Weltenleuchten. Martin Müller

Weltenleuchten - Martin Müller


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um die Polizeistation in Nassereith nach der Vernehmung verlassen zu dürfen und brachte mich anschließend nach Sonthofen zurück. Ich war dankbar für Helens Wiedergenesungs-Prognose und unsäglich erleichtert. Eine Trennung erschien mir nun erst mal gar nicht angebracht, denn ich fühlte mich schuldig. Ich besuchte sie, wann immer dies die Bundeswehr zuließ, aber das Beziehungs-Dilemma blieb und ich fühlte mich schlecht.

      Die restliche Zeit bei der Bundeswehr war in Ordnung. Ich hatte wegen des anstehenden Wintersemesters beantragt, zwei Monate früher aus dem Wehrdienst entlassen zu werden. Mein zuständiger und mit mir zufriedener Oberfeldarzt setzte sich sehr für mich ein und so kam noch rechtzeitig das grüne Licht vom Kreiswehr-Ersatzamt. Zu dieser Zeit hatte ich mich, optimistisch wie ich war, bereits an der Fachhochschule in Weihenstephan mit Standort in Landshut beworben. Ich hatte kaum Ahnung vom Landwirtschaftsstudium und den damit verbundenen Berufsaussichten, aber erstens wollte ich nicht im bürokratischen Sozialwesen der Republik als studierter Aktenkofferträger tätig sein, zweitens nicht der hunderttausendste Lehrer werden und drittens gaben ehrlicherweise die Zulassungsvoraussetzungen auch nicht viel mehr her.

      In dieser Zeit konnte ich in einem Zeitungsartikel lesen, dass es in meinem Jahrgang am Standort Sonthofen einen Fall gab, in dem ein Soldat seinen Wehrdienst beendete, ohne die übliche Beförderung zum Gefreiten und Obergefreiten erhalten zu haben.

      Mein erster Versuch als Student

      Mein Vater war stolz, dass aus seinem komplizierten Sohn nun doch noch ein Student werden würde und gab mir tausend Mark, damit ich mir einen alten, gebrauchten Käfer kaufen konnte. Das kam mir nach der geldknappen Bundeswehrzeit sehr gelegen.

      Ich suchte mir einen Job und eine Wohngemeinschaft im niederbayrischen Landshut und ging neugierig zu den Vorlesungen der Fachhochschule.

      Es war wie in einem alten „Pauker-Film“.

      Die meisten Dozenten kamen wie Halbgötter in die Vorlesungssäle und hielten straffen Frontalunterricht, in einer Tonlage, die ich -abgesehen vom Militär- als ausgestorben gewähnt hatte. Das wurde nur getoppt, wenn zu besonderen Anlässen „Gott“ kam. Dann stand alles auf und das Sklavenvolk der Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Dozenten bildete eine breite Gasse und huldigte dem Dekan.

      Zu dieser Zeit ahnte ich noch nicht, dass ich später noch Chef zahlreicher Promovierter und Professoren werden sollte. Das war zu Landshuter Zeiten einfach unvorstellbar. Ein Gedanke aus entferntesten Galaxien!

      Schnell war mir klar, dass die 68er hier in Niederbayern keine „nachhaltigen Wirkungen“ hinterlassen hatten. Ich wollte nicht Teil dieses Films sein und zog mich weitgehend auf mein Privatleben mit Mockele, wie ich meine neue Gefährtin nannte, und eine gute Zeit mit den Mitbewohnern der WG in die einzigartigen Landshuter Biergärten zurück. Die Abende verbrachten wir im Roten Hahn. Dort wurde aus riesigen Boxen „Smoke On The Water“ von „Deep Purple“, „Stairway To Heaven“, Black Magic Woman“ von „Carlos Santana“ und „Highway Star“ von „Led Zeppelin“ sowie „In A Gadda Da Vida“, von den Iron Butterfly -ein monumentales Musik Stück aus den 68ern- im Wechsel „rauf und runter“ gespielt. Zu den harten Rockklängen warfen wir breitbeinig stehend unsere langbehaarten Köpfe in mit „Schwarzem Afghan“ geschwängerter Luft, ein Glas Bier in der Hand haltend, wild hin und her und vor und zurück. Zu den langsamen Stücken saßen wir am Boden und starrten verloren vor uns hin. Es war die Hochzeit der Rockmusik auf dem Weg zu „Heavy Metal“. Wir hatten eine gute Zeit!

      Und die Welt war weiter in Bewegung:

      1975.

       Der Vietnamkrieg geht zu Ende.

       Der Suezkanal wird wiedereröffnet.

       Die USA, Kanada und die meisten europäischen Staaten verpflichten sich mit dem KSZE-Abkommen zu Frieden, Gewaltlosigkeit und freiem Meinungsaustausch.

       Mit General Franco´s Tod beginnt mit der konstitutionellen Monarchie eine neue Ära in Spanien.

       Die RAF entführt den CDU-Politiker Lorenz und überfällt die Botschaft in Stockholm.

       In Stuttgart beginnt der Prozess gegen Andreas Baader- und Ulrike Meinhof.

       Kanzler Schmitt sucht mit anderen Industriestaaten nach Auswegen aus der Weltwirtschaftskrise und besucht als erster deutscher Kanzler Peking.

      Nichts bleibt wie es war.

      Es wäre ein tolles Jahr in Landshut gewesen, wenn es nicht Helen gegeben hätte. Zwar hatte ich mich nach ihrer weitgehenden Genesung und nachdem ich mitbekam, dass sie nicht mehr verhütete und offensichtlich gegen meinen Willen ein Kind von mir bekommen wollte, rasch von ihr getrennt, aber sie fing an, mich zu stalken. Das war Dauerstress.

      Da halfen auch „The Who mit „Won`t Get Fooled again“ nicht mehr.

      Als ihre Bemühungen um mich erfolglos blieben, zog sie „ihren letzten Trumpf“ und versuchte, mich mit der Drohung einer Klage auf dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zu erpressen. Das war damals nicht ungefährlich, da wegen einer gesetzlichen Versicherungslücke der Autoversicherer nicht zuständig war, wenn eine andere Person das Fahrzeug lenkte und dabei der Halter und Versicherungsnehmer verunglückte. Das wussten die wenigsten Leute; ich auch nicht.

      Aber dieser Alptraum war nun plötzlich Wirklichkeit geworden.

      Helen musste, bevor sie die Klage einreichen konnte, einen Facharzt finden, der ihr die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit bescheinigen würde. Bei dieser Art von Nackenwirbelbrüchen war das nicht chancenlos.

      Helen hatte inzwischen über viele Monate erfolglos mehrere Ärzte konsultiert und es dauerte zum Glück lange, bis sie einen Facharzt fand, der ihr das gewünschte Gutachten ausstellte. Da ich zu ihrem Erstaunen trotzdem nicht zu ihr zurückkehren wollte, entschied sie sich, mich in die Hölle zu schicken.

      Sie reichte die Klage ein. Ich sollte für ihre angebliche Berufsunfähigkeit mein Leben lang horrende Summen bezahlen müssen.

      Ich war fertig mit meinem „Glauben an die Welt“ und suchte mir einen Anwalt. Zu meiner großen Erleichterung wurde ich bald schriftlich informiert, dass Helens Klage um ein paar Wochen zu spät eingegangen und somit verjährt war.

      Da hatte ich wieder mal großes Glück gehabt. Ich war froh, dass doch fast alle der von Helen konsultierten Ärzte ehrliche Arbeit geleistet und den versuchten Racheakt erahnt hatten. Somit konnte viel Zeit verstreichen und die Verjährung für Helens Klage wurde effektiv.

      Helen gab schließlich auf und das Stalken war endlich beendet. Auch meine Schwester Lisa hatte beratend dazu beigetragen, dass Helen endlich Ruhe gab.

      Ich hatte dazugelernt. Ich wusste, dass ich künftig verantwortungsvoller und vorsichtiger agieren musste. Ich wusste aber auch, dass das, was man in Landshut studieren nannte, nicht meine Welt war. Ich meldete mich konsequenterweise an meiner Fachhochschule ordnungsgemäß wieder ab.

      Auch von Mockele verabschiedete ich mich. Wir mochten uns auf eine unkomplizierte Art sehr. Es war eine schöne, leichte Zeit, wie wir befanden, aber es sollten noch viel mehr solcher Zeiten kommen. Es gab ja noch viele nette Jungs und Mädels auf dieser Welt! Das machte es uns beiden nicht so schwer.

      Meine Eltern sahen den Studienabbruch in Landshut mit Sorge, aber es gab bei ihnen ja den Grundsatz, dass egal was passierte, die Kinder immer zuhause willkommen waren und so war es auch diesmal.

      Für eine kurze Zeit wohnte ich erstmal daheim und musste mich wieder um meine Finanzen kümmern. Der Käfer hatte mittlerweile den Geist aufgegeben. Mobilität in diesem Alter im ländlichen Allgäu war aber das Wichtigste!

      So erstand ich einen alten VW-Bus, einen T1, mit getrennter Frontscheibe. Der hatte noch drei Monate TÜV, konnte mit erlaubter Überziehung von drei Monaten aber noch ein halbes Jahr gefahren werden.

      40 Jahre später war der T1 ein beliebtes Kult-Auto, das sich aber nur noch sehr wenige leisten konnten. Mein T1 war fast schrottreif, fuhr aber noch. Er kostete nur 150 Mark. Ich baute eine feste Holzpritsche als


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