Magierin der Liebe. Monika Auer

Magierin der Liebe - Monika Auer


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der Wertlosigkeit gefangen. Immer wieder erfahre ich ihre Ablehnung, gibt sie mir das Feedback, eine hässliche und unliebsame Person zu sein. Schließlich kann ich gar nicht anders, als mich selbst abzulehnen. Selbsthass.

      Ich komme bald in die zweite Klasse. Die Gipsschale ist laut Arzt weiterhin notwendig. Wie ich die hasse! Eines Abends liege ich allein im Dachzimmer rücklings auf meinem Jugendbett, ohne Gipsschale. Die habe ich vors Bett auf meinen weißen Flokati-Teppich. Während ich selbst auf dem Bett ruhe, schaue ich ausgelaugt vom Streit mit meiner Mutter mit leeren Augen auf das Arrangement rund herum. Ich besitze ein braunes Nachttischchen mit einer roten Leselampe darauf. Am Fussende steht ein dunkelbrauner Schrank mit Glasregalen, auf denen einige Kinderbücher zu finden sind. Mein Blick kehrt zurück zum Nachttischchen. Plötzlich fallen mir seine spitzen Ecken auf, die mir durchaus gefährlich werden könnten. Ich schließe meine verheulten Augen, falle in einen Klartraum, wie so oft in letzter Zeit.

      Ich will mich umbringen. Mit aller Wucht schlage ich meine kindliche Schläfe in voller Absicht auf eine spitze Ecke meines Nachttisches. Mein dünner Schädelknochen knackt unter dem heftigen Aufschlag. Sogleich versterbe ich an einem Reflextod. Leblos liege ich mit einem Loch im Kopf vor dem Bett auf dem weißen Flokati. Der tränkt sich unaufhörlich mit meinem roten Blut. Mit jedem weiteren Blutstropfen, der aus mir herausfließt, löst sich meine Traumseele vom Körper. Dann sammelt sie sich zu einer Wolke unterhalb der Zimmerdecke.

      Von dort oben beobachte ich, wie meine Mama herbeieilt, besorgt ihre verletzte älteste Tochter in den Arm nimmt und dann zu Tode erschreckt, weil diese schon tot ist. So will ich das haben. Dass meine Mutter endlich Gefühle für mich zeigt. Ich denke, dass ich erst sterben muss, damit sie ihre Liebe für mich entdecken kann.

      „Siehst du Mutter, ich bin bereit, für dich zu sterben.“

      Todessehnsucht. Mein Selbstmord bleibt ein Todeswunsch. Er drückt sich lediglich in einem Klartraum aus. Ich unternehme keinen aktiven Versuch, mich umzubringen, obwohl die Liebe meiner Mutter eine ewige unerfüllte Sehnsucht bleibt und es keinen spürbaren Schutz für mich gibt. So gehen meine Kindheitsjahre dahin, in denen für mich ihre Ablehnung eine unbarmherzige Realität bleibt.

      Ich weiß nicht mehr weiter. Wie soll ich den Hass meiner Mutter aushalten? Ich will ihm entfliehen. Doch wohin?

      Unbewusst manifestiert sich eine schizoide Abwehr. Ich muss mich aufspalten. Und da ich jeden Tag seelischer und körperlicher Folter ausgesetzt bin, begehe ich ständig Seelenflucht. Leaving the Body. Mein Körper wird zu einem Schreckensort, dem ich vor allem nachts entkommen will. Dann träume ich mich weg.

      Eines Abends erscheint in meinem Dachzimmer eine Eule. Sie sitzt hoch oben auf meinem braunen Schrank am Fußende vom Jugendbett. Das Vogelvieh ist nicht physisch präsent. Dennoch sehe ich sie klar und deutlich, als wäre es so. Ich beobachte sie dabei, wie sie mich beobachtet. Dabei wendet sie mir, die ich ausgestreckt auf meinem Bett liege, ihren Kopf zu. Sie blinzelt mit ihren großen Eulenaugen, was auf mich eine hypnotische und beruhigende Wirkung hat. Von etwas in meinem Schmerz gesehen zu werden, tröstet mich. Die Anwesenheit der Eule gibt mir zudem ein Gefühl der Sicherheit. Ich bin nicht mehr allein.

      Langsam trocknet es meine Kullertränen, besänftigt es mein flatterndes Kinderherz. Unter der Aufsicht der Eule schlafe ich ein, noch bevor ich mir über ihre Erscheinung Gedanken machen kann.

      Von da an soll es dreissig Jahre dauern, bis ich die Bedeutung meiner Eulenvision verstehe. Sie ist eine Tierahnin, eine wachsame Hüterin der Nacht, eine Seelenbegleiterin. Sie wacht über unruhige Seelen, wie die meine, beschützt Grenzgänger, die zwischen der alltäglichen und nichtalltäglichen Wirklichkeit hin und her wandern.

      Inzwischen bin ich in der dritten Klasse. Immer noch werde ich von Mama erniedrigt und gekränkt, oft schlägt sie mich. Auch Papa kann seine Finger nicht von mir lassen, muss ich seine Geliebte sein. Ich bin im familiären Terror gefangen. All die überwältigenden Erfahrungen lassen sich kaum noch von der Amygdala verarbeiten. Oft genug bin ich über meine Gefühle und Gedanken verwirrt. Todesangst kriecht in meine Zellen. Ich spüre, dass etwas in mir erstarrt. Die Vision mit der Eule ist weg. Dafür träume ich von anderen Dingen. Es überflutet mich aus meinem Unbewussten gleich einer Druckwelle, die einem Unterwasserlabyrinth entspringt. Neben den sich wiederkehrenden Albträumen mit dem schwarzen Panther und der Inquisition einer jungen Frau, quält mich ein anderer Horror. Ich fürchte mich so sehr vor Spinnen. Diese Krabbelmonster, allen voran Taranteln und Schwarze Witwen, lassen mich instant erstarren. Arachnophobie.

      Einmal, da bin ich auf dem Bauch eingeschlafen, seilt sich ein ganzes Geschwader Schwarzer Witwen von der Zimmerdecke ab. An seidenen Fäden schwingen sie in Richtung meines Rückens, wollen sich dort absetzen. Auf meine kindliche Psyche wirkt das wie ein alienhafter Angriff. Ich greife in den Traum ein, werde also luzide, um das Schlimmste zu verhindern, nämlich dass all diese Spinnen auf meinem Körper landen. Ich kann mir nichts Entsetzlicheres vorstellen. Das ist wie sterben.

       Leaving The Body, 2004, Mischtechnik (Acryl, Kreide, Bleistift) auf Papier, 70 x50 cm

      „Mein Körper ist ein wunderbarer Ort zu sein. Er ist mein Besitz, ein wesentlicher Bestandteil meines irdischen Seins. Und ich bin der alleinige Besitzer.“

      Ich erwache mit rasendem Herzen. Zu meinem Entsetzen spüre ich die Spinnen aus dem Traum auf meinem Rücken. Wie haben sie es bloß geschafft, mich trotz meiner geistigen Abwehr zu berühren? Freeze.

      Ich weißt nicht, was schlimmer ist: zu sterben oder vor Angst zu erstarren.

      Unzählige Male flehe ich in meiner Kindheit zu Gott oder rufe Engel an, sie sollen mich vom Albdruck erlösen. Ich bin noch ein Kind. Ich verstehe nichts von Traumdeutung, geschweige denn, dass es wichtige Botschaften einer inneren Heilerin sein könnten. Niemand lehrt mich, meine Träume als wichtige intrinsische Ressourcen anzunehmen, aus denen ich geistig-psychische Kraft schöpfen kann. Sie machen mir große Angst und versetzen mich in Dauerstress. Meine verzweifelten Gebete, die ich in meiner Hilflosigkeit weiterhin an Gott und Engel richte, werden nicht erhört. Ich fühle mich endlos verloren und allein.

      „Wieso geschieht mir dies alles?“, weine ich bitterlich in mein Kissen.

      Ich denke so oft an Suizid, dass es für mich normal wird. Dieser Gedanke steht mir inzwischen näher als das Leben. Also verlasse ich meinen Körper, um zu den Sternen zurückzukehren. Dorthin, jenseits, wo ich mein wahres Zuhause vermute. Leaving the Body. Ich spalte mich auf. Depersonalisation.

      Bald bin ich ein Teenager, noch ein Jahr. Es muss sich endlich etwas ändern. Leider stecke ich nach wie vor im Sumpf aus Gewalt, Intrigen und Missbrauch fest. Inzwischen entwickelt sich mein Körper, bekomme ich Brüste und Schamhaare. Vor den Augen meiner Mutter wachse ich zu einem hübschen Mädchen heran.

      Ich bin wie eine Lolita. Und prompt reagiert sie darauf mit schlimmsten Demütigungen. Sie schimpft mich einen männerfressenden Vamp. Wenn sie ganz besonders böse auf mich ist, sogar eine Hure. In ihren Augen bin ich die Femme fatale, die um jeden Preis vernichtet werden muss. Damit stürzt sie mich in eine Identitätskrise meiner Frauwerdung. Meine Mutter möchte unbedingt verhindern, dass ich weibliche Intelligenz entfalte, geschweige denn zu einer erotischen Frau heranwachse, die sexuelle Begehrlichkeiten der Männer weckt.

      Mein Vater indessen reagiert mit gesteigertem sexuellen Interesse auf meine Pubertät. Seine abartigen Fantasien führen den sexuellen Missbrauch auf die nächste Stufe seiner Perversion. Er sichert sich das Recht, mich zu entjungfern, möchte mein erster Liebhaber sein. Mein Papa erkennt in seinen perversen sexuellen Bedürfnissen nichts Kriminelles. Er tut so, als sei alles normal.

      Inzwischen verstehe ich den Unterschied zwischen einvernehmlichen Sex und Vergewaltigung. Ab und zu werden solche Dinge in der Schule im Sexualkunde-Unterricht thematisiert. Was mein Vater mit mir vorhat, ist eine Schändung. Was er für selbstverständlich hält, ist für mich schierer Horror. Inzest.

      Was stimmt nicht mit der Seele meines Vaters? Wo ist seine Empathie? Er kommt nicht mal im Ansatz auf die Idee, ich


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