Magierin der Liebe. Monika Auer
ein drittes Mal einen Ortswechsel vor. Trotz der Widrigkeiten, die mir wie Pech und Schwefel an den Fersen kleben, baue ich mir ein neues Leben auf. Im Beruf bin ich schnell erfolgreich. Hingegen vergehen drei weitere Jahre, bis ich auf einer der legendären Cebit-Parties meinen Ehemann kennenlerne.
Es ist egal, was ich mache, alles erscheint sinnlos und falsch. Meine Welt steht zum xten Mal auf dem Kopf. Und dabei ist es nicht meine Schuld. Das denke ich jedenfalls. In der IT-Branche kommt es zu einem Finanzkollaps - die Dotcom Blase platzt. Alles war bloß Fake, so auch mein Ehemann. Er bricht sein Versprechen, mit mir eine Familie zu gründen, mobbt mich und plündert hinter meinem Rücken die gemeinsame Haushaltskasse für seine private Schuldentilgung. Er lügt mich an. Aber als er mich mit unserem gemeinsam geplanten Urlaub sitzen lässt, platzt meine Geduld. Ich verlasse ihn, weil ich mich von ihm auf ganzer Linie verraten fühle.
(17) „Die Verratsmentalität, eine der Hauptursachen für ein gebrochenes Herz, entstammt einem alten Verrat-Schuld-Muster. Wenn unsere Ursprungsfamilie keine tiefe emotionale Bindung zueinander hatte, werden immer Elemente des Verrats, Betrugs und des emotionalen Schmerzes vorhanden sein.“
Ich gehe im Fluss meiner Tränen unter. Ich ertrinke. Ich bin wieder depressiv. Mittlerweile habe ich gar kein Vertrauen in meine Fähigkeit, mir ein soziales sicheres Umfeld aufzubauen und meinen Erfolg im Beruf stabil zu halten. Ich verliere das Vertrauen, in meine Menschenkenntnisse und darin, eine tragende Beziehung zu haben. Ich weiß nicht, wer gut oder schlecht für mich ist. Tatsächlich habe ich kaum Erfahrung mit liebevollen und fürsorglichen Menschen, denn weder Mutter noch Vater waren so. Sie haben mir das nicht mitgegeben. Dafür ist alles so schrecklich fragil und zerbrechlich, wie es meine Bindung zu ihnen war.
Ich fürchte, ich werde den Dämonen meiner Kindheit niemals entkommen. Der Gedanke, für den Rest meines Lebens eine Gefangene der schrecklichen Traumen meiner Kindheit zu bleiben, stürzt mich ins Uferlose. Die Blueprints meiner tyrannischen Eltern sind in mein Nervenzell-Netzwerk eingebrannt, da bin ich mir inzwischen sicher. Ja wahrscheinlich veränderte es sogar meine DNA.
Keine Hoffnung zu haben, je ein gewaltfreies Leben führen zu können, zwingt mich in die Knie. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Als wäre meine seelische Verfassung nicht schlimm genug, bekomme ich heftige Rückenschmerzen. Schon wieder Lumbago. Er hindert mich unbarmherzig am Voranschreiten. Auch in meinem Magen brennt es wiederkehrend wie Feuer, eine Folge der erlebten Intrigen, sowohl im Privaten als auch im Beruflichen. Alles das schlägt mir derart auf den Magen, dass ich schlussendlich einen Arzt konsultieren muss. Dieser diagnostiziert eine Refluxösophagitis höheren Grades. Er sagt, wegen eines Zwerchfellbruchs fließt der saure Magenbrei zurück in meine Speiseröhre und verätzt ihre Membran.
In der Tat ist alles in meinem Leben ätzend.
Ich bilde ihn mir förmlich ein, diesen sich zersetzenden Fremdkörper in meiner Psyche, und wie er mich langsam aber sicher von innen heraus vergiftet. Oder soll ich besser von einem energetischen Parasiten sprechen, der seine zerstörerischen Botenstoffe in meine Lebensadern absetzt, mich als Wirt benutzt und auf meine Kosten lebt, während es mich zu meinem Nachteil verändert. Ich verliere mich. Mein geistig-psychischer Zustand verschlechtert sich zusehends. Inzwischen sehe ich in allen Mitmenschen nur noch Vampire, die mein Blut wollen oder Zombies, die mich zerfleischen wollen. Ich weiß nicht, wer Freund oder Feind ist. Ich habe große Angst vor Beziehungen, und dass sie immer dann toxisch werden, wenn ich mich öffne.
„Ich bin müde. Ich kann nicht mehr. Lasst mich sterben. All das, muss endlich ein Ende haben. Bitte lasst mich sterben“, zermartert es mein Hirn.
Von großer Niedergeschlagenheit überwältigt, weine ich tagelang.
„Woher kommt bloß diese unendliche Traurigkeit?“, schluchze ich in mein Kissen. „Hört das denn niemals auf?“
Mein Tränenfluss mündet inzwischen in einen riesigen Ozean, in dem ich mich aufzulösen drohe. Ich fühle mich wertlos. Ich fühle mich schuldig für mein Versagen. Aber am schlimmsten ist das Gefühl, nicht geliebt zu sein, und stattdessen wie eine Objekt behandelt zu werden, dass man emotional und sexuell missbrauchen kann.
„Wieso fühle ich mich wie eine Hure, obwohl ich keine bin? Ständig fühle ich mich so“, trauere ich um den Verlust meiner Würde.
Ich kämpfe so sehr um die Liebe, und das obwohl sie jedes Mal so weh tut.
Re-Trauma. Meine Todessehnsucht bricht mit voller Wucht aus, und ich habe abermals einen Klartraum.
Ich liege rücklings in einer Felsmulde, hoch oben im Gebirge. Ich starre in den Himmel, seelisch ausgebrannt und körperlich zerschlagen. Raubvögel ziehen schon ihre Kreise über mir. Verzweifelt rufe ich ihnen zu:
„Bringt es zu Ende. Führt meinen Geist nach Hause.“
Von Geiern und Adlern gefressen zu werden, erscheint mir als das einzig Sinnvolle, was mir in meinem armseeligen Dasein geschehen könnte.
Ich wünschte, ich könnte mit meiner Seele meinen Körper vollständig verlassen. Mit dem Sterben verbinde ich längst die sanfte Lösung meiner Probleme. Das Leben hingegen bedeutet für mich Hölle auf Erden. Ich fühle mich schon lange nicht mehr wie Mensch. Ich komme mir wie ein Geist vor, war ich doch von Anfang an dem Tod näher als dem Leben. Zombie-Dasein. Ich spüre kaum etwas. Meine Sinne sind wie betäubt und meine Gefühle abgestumpft. Ich bin ein leichtes Opfer für Menschen mit vampirischen Eigenschaften, denn mir fehlt die Kraft für diese sinnlosen Machtkämpfe. Sie können mich leicht überwältigen und meinen Lebenssaft vollends aussaugen. Ich wünschte, sie würden mir den Todesstoß geben, mich endlich von dem Leid befreien, das sie mit ihrem ausbeutenden Verhalten aufrecht erhalten. Re-Trauma.
Jedes Mal, wenn das letzte Fünkchen Überlebenswille in Suizidgedanken untergeht, verkrampft sich mein Herz im Schmerz. Dieser erinnert mich daran, dass ich eigentlich nicht sterben will. In meiner Aufregung, man könne an gebrochenem Herzen versterben, google ich im Internet, ob so etwas überhaupt möglich ist. Tatsächlich stoße ich bei meiner Recherche auf das Tako-Tsubo-Syndrom. Demnach könnte durchaus der emotionale Stress, dem ich seit Jahren ausgesetzt bin, zu einer Veränderung der linken Herzkammer führen. Ist es also möglich, an einem gebrochenen Herzen zu versterben?
„Vielleicht bin ich längst tot? Vielleicht starb ich im Bauch von Mama und wandle seitdem als Untote auf dieser Erde umher?“, denke ich bestürzt.
Da entsinne ich mich meines inkompletten Rechtsschenkelblocks.
Ich war neunzehn, als ein Kardiologe während eines Belastungs-EKGs diese Störung der Erregungsleitung in meiner rechten Herzkammer findet.
„Da sind Narben in Ihrem Herzmuskel. Offensichtlich haben Sie einen Herzinfarkt überlebt“, diagnostiziert der junge Arzt.
Ich hörte zwar seine Worte, konnte jedoch diese Information nicht einordnen.
Jahre später, im Kontext meines gebrochenen Herzens, fällt ein neues Licht auf seine Feststellung. Ich rufe kurz entschlossen Mama an. Vielleicht weiß sie, ob und wieso ich einen Herzinfarkt überlebt haben könnte.
„Davon weiß ich nichts. Ihr ward alle kerngesund“, wehrt meine Mutter ab.
Damit verläuft meine Recherche über die Störung einer Erregungsleitung im myogenen Gewebe meines rechten Herzmuskels im Sand. Die wahre Ursache der Narbe, sofern die Aussage des Kardiologen stimmt, bleibt für mich zunächst ein Rätsel. Dafür taucht noch mal eine Erinnerung aus frühen Kindheitstagen auf.
Ich bin circa sechs Jahre alt und sitze auf dem Sofa meiner Mutter. Daneben steht ein kleiner Tisch mit einer Tischlampe, sowie ein Korb mit Strickzeug.
Während ich meine Mama in der Küche klappern höre, untersuche ich gelangweilt die Lampe. Ihr fehlt eine Glühbirne. Nun doch neugierig geworden, blicke ich unter den Lampenschirm, wo ich ein dunkles, metallisches Loch entdecke. Dann fällt mein Blick auf eine Stricknadel, die keck aus dem Strickkorb herausragt. Kurzerhand ergreife ich sie und stecke sie, wie von fremden Fäden gezogen, tief in das metallische Loch. Kurzschluss. Augenblicklich trifft mich ein gewaltiger Blitzschlag, dessen Wucht mich vom Sofa schleudert.