Europa - Tragödie eines Mondes. Uwe Roth

Europa - Tragödie eines Mondes - Uwe Roth


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lag außerhalb der Stadt. Vorbei an Vakuumbahnen, deren Wände im Abstand von wenigen Metern mit durchsichtigen Fenstern versehen waren. So konnte man ab und zu eine Vakuumbahn in der Röhre entlang sausen sehen. Nun reihte sich Zeru in den endlosen Strom von Unterwasserflitzern ein, die alle unterwegs waren, um zu ihren Arbeitsstätten zu gelangen. Nach mehreren Schwimmminuten führte sie ihr Weg fort von den Flitzerströmen, hin zu entlegenen Gegenden. Hier wuchsen nur vereinzelt die leuchtenden Kristalle. Besonders in Gräben und Ansammlungen von Gesteinsformationen gediehen sie zahlreich. Auf weiten, flachen Ebenen sah man dagegen kaum welche. Dort wiederum gab es umso mehr Korallen, die aber im Vergleich zu den Korallenkonstrukten, die die Wohneinheiten hielten, winzig ausfielen. Zwischen ihnen tummelten sich die verschiedensten niederen Lebensformen, die unentwegt nach Nahrung suchten oder ihr Revier gegen Eindringlinge verteidigten.

      In der Ferne machte sie mehrere große Niedriglebensformenschwärme aus. Sie fand es immer wieder wunderbar, wenn sie mit ihrem Flitzer in diesen einsamen Gebieten unterwegs sein konnte. Besondere Freude bereitete es ihr, wenn sie durch diese wundervollen Schwärme flitzen konnte. Wie sie dann zu allen Seiten auseinanderströmten, fand sie faszinierend. Ihr Weg führte sie weiter vorbei an den Muschelminen. Hier wurden, im großen Stil, Muscheln gezüchtet, um deren harte Panzer als Baumaterial zu nutzen. Dazu waren aufwendige Prozeduren notwendig. Erstmal mussten die Muscheln geerntet werden. Anschließend wurden sie nach Größe sortiert. Danach wurde entschieden, ob sie für die Baumaterialgewinnung nutzbar gemacht werden konnten oder nur als Dekomaterial verarbeitet wurden. Bei beiden Arten wurden die Muscheln anschließend von ihrem fleischigen Kern befreit. Der wiederum wurde zu Futtermitteln verarbeitet und für die zahlreich in dieser Gegend befindlichen Niedriglebensformenmastanlagen als Futtermittel verwendet. Die sehr großen Muscheln, und Zeru hatte schon welche gesehen die mehrere Quadratmeter maßen, wurden zu großen Platten gesägt und zu quadratischen Baumaterialien verarbeitet. Besonders die großen Platten stellten beliebte Materialien für den Wohneinheitenbau dar. In der Bausubstanz von Altbauten fand man an den Fassaden immer wieder uralte Maserungen von Muschelarten, die es gar nicht mehr gab. Über diesen Anlagen bestand eigentlich ein striktes Schwimmverbot, aber um ihren Weg abzukürzen, wagte sie es immer wieder, die Abkürzung über diese Anlage zu nehmen. Ihr Weg zur Arbeit führte sie anschließend weiter, entlang der vielen Arbeitskomplexe ihrer Welt.

      Besonders hier befanden sich viele industrielle Arbeitsstätten. Nach einigen Minuten des Dahinflitzens erreichte sie die Zuchtanlagen, in denen verschiedenste Zuchtlebewesen gehalten wurden. Zu diesen Zuchtanlagen hatte Zeru ein gespaltenes Verhältnis. Sie wusste, ohne diese Anlagen würde ihre überbevölkerte Welt Hunger leiden müssen. Aber trotzdem, dachte sie, brauchte es nicht so viele davon zu geben. Es gab nur noch wenige frei herumschwimmende Niedriglebensformenschwärme. Wenn man sie etwas natürlicher halten würde, könnte sich Zeru beim Verzehr der Nahrung viel wohler fühlen. So wurden sie in riesigen, netzartigen Käfigen gehalten, die viele hundert Kubikmeter fassten. Am oberen Ende befanden sich ballonartige Kugeln. Sie wurden mit dem Sauerstoff gefüllt, der aus einigen Sauerstoff produzierenden Pflanzen gewonnen wurde, die es hier gab. Der Auftrieb des Sauerstoffs hielt die Käfige in der Waage. So wurde gewährleistet, dass sich die Lebensformen frei in diesen Käfigen bewegen konnten. Aber von Niedriglebensformenschutzorganisationen, die regelmäßig die Zustände in diesen Käfigen dokumentierten, wusste man, dass viel zu viele Lebensformen in diesen Käfigen gehalten wurden.

      Weit in der Ferne konnte sie schon die Lichter der Energieerzeugungsanlagen ausmachen. Diese Anlagen produzierten den nötigen Strom aus Wärmeanlagen. Diese Anlagen umspannten ihren gesamten Lebensraum. Es gab dutzende davon. Sie nutzen die natürliche Wärmeenergie aus dem Inneren ihrer Welt. Generation für Generation wurden in zahlreichen Schwimmstunden lange, verzweigte Gräben in den Untergrund getrieben. Diese Gräben reichten bis in die Bereiche des heißen, flüssigen Kerns. Anfangs, vor dem Fortschritt der Technik, wurden nur einzelne Wärmeförderer gebraucht. Vorwiegend zur Nutztierhaltung. Niedriglebensformenschwärme, die mit Wärme versorgt wurden, gaben einen höheren Ertrag ab. Zeitzyklus um Zeitzyklus kamen immer mehr Wärmeverbraucher hinzu. Deshalb wurden immer mehr Gräben in den Untergrund getrieben. Als man entdeckte, dass man aus dieser Wärme elektrische Energie erzeugen konnte, explodierte dieser Zweig der Nutzbarmachung der Innenwärme. Nun gab es so viele Energieerzeugungsanlagen, dass einige Naturschützer behaupteten, die Innenwärme nehme ab. Der Kern würde abkühlen und wäre Ursache für einige schreckliche Phänomene, die in ihrer Welt stattfanden. Besonders seit der Befallskatastrophe beschleunigte sich dieser Vorgang. Das machte Zeru ein wenig nachdenklich. Auch wenn sie und Professor Bereu nicht auf diesem Gebiet forschten, so glaubte sie doch, dass man den Naturschützern mehr Glauben schenken sollte. Vor ihr breitete sich eine weite Ebene aus. Auch hier tummelten sich einige kleinere Niedriglebensformenschwärme. Als sie diese Schwärme passierte, konnte man nun einen ovalen Gebäudekomplex ausmachen. Auch hier beschwamm man die Gebäude entweder durch die an der Seite jeder Etage angebrachten Einschwimmdurchlässe oder durch die am Dach integrierten Eingangsöffnungen.

      Neben den Gebäuden befanden sich große, runde Parabolantennen, deren viele Meter durchmessene Antennenschüssel nach oben in den Schleier zeigte. Zeru parkte ihren Flitzer neben vier anderen in einem Hangar, der seitlich des Komplexes lag. Dort dockte sie ihren Flitzer an einer freien Ladestation an, damit er zum Feierabend voll betriebsbereit zur Verfügung stand. Sobald der Flitzer mit der Ladestation gekoppelt war, schaltete er sich automatisch aus und öffnete die Einstiegsluke. Mit eben solch einem Satz, wie sie vor einigen Schwimmminuten in den Flitzer schwamm, entwand sie sich ihm und stieg graziös in die Höhe. Ohne die, mit vielen Riffeln bedeckte, Muschelwand zu berühren, glitt sie nur wenige Millimeter an ihr vorbei und schwamm anschließend zu der ersten Dachöffnung, in der sie rasch auch schon verschwand.

      Ihr Weg führte sie durch verschiedenste Flure, vorbei an Vakuum gesicherten Rechnerschränken, in denen ständig tausende von Analysen berechnet wurden. Als sie auf die letzte Luke traf, die sie vom Rechnerraum trennte, atmete sie noch mal einen kräftigen Schwall Atemwasser ein. Zeru arbeitete nun schon so lange in diesem Institut. Professor Bereu hielt viel von ihr. Dass wusste sie. Auch mit den anderen Mitarbeitern kam sie gut aus. Aber, wie an jedem neuen Arbeitszyklus, verweilte sie für ein paar Sekunden vor der letzten Luke, die sie vor den erneuten Herausforderungen trennte. Ein letztes Mal sammelte sie ihre mentalen Kräfte, nahm noch einen kräftigen Zug Atemwasser in ihre Kiemen auf. Erst dann, nachdem sie sich gesammelt hatte, überwand sie sich und schwamm in den Öffnungsbereich der Luke.

      Mit einem Zischen glitt die Luke nach oben und ließ den Blick in den großen Hauptraum zu. Wie an jedem neuen Zyklus herrschte schon rege Betriebsamkeit in dem Institut, in dem sie und die vielen anderen Mitarbeiter unter der Leitung von Professor Bereu an der Erforschung des Obens arbeiteten. Erst viele Zeitzyklen nachdem Professor Bereu sein Institut zur Erforschung des Schleiers gegründet hatte, stieß Zeru als ständiges Mitglied dazu. Professor Bereu erfuhr von der jungen Wissenschaftlerin, nachdem sie einige interessante Abhandlungen über die Entschlüsselung von alten Inschriften längst vergessener Sprachen veröffentlicht hatte. Diese Inschriften hatte sie in den nördlichsten Bereichen Maboriens gefunden, die schon lange zu Ruinen verfielen. Über viele tausende Zeitzyklen hinweg vergaßen die Maborier ihre Herkunft und die damit verbundene vergangene Geschichte. Nur wenige Maborier interessierten sich für die Vergangenheit ihres Volkes. So kam es dazu, dass die einst verlassenen Städte und die damit verbundene Geschichte ihrem Schicksal überlassen wurden. Die wenigen Maborier, die die Vergangenheit wieder für die Gemeinschaft zugänglich machen wollten, arbeiteten am Rande der Legalität. Nicht nur, dass die Gesellschaft der Maborier so gut wie keine Vergangenheitsaufarbeitung kannte, sondern es war auch verpönt, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Daher erwies es sich für die Wissenschaftler, wie Zeru es eine war, immer wieder als sehr schwierig, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

      Es kam sogar vor, dass man sie von Regierungsbeauftragten beobachten ließ. Man fürchtete offensichtlich die Entdeckungen der Forscher. Diese Entdeckungen könnten beweisen, dass die Maborier nicht die einzigen Lebewesen sind, die zu intelligenten Handlungen fähig waren oder auch immer noch sind.

      Das war alles schon so lange her, dachte Zeru. Inzwischen wurden die Fundstätten allesamt von der Eisbarriere eingeschlossen und machten einer genauen Untersuchung ein jähes Ende. „Immer wieder diese verdammte Eisbarriere“,


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