Magierin der Liebe. Monika Auer
Abschlusses zur staatlich geprüften hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin stolze Gefühle in mir habe, überwiegen die negativen. Sie sind stets stärker. Deshalb schimpfe ich meine Berufsauszeichnung oft zynisch „Putzfrau mit Diplom“. Auf keinen Fall steige ich in diesen Beruf ein, der mir lediglich das Management von Reinigungskräften in diversen Institutionen in Aussicht stellt. Ich will das Thema Putzen loswerden. Aschenputteltrauma. Darum beende ich auch die Putzarbeit bei den reichen Freundinnen von Alma Mater.
Ich strebe nach etwas Höherem.
Leider bleiben mir Jobs in Büros verwehrt, da ich keine Schreibmaschinenkenntnisse habe. So nehme ich vorläufig eine freie Stelle bei einem Halbfabrikat en-Hersteller an. Mit Schweißen, Löten und Stanzen verdiene ich mein erstes Geld. Es ist nicht, was ich wollte. Aber es macht mich finanziell unabhängig. Ich leiste mir eine eigene Wohnung und sogar einen Schreibmaschinenkurs. Die kleine Einzimmerbude befindet sich in der Nähe von Alma Mater und ihrem Erstgeborenen, der immer noch bei seinen Eltern wohnt.
Siebenundzwanzig Quadratmeter mit Bad und Balkon sind von da an meine Schutzhöhle. Selbstbestimmt zu sein, lässt mich genesen. Sogar mein Magen reagiert gut darauf. Die Entzündung heilt ab. Es brennt darin nicht mehr so wie Feuer. Zu meiner Freude kann ich wieder Spaghetti mit Tomatensoße essen, was mein Lieblingsgericht ist. Bis vor Kurzem konnte ich es wegen der schlimmen Magenschmerzen weder riechen noch bei mir behalten, musste ich mich ständig übergeben.
Mein Leben wird schöner. Insbesondere, weil die Familie von Alma Mater mich wie ihre zukünftige Schwiegertochter behandelt. Alle reden von Hochzeit mit dem Erstgeborenen. Ich fühle mich wie in einem Märchen, ein Happy End in Aussicht.
Ich atme. Ich lebe. Ich arbeite. Ich putze meine Wohnung, wann und wie ich es will. Mein gebrochenes Herz scheint in Heilung zu gehen. Jedenfalls fühle ich Glück, stellt sich langsam ein Friede ein. Die neue Struktur in meinem Leben gibt mir Halt. Ich denke, ich habe alles unter Kontrolle. Und der gesunde und liebevolle Umgang innerhalb der Familie Alma Maters, der mich vor allem mit einschließt, heilt meine tiefen Bombenkrater in meinem subtilen Nabel-Zentrum. Ich gewinne wieder Vertrauen in Bindungen.
So oft es geht, bin ich bei meinem Verlobten. Doch dieser lässt mich öfters unter dem Vorwand „Geschäftliches“ allein in der Obhut seiner Mutter. Zunächst schöpfe ich keinen Verdacht. Ich bin gerne mit Alma Mater zusammen, die eine schöne, inspirierende Frau ist und sich eifrig in der bildenden Kunst engagiert. Sie malt in ihrer Freizeit oder besucht Kunstausstellungen. Und ich bin die ganze Zeit dabei, ja sie behandelt mich wie ihre Tochter.
Eines Tages pusht sie mich, selbst einmal mit dem Malen zu beginnen. Hierfür schenkt sie mir ein ganzes Bündel ihrer farbigen Wachsmalstifte sowie anderes Zeichenwerkzeug.
Auf diese Weise ermutigt, wage ich mich an mein erstes Bleistiftporträt heran. Das Plattencover von „Nothing Like the Sun“ dient mir als Vorlage. Irgendwie mag ich die schwarz-weiße Abbildung von Stings Gesicht mit seinen melancholischen Augen.
Als ich Alma Mater stolz mein erste Zeichnung präsentiere, klatscht sie in die Hände und ruft aus: „Du bist begabt. Mach weiter so.“
Stolz hänge ich das Bleistiftporträt von Sting über meinem Bett auf.
Ich male noch anderes und fühle mich auf diese Weise mit Alma Mater verbunden. Ohne selbst zu ahnen, welcher Ich-Anteil in mir schlummert, möchte ich instinktiv wie sie sein. Ich identifiziere mich unbewusst mit ihr. Zudem schmelzen Alma Maters Wärme und Zuneigung das Eis in meinem Inneren. Mit ihren kontinuierliche Liebesbekundungen bringt sie die Schutzmauer zum Einsturz, die ich einst um mein Herz errichtet habe, um mich vor meiner narzisstischen Mutter zu schützen.
Kaum gehe ich in die Herzöffnung, wird es abermals bedrohlich.
Mein Vater, mit dem ich seit dem Wohnjahr ein Okay-Verhältnis habe, meldet mich in der Fahrschule an und bezahlt sogleich die erste Fahrstunde. Was als Überraschung gedacht ist, mundet für mich in eine Konfrontation mit einer Prüfungssituation, für die ich nervlich nicht bereit bin. Instinktiv spüre ich etwas Ungutes. Doch ich komme nicht gleich drauf, dass es die Dominanz meines Vaters ist, nämlich mich fremd zu bestimmen, selbst wenn es dieses Mal aus guter Absicht passiert. Ich selbst will mit dem Führerschein warten, bis ich mir dazu auch das Auto leisten kann.
Andererseits reizt es mich, den ultimativen Beweis für Unabhängigkeit, und so sehe ich den Führerschein, bald in Händen zu halten. Seufzend gebe ich ein, denn ich schaffe es nicht, meinen Vater vor den Kopf zu stoßen. Ich kann nicht Nein sagen. So nimmt mein Schicksal seinen Lauf, vor allem, da der Besitzer der Fahrschule der ehemalige Fahrlehrer meines Vaters ist. Die zwei kennen sich. Sie sind vom gleichen Schlag. Schon in der ersten Fahrstunde zeigt mir der Fahrlehrer, wer das Sagen hat.
„Du bist mir zu selbstsicher. Ich werde dich brechen. Dann baue ich dich nach meiner Fasson auf. Du fährst das Auto so, wie ich es für richtig halte“, droht er mir.
Ehe ich mich versehe, werde ich abermals Opfer eines fiesen Machtkampfes. In den kommenden Fahrstunden verliere ich immer öfter die Nerven. Insgesamt brauche ich drei Anläufe, und dreimal scheitere ich. Am Ende gibt es keinen Schein.
Diese sinnlose Psychoterror, der mich wiederholt in meinem Leben erschüttert, lässt mein Nervenzell-Netzwerk vibrieren. Flashback. Durch die brachiale Dominanz des Fahrlehrers gerate ich in Regression, werde zum kleinen Mädchen, das ich einmal war. Jenes Opfer, das sich gegen Gewalt nicht wehren konnte.
In mir birst etwas entzwei. Als werfe jemand ein kostbares Kristallglas mit aller Wucht auf einen Steinboden. Ich fühle mich zerschlagen in tausend kleine Scherben. Ich bin ein Scherbenhaufen. Ich habe mich lange nicht so gedemütigt gefühlt, wie in diesem Moment, als ich meinem Vater unmittelbar nach der dritten gescheiterten Fahrprüfung unter die Augen treten musste. Ich schäme mich fürchterlich für mein Versagen. Ich möchte im Boden versinken. Ich sterbe.
Wie eine schwer verletzte Katze verkrieche ich mich gekränkt vom Leben in meiner Schutzhöhle. Ich gehe aus dem Kontakt, obwohl ich mich gleichzeitig nach zwei meiner engsten Freunde sehne. Sie sind nicht da. In solchen Momenten, wo jeder Mensch Halt, Zuspruch und Trost braucht, erfahre ich Ablehnung. Meine zweite beste Freundin kündigt mir die Freundschaft auf, ohne Angabe von Gründen. Und Psychopompos, der sonst stets zur Stelle ist, wenn es mir schlecht geht, hat eine Freundin und braucht mich nicht mehr.
Doch es kommt schlimmer. Mein Verlobter setzt mich unter Druck, ich solle endlich konvertieren. Er könne nur eine Jüdin heiraten, das sei er seiner Familie und den Ahnen, die im Holocaust umkamen schuldig, ansonsten müsse er sich von mir trennen. Darauf reagiere ich gekränkt und trenne mich gleich. Immer wieder dieses „Wenn-Du-Nicht-Tust-Was-Ich-Will-Dann-Folgt-Strafe“–Ding. Re–Trauma.
Einzig und allein Alma Mater kümmert sich um mich. Sie besucht mich täglich in meiner kleinen Wohnung, bringt Malstifte mit und versucht, mich aufzumuntern.
„Komm, lenke dich ab und male“, ermuntert sie mich. „Lass dich wegen eines solchen idiotischen Fahrlehrers nicht unterkriegen.“
„Aber das ist es nicht allein, was mich traurig macht“, wimmere ich.
„Ach, dass mit meinem Sohn wird schon wieder. Du bist eine von uns und du solltest konvertieren.“
Alma Maters Sohn, mein Verlobter, kommt noch einmal zurück. Und wir haben Sex. Kurz darauf erleide ich einen Spontanabort.
Der Verlust meines Babys, selbst wenn es lediglich ein Zellhaufen war, trifft mich hart. Und im Kontext all der anderen Katastrophen erreicht meine Nervenkrise ihren Höhepunkt. Ich verfalle in eine Katatonie. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich bin ans Bett gefesselt, als die Depression wie ein großer schwarzer Vogel aus den Tiefen meines Seins emporsteigt und ihren dunklen Schatten über mich wirft.
Suizidgedanken tauchen auf wie Aasgeier am Horizont, die die Witterung eines sterbenden Tieres aufnehmen und geduldig auf dessen Tod warten.
„Ich bringe mich um. Ich kann nicht mehr. Alles ist so schrecklich sinnlos“, denke ich jeden Morgen beim Aufwachen.
Ich spüre schon die Raubvögel, wie sie mein vom Fieber weich gekochtes Hirn mit ihren scharfen