Weltenleuchten. Martin Müller

Weltenleuchten - Martin Müller


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Spitznahmen für mein bewohnbares Gefährt. Meinen Eltern war das glaube ich peinlich, aber sie sagten nichts. So ein Gefährt mit bunten Vorhängen, wie die Hippies das vorgemacht hatten, war im Allgäu halt ungewohnt.

      Mit der schönen Tanja mit den Po-langen blonden Haaren, die ich seit meiner Kemptener Fachoberschulzeit kannte, und die damals noch anderweitig liiert war, fuhr ich mit dem T1 ein paarmal nach Berlin.

      Die Szene dort machte mich neugierig. Das Leben in den Kommunen fand ich faszinierend.

      Es waren aber rasch der Drogenkonsum und die Art der Geldbeschaffung – Klauen oder Anschaffen –, die mich abschreckten. Ich war wohl doch zu anders aufgewachsen und merkte schnell, dass mir die Zeit dort in den dunklen Hinterhöfen von Berlins Stadtteil Kreuzberg auf Dauer nicht guttun würde. Es war für mich nur ein kurzes Reinschnuppern aus Neugier und das sollte auch so bleiben.

      Gut, dass ich damals immer wieder zu Faustballturnieren ins Allgäu musste. Meine schöne Tanja sah das anders und blieb irgendwann in Berlin zurück.

      Leider hatte ich nach fünf Monaten einen unverschuldeten Unfall. Ein Linienbus rutschte mir bei Glatteis kurz vor der Hochgrat-Talstation frontal gegen den Ersatzreifen an der Front meines T1. Die Vorderseite wurde ziemlich eingedrückt, aber machte zum Glück rechtzeitig vor meinen Knien halt. Mit dem Versicherungserlös für den Totalschaden von 1.500 Mark kaufte ich mir einen alten T2 und baute auch den zum Reisebus um. Die Welt lag mir zu Füßen.

      Im T2 mit Gitarre, Bluesharp, Gerald und weiteren Freunden, abends nach einer Besteigung des 2700 Meter hohen Monte Cinto auf Korsika

      Ich reiste viel nach Süden, Norden und Westen – im Osten war ja die Mauer-, auf der Suche nach etwas, das ich weder bereits kannte und schon gar nicht bisher gefunden hatte. Ich war ein „Getriebener durch Raum und Zeit“.

      In dieser Zeit arbeitete ich immer wieder als Bierfahrer. Besonders gerne mochte ich dabei, die abgelegenen Gasthöfe und Vereinshütten auf den Bergen zu beliefern. Nach getaner Arbeit gab es immer jemanden, wie den Postboten, den Kaminkehrer oder einen der Handwerker, der mit mir zu einer vom Wirt gestifteten Brotzeit, einer Halben und einem netten Gespräch bei Ober Krainer Musik eine gute Zeit verbrachte. Ich genoss es sehr, dass mir die Mädels „wohlgesonnen“ waren und hatte eine wunderbare Zeit.

      Mir war aber auch klar, dass dieses „Lust- und Laune-Leben“ zeitlich begrenzt war und ich mich schon auch bald wieder um mein Studium kümmern sollte. Dazu musste ich aber ein halbjähriges Praktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb vorweisen und das hatte ich noch nicht zusammen.

      Von Verwandten im niedersächsischen Schoningen, die gerade die Eltern besuchten, bekam ich in Sachen Praktikum einen nützlichen Hinweis. Meine Verwandten hatten die Landwirtschaft in Schoningen zwar aufgegeben, aber sie wussten von einem Bauern am Rande des Dorfes, der einen Praktikanten suchte. Aus Schoningen stammte auch mein Großvater. Auch meine Eltern hatten sich dort kennengelernt.

      Eine arbeitsreiche Zeit auf dem Bauernhof begann. Es wurde Herbst und ich musste immer morgens um halb fünf aufstehen.

      An meinen freien Tagen besuchte ich hin und wieder Verwandte, die auf verschiedenen, meist unbewirtschafteten Höfen lebten und mir, aus der Perspektive meiner Generation, wie aus einer anderen Zeit erschienen. Es lebten fast nur alte Leute dort. Trotzdem mochte ich das irgendwie. Ich war so erzogen worden, dass man älteren Leuten freundlich, hilfsbereit und mit großem Respekt begegnete. Oft sprach ich mit ihnen in der dritten Person, was ihnen gefiel.

      Meine jüngere Verwandtschaft war ebenfalls sehr freundlich zu mir.

      Sie ließen mich sogar am Training ihrer Handball-mannschaft teilhaben. Diese Sportart war in Schoningen das, was bei mir zuhause der Fußball oder das Skifahren war: wirklich wichtig! Ich war dort als schneller Läufer und sicherer Werfer gerne gesehen und freute mich darüber.

      Auf dem Hof ging es derbe zu. Der Bauer in den mittleren Jahren hatte eine Beziehung zu einer jungen Bäuerin, die ungefähr 25 Kilometer entfernt lebte. Sie wollten unbedingt beide Höfe weiter betreiben und halfen sich gegenseitig aus. Für Allgäuer Verhältnisse waren die Höfe mit je 80 und 100 Milchkühen groß. Wie der Lebensplan der beiden auf die Dauer aufgehen sollte, war mir ein Rätsel. Ich machte meine Arbeit. Jeden Morgen brachte ich erstmal die Herde zur Weide.

      Es gab trotz der vielen Arbeit oft schöne Minuten. Ich liebte es vor allem, wenn die Herde früh morgens so allmählich aus dem Morgennebel herausstieg. Der Nebel lag unten im Tal. Die obere Hälfte des Hangs war schon sonnig und es herrschte außer dem ruhigen Schnauben der Kühe absolute Stille. Ich mochte es auch, wenn ich beim Pflügen den saftig glänzenden und frisch gewendeten Boden sah. Meine Furchen waren schnurgerade. Da hatte ich meinen Ehrgeiz, egal was es war. Der Bauer zeigte mir jeden Arbeitsvorgang für einige Minuten, übergab mir dann die jeweilige Maschine und fuhr davon. Das war wirklich mutig und eigentlich auch verantwortungslos, aber irgendwie funktionierte es.

      Nur das Drillen -das Sähen- machte der Bauer alleine. So waren eben seine Regeln.

      Wenn ich alleine auf einem knapp 70-PS Traktor, mit zwei hintereinander gekoppelten Zweiachshängern über die Landstraße zur Zuckerrübenfabrik fuhr, war mir bei den vielen Tonnen, die ich da bewegte, schon manchmal Angst. Auch das war eigentlich unverantwortlich, denn der Traktor war zu klein dafür. Beim Einfahren in das Fabrikgelände und dem Abkippen ging es immer ganz eng zu mit so einem „Langfahrzeug“. Jeder Handgriff musste beim Abkippen sitzen, sonst brüllte ein Fabrikarbeiter auf dem hohen Überwachungsturm zur großen Freude der anderen auf dem Gelände „unflätige Feststellungen“ durch die Lautsprecher.

      Es war mir klar, dass ich hier schnell aus Fehlern lernen musste, sonst könnte es teuer werden. Unter Druck lernte ich schnell.

      Der Umgang mit Tieren und Maschinen gefiel mir und ich machte, glaube ich, meine Arbeit ganz ordentlich.

      Die Mutter des Bauern lebte mit auf dem Hof. Sie hatte einen schweren Stand. Außer, wenn ihre jüngste Tochter Ruth da war, dann riss sich der Bauer mit seinen Aggressionen gegenüber seiner Mutter immer zusammen. Solche innerfamiliären Grobheiten, die einmal darin gipfelten, dass er leere Melkeimer zehn Meter durch den Stall nach ihr warf, waren mir in meiner bisherigen Welt noch nicht begegnet. Die Mutter musste danach von mir verarztet werden. Ich warnte den Bauern, dass ich, wenn das nochmal vorkommen würde, den Leuten im Dorf über die Zustände auf dem Hof Bescheid sagen und ihn mit seiner Arbeit alleine lassen würde.

      Es war für die Bauernfamilie ein Entspannungsfaktor, wenn Ruth ihr Wochenende nun immer zuhause verbrachte. Sie war sehr freundlich und interessiert an mir, dem schwarzhaarigen, jungen Allgäuer. Für mich, der ich gerne unkomplizierte Beziehungen unterhielt, wurde es langsam eng und ich nutzte den nächsten Wutausbruch des Bauern, um mit meinem T2 wieder nach Süden zu fahren.

      Die ganze Fahrt lief dieselbe Kassette: „Supertramp“ rauf und runter wie meistens in dieser Zeit. Man konnte sich dabei mit einem Arm am Fensterrahmen aufstützen und mit der rechten Hand am Steuer, so herrlich im Rhythmus des E-Pianos auf dem Sitz mithüpfen.

      Meine Eltern machten sich wieder Sorgen.

      Ich konnte sie verstehen, aber ich hatte für mich das eindeutige Gefühl, es schon richtig gemacht zu haben.

      Ich ging wieder arbeiten -Nachtschicht in einer nahegelegenen Druckerei- und verbrachte einen tollen Skiwinter in den Bergen.

      Das war wieder mein Leben.

      Im Frühjahr las ich in der Zeitung, dass ein Amerikaner namens Mike Hawker der erste Mensch war, der mit einem Delta-Flugdrachen von den Allgäuer Bergen flog. Schlagartig erinnerte ich mich an meine Kindheitsträume, in denen ich das Fliegen so bewundert hatte. Ich erkundigte mich nach einer Flugschule und lernte das Drachenfliegen.

      In den nächsten Monaten war ich, wenn das Wetter mitmachte, nur noch in der Luft und flog erst von kleinen, dann von größeren Bergen. Nach zwei Monaten fühlte ich mich so sicher, dass ich am liebsten in den Südtiroler Felsmassiven der Dolomiten flog. Nicht viele meiner Fliegerfreunde konnten in dieser Zeit so die Aufwinde


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