Weltenleuchten. Martin Müller

Weltenleuchten - Martin Müller


Скачать книгу
sich mit ihrem abgeschiedenen Bauernhaus ein kleines Paradies aufzubauen. Daneben hatten sie beide noch einen Beruf, dem sie nachgingen, bis die Kinder kamen. Dann blieb Karin erst einmal eine Zeit lang zuhause.

      Wenn ich bei Karin und Erich war, traf ich auch ab und zu Gotthard, meinen Skifreund aus der Grundschule wieder. Auch der hatte inzwischen geheiratet und mit seiner Frau Sylvia bald zwei Kinder. Die beiden gingen ihren Berufen nach und betrieben noch zusammen mit Gotthards Eltern für einige Zeit eine Nebenerwerbslandwirtschaft.

      Nicht, dass ich so ein Leben nicht gewollt hätte, ich fand das sogar bewundernswert aber ich hätte es damals nicht gekonnt. Trotzdem schafften wir es, Freunde zu bleiben.

      Karin und Erich sowie Sylvia und Gotthard

      Ich war noch nicht bereit für ein „gesetteltes“ Leben und hatte zu viele andere Pläne und wenn ich gerade keine hatte, ließ ich mich „vom Leben treiben“.

      Der Bergwanderweg E5 war gerade entstanden und so ein Weg, von Oberstdorf im Allgäu nach Meran im italienischen Südtirol, reizte uns. Wolfgang und ich waren beide fit und liefen zum Spaß die ersten Tage um die Wette. Es war eine tolle Bergwelt. Im Schnitt stiegen wir 1.500 Höhenmeter auf und dieselbe Menge wieder hinunter. Wir übernachteten auf Hütten oder in billigen Pensionen im Tal. Überall wurden wir freudig aufgenommen. Wir waren, ohne es zu ahnen, noch zu wollen, an der Speerspitze eines neuen Bergtourismus-Booms. Abgelegene, arme Bergdörfer, wie zum Beispiel Rabenstein auf der italienischen Südwestseite des Timmelsjochs erlebten in den folgenden 10 bis 20 Jahren einen sagenhaften Aufschwung; insbesondere die Gasthäuser. Wolfgang und ich hatten großartige Begegnungen mit Gämsen, Steinböcken und anderem Bergwild.

      Gämse und Steinböcke

      Der Blick hinab auf den Wildspitzgletscher blieb uns noch lange in besonderer Erinnerung. In meinem Kopf spielten Lieder von Hannes Wader. „Heute hier morgen dort“ und „Trotz alledem“.

      Es war immer spannend, dem Bergler- und Jägerlatein in den Hütten zu lauschen. 1974 waren die Einheimischen noch froh über jeden Bergsteiger und -wanderer, der bei ihnen übernachtete und ein bisschen verzehrte, selbst wenn es nur eine Suppe und ein Glas Rotwein waren. Auch ein paar Jahre später fühlte man sich trotz der steigenden Zahl an Bergwanderern in den Berggasthäusern und Hütten der Alpen immer noch willkommen. Es gab immer genug Platz. Man musste nicht wie heute reservieren; in der Regel wäre das technisch auch gar nicht möglich gewesen. Ich habe es in diesen Jahren jedes Mal genossen, abends bei einem Glas Rotwein die Geschichten der Bergführer über besondere Klettertouren oder komplizierte Bergungen Abgestürzter zu hören.

      -Während einer späteren Bergtour, es muss 1979 gewesen sein, traf ich in einem Berggasthaus unterhalb der Wildspitze den Habeler Peter, der uns seine Geschichte der historischen Erstbesteigung des Everest ohne Sauerstoffflaschen mit Reinhold Messner im Jahr 1978 erzählte. Peter machte keinen Hehl daraus, wie gespalten sein Verhältnis zu Reinhold Messner war. Er hatte bei Weitem nicht so viel Kapital aus dieser Everest-Besteigung ziehen können wie Messner. Er warf ihm indirekt auch immer noch vor, Messner habe durch seinen übertriebenen Ehrgeiz bei der Besteigung des Nanga Parbat im Jahr 1970 das Leben seines Bruders Günter auf dem Gewissen. Wie die beiden, Messner und Habeler, dann 8 Jahre später die historische Everest-Besteigung trotz ihrer emotionalen Spannungen gemeinsam bewältigen konnten war mir damals in der Berghütte ein Rätsel und das ist es immer noch.-

      Nachdem Wolfgang und ich nach einer herrlichen Bergwanderung unser Ziel bei Meran erreicht hatten, fuhren wir mit der Bahn zurück ins Allgäu und waren sehr zufrieden mit unseren Erlebnissen während dieser Alpenüberquerung.

      Als Wehrdienstverweigerer bei der Bundeswehr

      Ich wusste, dass meine Wehrdienstzeit bevorstand und verdrängte diesen Gedanken im Alltag soweit es ging. Entgegen aller Hinweise hatte ich die Verhandlung als Wehrdienstverweigerer ohne Anwalt bestritten und man ließ mich über dieselben Argumentationshürden wie viele andere Verweigerer vor mir stolpern. Zuhause erhielt ich moralische Unterstützung für meine Verweigerungshaltung. Mein Vater, ein Soldat des Zweiten Weltkriegs, hatte nach den langen und elenden Kriegsjahren genug vom Militär und konnte meine Verweigerungshaltung verstehen und akzeptieren. Er betrachtete mich nicht wie viele andere Männer seines Alters als „Drückeberger“. Meine Mutter sowieso nicht. Das tat mir gut. Mit Nachdruck stellte die Bundeswehr sicher, dass ich mich rechtzeitig zum 01. Oktober 1974 zur Grundausbildung in der Kaserne in Stetten am kalten Markt einfand. Die Kaserne war wegen ihres harten Regiments und der meist schlammigen Panzerstraße, vor allem in der Herbst- und Winterzeit, berüchtigt. Ich hatte von der ersten Minute an eine große Abneigung gegen das Militär. In dieser Zeit waren Nazisprüche in einigen Kasernen noch Alltag. Der Ton war rau und wer irgendwie auffiel, war sofort ein „Kameradenschwein“. Ich hielt das, weder im zivilen Leben noch beim Militär für angemessen. Aber das interessierte hier niemanden. Ich wurde einem Sanitätsbataillon zugeordnet und wollte wenigstens versuchen, aus dem Medizinisch-Fachlichen etwas mitzunehmen. Das Exerzieren und lächerliche Herumgebrülle der Unteroffiziere mit ihren gelegentlichen Nazisprüchen ging mir gehörig auf den Senkel. Die merkten das natürlich und ließen mich regelmäßig die ein oder andere Stunde allein auf dem großen Platz „gerade aus“, „links um“ oder „stillgestanden“ und so weiter exerzieren und dabei den „Roboter spielen“.

      Stetten a. k. M., meine Stubenkameraden und ich während der Grundausbildung nach einem Nachtmarsch

      Irgendwann war der zuständige Unteroffizier dann auch müde und das Unternehmen „Willenbrechen“ hatte wieder Pause.

      Dass ich das Gelöbnis zum unbedingten Gehorsam sowie das Schießen verweigerte, machte die Sache noch schlimmer und ich verbrachte zunehmend meine Wochenenden als „Kameradenschwein“ in der Kaserne mit „Sonderdiensten“. Das fiel mir nicht leicht. Ich hielt ja alles aus; aber Freiheitsentzug auf Dauer? Helen sah ich auch immer seltener. Ich spürte, dass der Freiheitsentzug meine Schwachstelle war. Mein Dagegensein, meine Sturheit -ich war mir nicht sicher, ob es wirklich aus pazifistischer Überzeugung war– hatte einen hohen Preis.

      Warum machte ich das? Es war einfach so, ich hatte keine Erklärung. Aber dem Druck von „solchen Leuten“ wollte ich niemals weichen.

      Als sich bei den Ausbildern herumsprach, dass ich in zweiter Instanz verweigern wollte, kam die „Druckmaschine“ erst richtig in Fahrt und nahm ihren Höhepunkt, als die Entscheidung über das Verhandlungsergebnis bekannt wurde. Ich hatte ohne Anwalt wieder hoch gepokert und auch in zweiter Instanz verloren. Ab jetzt robbte ich die Panzerstraße beinahe täglich rauf und runter. Bei Regen im Schlamm und bei Kälte im Schnee und Eis; stundenlang, bis es den Ausbildern zu kalt oder nass wurde. Manchmal war ich nicht der einzige Robbende auf der Panzerstraße, dann durfte ich, das Kameradenschwein, in einem „Kameradenschwein-Rettungsszenario“ noch ein weiteres Kameradenschwein robbend durch den Schlamm schleppen. Dabei lag man auf der Seite, oder auf dem Rücken, hatte den Arm des „verletzten“ Kameraden über der Schulter und wog zusammen 150 Kilogramm. Die mussten nun im Schlamm, mit den Füßen sich wegstemmend, bewegt werden. Natürlich rutschten die Füße im Morast weg. Da die Hände sicherzustellen hatten, dass die Waffen nicht durch den Schlamm gezogen wurden und dementsprechend hochgehalten werden mussten, waren auch sie keine Hilfe beim Weiterkommen. Der „Verletzte“ durfte nicht helfen. Fünf Meter dauerten so eine Ewigkeit. Es war wie in der Sisyphos-Sage. Und mindestens so anstrengend. Die Quälerei hörte auf, wenn der Unteroffizier keine Lust mehr hatte, in der Kälte zu stehen.

      Innerhalb der Kaserne gab es auch eine französische Ausbildungseinheit. Abendliche Schmerzensschreie waren normal. Manche französischen Soldaten wurden offenbar hart geschlagen und dabei flogen häufig Ausrüstungsgegenstände aus den Zimmerfenstern. Anschließend huschten erbarmungswürdige Gestalten in Unterhose ins Freie, sammelten alle Gegenstände wieder ein und rannten in das Gebäude zurück. Danach gingen die Schreie weiter. So gesehen, hatten wir es gut erwischt


Скачать книгу