnte. Betont gleichmütig schlenderte Jess zur überhängenden Felswand zurück. Er setzte sich auf einen Stein, zog sein Rauchzeug hervor und drehte sich eine Zigarette.
„Will ist sicher bald zurück“, meinte er, ohne aufzublicken. „Nur keine Sorge. Jube wird schon vernünftig sein. Schließlich sind sie alte Freunde.“
Bancroft starrte über den leeren Sattel seines Rotfuchses abwesend in das fahle Zwielicht. „Chads Vorsprung wird immer größer. Glaubst du wirklich daran, dass wir ihn je erwischen, Jess?“
Sein Sohn blickte überrascht auf. Jäh wandte sich der hagere Rancher um. In seinem Gesicht arbeitete es. Jess blickte ihn lauernd an.
„Willst du aufgeben, Dad?“ Ein verstohlener Vorwurf schlich sich in seine Stimme. „Denkst du etwa an deine alte Freundschaft mit Kelly?“
Hastig schüttelte Bancroft den Kopf. „Er ist Larrys Mörder, nur das zählt für mich! Nur – wir verstehen alle nicht genug vom Spurenlesen, um ihn aufzustöbern, wenn er sich irgendwo in der Sierra verkriecht. Wir sind völlig auf den Zufall angewiesen.“
Jess senkte wieder den Kopf, so dass der Schatten seines Stetsons das wölfische Glitzern seiner Augen verdeckte. „Ich wüsste schon die richtigen Männer, die Kelly für uns fangen würden, vorausgesetzt wir würden sie gut bezahlen.“
„Ich würde all mein Geld zusammenkratzen, das weißt du! Wer sind diese Leute?“
Jess neigte den Kopf noch tiefer. Er brauchte für seine Zigarette diesmal länger als sonst. „Die Rawlins-Brüder …“
Er tat, als bemerkte er nicht das Zusammenzucken seines Vaters. Bancroft keuchte: „Du bist verrückt! Redest du wirklich von diesem berüchtigten Banditentrio, das gleich hinter Ringo Jefford auf der Liste aller Sheriffs und Marshals von New Mexico steht? Hieß es nicht, der Sheriff von Silver City hätte sie geschnappt und eingelocht?“
„Natürlich müssten wir sie aus dem Jail holen“, meinte Jess beiläufig. „Dürfte nicht allzu schwer sein, wenn wir‘s richtig anpacken. Das wäre dann immerhin schon ein Teil des Preises, den die Kerle für Kelly von uns bekämen. Am Geld sollte es also nicht scheitern. Aber wie gesagt, es ist nur so eine Idee, weil es mir ums Verrecken keine Ruhe lässt, dass Larrys Mörder vielleicht sonst nie zur Rechenschaft gezogen wird.“
Bancroft begann mit kurzen schnellen Schritten hin und her zu gehen. Plötzlich fuhr er hoch. „War das kein Schuss?“
Jess hatte es auch gehört. Aber er schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück und rauchte ruhig. Bancroft wirkte rastlos wie ein Tiger im Käfig. Schweißrinnsale sickerten über seine ledrigen Wangen. Wieder blieb er stehen, nahm den Hut ab und fuhr mit der Hand durch das schüttere, von grauen Strähnen durchzogene Haar.
„Diese Verantwortung, Jess! Die Rawlins haben schon mindestens ein halbes Dutzend Menschenleben auf dem Gewissen. Ich müsste es mir mein Leben lang vorwerfen, wenn sie durch unsere Schuld noch mehr Mord und Schandtaten verübten.“
„Noch weniger würdest du es verwinden, wenn Larrys Tod nie gesühnt würde, nur weil du kein Risiko wagtest. Außerdem, wer sagt denn, dass wir den Rawlins-Brüdern Gelegenheit geben, je wieder einem Menschen ein Haar zu krümmen, außer Kelly natürlich. Warten wir doch erst mal ab,
bis sie ihren Job erledigt haben. Das Weitere wird sich finden.“
„Nun gut“, murmelte er rau, „versuchen wir es mit den Rawlins – Larrys wegen.“
Will jagte heran, bleich, mit einem harten Zug um den Mund und einem seltsamen Funken in den graugrünen Augen. So hatte er in jener Nacht ausgesehen, als er Juan Ortiz über den Haufen geschossen hatte. Mit einem verkniffenen Grinsen blickte Jess auf das zuvor leere Sattelfutteral, aus dem nun der Kolben einer Winchester 73 ragte. „Na, alles glatt gegangen?“
„Was denn sonst? Jube lässt dich grüßen …“ Will sah das Warnsignal in Jess Augen und wischte hastig den verräterischen Blutfleck vom Gewehrkolben.
Jess klatschte die Hände zusammen. „Na denn, auf nach Silver City!“
„Wieso das?“, fragte sein Bruder verblüfft.
Jess lachte leise.
„Wir werden dort Kellys Todesurteil unterschreiben und die Henker hinter ihm herschicken. Lass dich überraschen, Kleiner!“
12
Mit schnellen, nervösen Hackenschlägen trieb Old Simp seinen mageren Klepper auf gleiche Höhe mit Chad Kelly. „Sie sind da! Sie beobachten uns!“
Chad ritt seelenruhig weiter, leicht zusammengesunken, mit dem Kinn auf der Brust, so als würde er im Sattel vor sich hin dösen. Seine und Old Simps Kleidung war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Hoch über ihnen loderte die Sonne wie eine riesige Brandfackel am wolkenlosen Firmament, heißer als je zuvor. Die Luft zwischen den mächtigen, rötlich schimmernden Felsmauern war eine kochende wabernde Masse, in der man zu ersticken drohte. Weit und breit gab es kein Fleckchen Grün, nicht das geringste Anzeichen, das auf eine Quelle oder einen Wasserlauf hindeutete. Chads und Simps Lippen waren aufgesprungen, mit Brandblasen bedeckt. Das leise Gluckern in ihren halbleeren lederüberzogenen Satteltaschen war eine ständige Verlockung, der sie nicht nachgeben durften. In dieser trostlosen hitzeversengten Wildnis war jeder Tropfen Feuchtigkeit kostbar. Mochte der Teufel wissen, wann und ob sich ihnen je wieder die Gelegenheit bot, ihre Flaschen mit frischem kühlem Nass aufzufüllen!
Chad hatte die da und dort auf den Felsgraten und -kuppen aufblitzenden Spiegelsignale schon vor zehn Minuten bemerkt. Und er wusste auch von den Reitern, die ihnen seitdem wie lautlose Schatten durch das Felsengewirr folgten, und deren Ring sich unauffällig und bedrohlich immer enger um sie zusammenzog. Old Simps rostige Stimme hatte Ähnlichkeit mit dem Krächzen einer erkälteten Krähe.
„Hölle und Verdammnis, bist du blind und taub, Kelly? Mann, deine Nerven möchte ich haben! Jetzt bin ich bloß gespannt, wen diese verflixten Greaser zuerst aus den Sattel blasen, dich oder mich.“
Chad verzog keine Miene. „Wenn du weiterhin so in der Gegend herumschreist, trifft es sicher dich.“
Simp klappte den Mund zu, verschluckte sich fast an seinem unvermeidlichen Priem und hustete, bis ihm das Wasser aus den Augen lief. Inzwischen erreichten sie eine von Felsen umschlossene staubige Senke, in der Chad sein Pferd zügelte. Kopfschüttelnd sah Old Simp zu, wie sein Partner abstieg, den Coltgurt