Keinen Schritt zurück! - The sad story of brave Maggy Stuart. Florian Juterschnig

Keinen Schritt zurück! - The sad story of brave Maggy Stuart - Florian Juterschnig


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ein wenig mehr Scharfsinn zutraute, schaltete sich ein.

      „Kann es sein, dass du nicht mehr an den Endsieg glaubst?“

      „Ich glaube schon, dass die Idee Bestand haben wird, nur die Idee, wisst ihr? Ich glaube, mein Vater ist im Feld geblieben. Bei Tarjowitze.“

      Der Schwall an geheuchelten Glückwünschen, Beileidsbekundungen und realitätsfernen Geschichten über soldatischen Todesmut ließ den letzten Funken der Treue in Elisa Stuart erlöschen.

      „Natürlich werden wir siegen, die Idee wird über allem strahlen.“

      „Du darfst stolz sein auf deinen Vater. Er hat sich ehrenhaft dem Feind gestellt.“

      „Er hat dein Recht verteidigt, hier jetzt Kritik zu üben.“

      „Diese Männer haben mehr für unsere Freiheit getan als irgendeiner von uns es je könnte.“

      Aus dem kleinen Mädchen, das immer treu ihrem Lande dienen wollte und ein vorbildliches Akademiemädchen war, das sich in der Parteijugend stets für Aufschwung stark gemacht hatte und dieses Land glühend liebte, das den Krieg nicht gut fand, aber sofort bereit war, mit anzupacken, wurde in diesem Moment endgültig etwas anderes. Elisa Stuart erkannte vollends, wie sich die Ideale, denen sie so blind nachgelaufen war, fehlentwickelt hatten. Sie erkannte, dass sie eine grausame und verklärte Lüge gelebt hatte. Sie bereute, eine brave Eliteschülerin gewesen zu sein, sie bereute, ihre kleine Schwester, die ihr immer noch blind nacheiferte, dorthin geschickt zu haben, sie bereute, die Tochter von James Stuart zu sein.

      Sie musste sich die bittere Wahrheit über ihren Vater, ihre Familie und ihr Land eingestehen.

      Es war schwer, einem Glauben abzuschwören, dem man fast ein Vierteljahrhundert angehört hatte.

      Dennoch, offener Widerstand erschien ihr unsinnig bis unrecht. Sie liebte ja ihr Land, nur lief eben im Moment einiges in die falsche Richtung. Elisa verließ sich auf ihren doch etwas lückenhaften Verstand und setzte auf eine List. Wenn diese gelang, war sie zumindest unauffällig aus dem Schneider.

      „Meine Damen, bitte verzeiht meine Ausflüchte. Ich fühle mich stark und bereit, die Rede heute zu übernehmen und jene Kräfte in unserer Politik neu zu befeuern, die unser Volk in seinem zähen Ringen nun am dringendsten braucht. Meine Erfahrungen als Lazarettschwester sollen als motivierendes Beispiel dienen.“

      Anerkennender Applaus.

      „Aber Ivette darf das übernehmen. Meine kranke Mutter braucht mich mehr als mein Vaterland!“

      Zumindest dieser Auftritt hatte keine Konsequenzen. Als sie jedoch ging, blickten alle drein, als hätten sie eine überlastete Telefonleitung im Kopf. So eine, auf der viel zu viele Leute anriefen, und irgendwann hörte man nur mehr die ahnungslose Stimme der Dame von der Vermittlung, die versuchte, sich aus ihrer eigenen Überforderung herauszureden.

      So hatte sie die geistig abgefeuerten Mädchen allein sitzen lassen wollen, als Ivette sie plötzlich zurückhielt und in einen Nebenraum trieb. Sie schloss hektisch die Tür, ihr Kopf schien fast zu platzen vor Wut. „Was ist denn nur los mit dir? Deine Protokolle strotzen vor Fehlern! Du schwänzt jede Sitzung, und wenn du mal kommst, pöbelst du nur herum!“

      „Ja und?“

      „Elisa! Du bist Akademieabsolventin und Parteileiterin! Du kannst ganz groß rauskommen! Und du bockst hier herum! Willst du ewig bei deiner Mutter in der Küche sitzen und Kartoffeln schälen?“

      „Mir liegt die Partei am Herzen, mir liegt das Volk am Herzen, nur …“

      „Was! Was? Sprich es aus. Wir brauchen hier Kämpfer, verdammt! Und ich weiß doch ganz genau, was du kannst.“

      „Ich weiß nicht, in letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass wir in eine gefährlich falsche Richtung laufen.“

      Ivettes Blick wurde schmal. „Der Krieg?

      Ach, darum geht’s dir also. Ein bisschen Mithelfen ist dir wohl zu viel.“

      Elisa fuhr herum und kam Ivette fast bis an die Nasenspitze nahe. „Hör mir mal gut zu, Fräulein. Wir waren gemeinsam auf der Akademie, ja, aber was ist dann passiert! Ich bin an die Front gekommen; wurde Krankenschwester, sah Soldaten sterben und Frauen und Kinder lebendig verbrennen! Unterstell mir nicht, ich würde nichts für mein Land tun!“

      „Deinen Einsatz in Ehren, aber niemand hat dich gezwungen.“

      „Ich will eben mehr tun als hier nur Reden schwingen.“

      „Soso, Reden schwingen … Warum führen wir diesen Krieg?“

      „Expansion, Machtgewinn, der Wahn einzelner, Revanche?“

      „Drucks nicht herum, du weißt es ja doch ganz genau!“

      „Autarkie.“

      „Autarkie … “

      Elisa schwieg, jetzt hatte Ivette sie erwischt. „Ein Volk, das völlig von den eigenen Ressourcen lebt; was wir nicht haben, müssen wir uns eben holen!“

      „In Form von Kolonien…“

      „Ja, denn was wäre die Alternative? Handel, und was bedeutet das?“ „Marktöffnung, Kapitalismus, Untergang unserer Kultur …“

      Elisa stiegen die Tränen auf.

      „Deine Trauer um die Toten in Ehren, Elisa, aber sei dir immer bewusst über die Alternativen zu diesem Krieg!“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging.

      Elisa kämpfte mit sich. „Es muss doch einen anderen Weg geben“, sagte sie sich immer wieder. Sie wusste, es gab ihn nicht.

      Die Parade war aus ihrer großartigsten Phase heraus in einen Festakt übergegangen. Mit erhobenem Haupt durfte Maggy an der Spitze ihrer Mädchen in einen riesigen Festsaal einziehen. Ihre Standarte hatten sie gegen kleine Fahnen ausgetauscht, und so marschierten sie unter Konfettiregen und Jubel herein, grüßten vor den zahllosen Ehrengästen, Fahnen und Bannern und nahmen an einer endlos scheinenden Tafel Platz. Applaus, Vorträge, ein Festbankett, Ehrungen, Loblieder. So würde das den ganzen Nachmittag weitergehen. Normalerweise vielleicht ein wenig langweilig, aber in diesem Fall waren die Mädchen von der Stimmung des Tages vollends berauscht.

      „Ach, mein großer, erwachsener Sohn! Ja, es ist für Mütter nie leicht, wenn die Kinder zu den Soldaten müssen.“

      „Ich komme nicht an die Front, Mutter, noch nicht.“

      Richard bemühte sich weiter, aus dem Kräuterhaufen vor ihm einige brauchbare Sätze Kaffeeersatz heraus zu reiben und die im Fieber sprechende Mutter möglichst zu ignorieren. Plötzlich rauschte Elisa durch die Tür. Sie trug ihre gelbe Akademieuniform, sie wirkte aufgelöst, ihr seltsames Lächeln konnte das nicht überspielen.

      „Servus. Alles gut bei dir?“

      „Ha … ja alles … alles gut. Vielleicht kommt noch etwas später, aber jetzt ist alles gut. Ist das Kaffee?“

      „Nicht fertig.“

      „Ach Mist! Na gut, wir haben ja noch Zigaretten.“

      Elisa setzte sich, fing an zu rauchen und sprang sofort wieder auf, warf die Zigarette fort. „Ach, ist sowieso ungesund. Zeit zu packen.“ Sie riss einen großen roten Lederkoffer aus dem Vorzimmerkasten und begann, Kleider einzupacken.

      „Was soll denn der Mist?“

      „Nichts, ich fahre aufs Land. Ich … ich geh mit Lotte baden. In Vimerby.“

      Richard sprang auf und packte seine Schwester an der Schulter.

      Elisa war tränenüberströmt. „Es tut mir leid, ich hab Mist gebaut. Großen Mist.“

      In diesem Moment pochte es an der Tür.

      Elisa fiel Richard in die Arme. „Es tut mir so leid.“

      „Fräulein Stuart! Volkspolizei, aufmachen!“

      Elisa


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