Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket. A. F. Morland
Mirja ließ die Augen geschlossen. Sie schluckte mehrmals und kämpfte gegen die heißen Tränen an. „Du hast ihn totgeschossen?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
„Er hat darum gefleht. Er wusste selbst, dass ihm anders nicht mehr zu helfen war.“
Mirja schlug verzweifelt die Hände vor das bleiche Gesicht. Sie schluchzte laut, und schwere Tränen rollten aus ihren Augen.
„Du hättest es nicht tun dürfen, Mei Chen!“, stöhnte Mirja. „Du hättest versuchen müssen, ihm zu helfen.“ Das Mädchen schlug mit einemmal die Augen auf. Sie nahm die Hände vom Gesicht. Ihr Blick war plötzlich hasserfüllt und rachedurstig. „Du hast Pete damit keinen Gefallen getan, Mei Chen. Was du getan hast, war gemeiner Mord an einem wehrlosen siebzehnjährigen Jungen. So sehe ich die Sache. Es wird mir sehr schwer fallen, dir das zu vergessen, Mei Chen. Wenn es mir überhaupt gelingt.“
Nun schaltete sich Montague Ross ein. „Mirja“, sagte er und rutschte von seinem Ohrenfauteuil. Er trat zu dem Mädchen und legte ihr die Hand beschwichtigend auf die Schulter. „Wir alle wissen, wie dir jetzt ums Herz ist, Mädchen. Und wir fühlen mit dir. Auch mir ist der Tod deines Bruders sehr zu Herzen gegangen. Aber wir müssen es überwinden. Es hat keinen Sinn, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. Ich denke, du solltest jetzt eine Weile ausspannen. Ich geb’ dir Geld. Verreise für ein paar Tage. Wenn du wiederkommst, sieht die Welt sicher wieder anders aus. Ist nur schwer, die ersten Tage zu überwinden. Ich kenne das. Hatte auch einmal einen Bruder, der beinahe auf dieselbe tragische Weise ums Leben kam.“ Er zuckte die Achseln. „Tja. Das Leben ist manchmal schrecklich grausam. Und es legt uns Prüfungen auf, an denen wir zu zerbrechen glauben. Mei Chen und ich werden versuchen, dir darüber hinwegzuhelfen, Mirja. Nicht wahr, Mei Chen?“
Die Chinesin nickte mit steinerner Miene, und sie dachte daran, wie Mirja wohl reagiert hätte, wenn sie ihr die Wahrheit erzählt hätte.
8
Es gibt Tage im Leben, da gelingt einem schier alles. Ein Glück, dass es solche Tage gibt, und ein Glück auch, dass sie manchmal so günstig fallen, um einen echten Gewinn zu bringen.
Seit meinem Telefonat mit Tom Harris war eine knappe Stunde vergangen. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, so bald schon wieder von ihm zu hören. Um so mehr freute ich mich über seinen Anruf.
„Hallo, Tom. Was darf’s denn sein?“, fragte ich aufgekratzt und blinzelte meiner Partnerin über den Tisch optimistisch zu. Charles Lenoire war nicht mehr da. Er hatte sein Glück bei der Bank versuchen wollen.
„Hast einen guten Griff getan, dich an den FBI zu wenden, Biff“, verkündete Tom am anderen Ende der Leitung. „Wir haben den Bankraub tatsächlich schon am Hals.“
„Darf man fragen, wie das kommt?“
„Man darf. Zuerst sah es so aus, als ob uns die Sache weiter nichts anginge“, sagte Tom sauer. „Wenn’s kein Verbrechen auf bundesstaatlicher Ebene ist, lassen wir gern die Kollegen von der City Police ’ran. Du kennst unsere Spielregeln. Warst ja selbst lange genug bei unserem Verein.“
„Weck keine traurigen Erinnerungen, Tom“, entgegnete ich lachend. „Komm lieber gleich zur Sache.“
„Der Bankraub hatte ein blutiges Nachspiel, Biff.“
„Wieso? Kriegten sich die Gasmaskenbrüder untereinander in die Wolle?“
„Es kam viel pikanter“, erzählte Tom Harris. „Den Brüdern wurde die Beute geraubt.“
„Ja, gibt’s denn so was?“, rief ich erstaunt. „Das hört sich ja wie ein Kinolustspiel an.“
„Leider war’s kein reines Lustspiel“, sagte Tom ernst. „Denn die Knaben, die sich die neunhundertfünfzigtausend Dollar unter den Nagel gerissen haben, machten mit den Bankräubern kurzen Prozess. Sie knallten sie mit Maschinenpistolen einfach über den Haufen. Da einer der Toten aus New York ist und zwei andere aus New Jersey kamen, wurde der Fall ein Fall für uns.“
„Und nun, Tom?“, fragte ich.
„Nun hab’ ich ein Mädchen namens Mirja Stewart auf meinem Programm“, erwiderte Tom Harris. „Da scheint nämlich noch eine Schweinerei so ganz am Rande passiert zu sein.“
Ich lauschte gespannt den Worten meines Freundes.
„Die Schießerei spielte sich in einer leerstehenden Villa in der Groton Street ab“, sagte Tom. „Wenn es stimmt, was unsere Ballistiker und die Jungs von der Spurensicherung herausgefunden haben, lief da kurz folgendes Stück über die Bühne: Die Killer kamen mit zwei Wagen. Sie hatten einen Jungen und ein Mädchen bei sich. Sie knallten die Bankräuber nieder, doch einer der Räuber war noch imstande, einen Schuss abzugeben. Er traf den Jungen mit einer Dumdumkugel in den Bauch. Der Junge schleppte sich mit letzter Kraft aus dem Haus, wo ihn dann seine eigenen Leute mit einer Kugel in den Kopf fertigmachten. Wahrscheinlich wollten sie es sich ersparen, den Jungen zum Arzt zu bringen. Ihn lebend zurückzulassen, schien ihnen ebenfalls zu riskant. Eine Kugel in den Kopf schien ihnen die beste Lösung. Verfluchte Hunde. Der Junge war siebzehn. Er hieß Peter Stewart. Wir fanden in seinem Taschenkalender die Adresse seiner Schwester. Ich fahr’ jetzt zu ihr. Sie muss mit mir ins Leichenschauhaus kommen und den Jungen identifizieren.“
„Liegen die Bankräuber auch im Schauhaus?“, erkundigte ich mich.
„Alle fünf“, gab Tom zurück.
„Stört es dich, wenn Susan und ich ebenfalls hinkommen?“
„Keineswegs.“
„Wann wirst du mit Mirja Stewart aufkreuzen?“
„Ich schätze, in einer halben Stunde. Höchstens fünfundvierzig Minuten, vorausgesetzt, dass das Girl zu Hause ist.“
„Ich drück’ dir die Daumen“, sagte ich und warf den Hörer auf die Gabel. Dann gab ich an Susan Tucker eine Kurzfassung des Gesprächs weiter.
Fünfzehn Minuten später saßen wir in meinem roten Mustang. Ich machte das Radio an, um die Spannung, die an unseren Nerven kratzte, etwas zu lockern.
Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte halb sieben, als ich den Mustang in eine Parklücke vor dem Leichenschauhaus setzte.
Zehn Minuten nach halb sieben konnten wir Tom Harris und eine zerbrechlich wirkende Mirja Stewart begrüßen. Als sie mir die Hand gab, fühlte ich, dass sie zitterte. Sie hatte einen Schock erlitten, und ich befürchtete, dass sie drinnen, wenn man ihr den Bruder zeigte, zusammenklappen würde. Ich nahm deshalb Tom beiseite und raunte ihm zu, die Sache so schnell wie möglich ablaufen zu lassen. Er beruhigte mich mit einem Kopfnicken.
Ein dünner Kerl mit einem schneeweißen Leinenanzug um die spitzen Schultern begrüßte uns mit der Feierlichkeit eines Bischofs.
Tom klärte den Mann auf, dass er bereits angerufen hätte, und zeigte ihm seinen Dienstausweis.
Der Dünne verzog das feierliche Gesicht einen kleinen Augenblick lang, um hinterher gleich wieder den Vorhang der Trauer fallen zu lassen.
„Ich darf vorausgehen“, sagte er mit einer erstaunlich tiefen Stimme, die ich ihm nicht zugetraut hätte.
Er wandte sich um und stakste durch den kahlen Korridor. Unsere Schritte hallten gespenstisch von den Wänden wider. Ich sah, wie Susan fröstelnd die Schultern hob und damit den schlanken, nackten Hals ein wenig verkürzte.
Wir erreichten eine blütenweiße Tür, auf die eine römische Fünf aufgepinselt war.
„Hier ist es“, sagte der Dünne und drückte die Tür zur Seite. Es war eine Schwingtür, die sich nach beiden Seiten bewegen ließ. So konnten die auf kleinen Rädern laufenden Sargbetten mit den Leichen ohne viel Mühe aus und ein transportiert werden.
Der Raum, den wir betraten, war so groß wie ein kleiner Tennisplatz. Von der Decke flutete grelles Neonlicht und ließ