Mord-Art. Sigrid Drübbisch
Platz war genug da. ‚Ich werde sie fragen, ob sie Lust und Zeit dazu hat.‘
Karla freute sich auf die Vernissage und räumte den Tisch ab. Sie schaute nach draußen. Eine kleine Katze saß vor der Tür. Karla hob sie auf und streichelte sie.
„Du süßes Ding. Nett, dass du mich besuchst.“
Sie setzte sie auf den Boden und dachte: ‚Dich nenne ich Margaret! Margaret Rutherford hätte jetzt ihren Spaß.‘
Karla, professionelle Mordermittlerin, liebte die Krimikultserie Miss Marple von Agatha Christie. Auch wenn Miss Marple in den Filmen eine Hobbydetektivin darstellte. Sie fand, dass Margaret Rutherford eine hervorragende Besetzung für die Rolle war.
Karla hatte gelesen, dass Agatha Christie selbst dazu eine ganz andere Meinung hatte. Ihre Wunschdarstellerin sollte nach ihren Vorstellungen völlig anders aussehen: eine kultivierte, blasshäutige, hochgewachsene und zerbrechlich wirkende ältere Dame aus der oberen Mittelschicht. Später freundeten sich die beiden Damen sogar an und Agatha Christie akzeptierte und liebte Rutherford in ihrer Rolle.
Sie schreckte auf, als in diesem Augenblick die Titelmusik von Miss Marple aus ihrem Handy ertönte.
„Siehse“, sagte Karla zu Margaret, „sie hätte ihren Spaß“ und nahm den Anruf entgegen.
„Hallo Mama.“
Karla war glücklich, die vertraute Stimme ihrer Tochter Luisa zu hören: „Luisa, mein Schatz, wie geht es dir?“
„Alles schick, Mama und bei dir? Machst du es dir nett?“
„Klar, ich habe herrlich geschlafen und heute Nachmittag besuche ich mit meiner Freundin Inge eine Vernissage und ich freue mich aufs Malen.“
„Das hört sich gut an“, freute sich Luisa. „Ich hoffe nur, dass du nicht irgendeinen Blödsinn machst und deine Kollegen in Bochum in Ruhe lässt. Du sollst dich erholen und an dich denken.“
Karla nahm Margaret wieder auf den Schoß, streichelte sie und antwortete ihrer Tochter: „Ich? Was soll ich schon anstellen? Meine Kollegen kommen schon klar, mach dir um mich mal keine Sorgen. Hast du was von deinem herzallerliebsten Bruder, gehört?“
„Nee, Arne arbeitet, ist viel unterwegs. Was weiß ich. Sein Handy ist entweder dauerhaft auf lautlos gestellt oder abgeschaltet.“
„Ach, lass ihn in Ruhe. Er meldet sich, wenn er Zeit hat.“
„Da kannst du dir einen Wolf warten“, meinte Luisa. „Du kennst ihn doch.“
„Na, dramatisiere es nicht zu sehr. Er lebt wie du sein Leben. Okay, ich will jetzt an den Strand und mich durchpusten lassen. Bis die Tage, Küssken, mein Schatz.“
„Küssken, Mama, bis denne.“
Karla legte ihr Smartphone zur Seite. Sie spürte, wie es wieder in ihren Fingern juckte.
‚Soll ich Rolf anrufen?‘, überlegte sie.
Sie wollte zu gerne wissen, wie weit sie schon mit den Ermittlungen vorangekommen waren.
Das Kätzchen hielt sie immer noch auf dem Arm, stand auf und lief auf die Terrasse.
„Nein, ich lasse es! Die Jungs und Mädels in Bochum schaffen das locker ohne mich. Ich muss jetzt endlich mal abschalten.“
Sie setzte Margaret auf den Boden, die sie noch mal kurz ansah, über die Wiese rannte und im Gebüsch verschwand.
Dick eingepackt, den Rucksack auf dem Rücken, trottete Karla los zum Strand. Sie lief in Richtung Goting. Die Rehaklinik Utersum lag auf dem Weg. Der gewaltige Bau trohnte direkt hinterm Deich. Aus der Ferne sah sie eine Gruppe, die am Strand gymnastische Übungen machte. Als sie näherkam, erkannte sie Inge, die konzentriert mitturnte.
„Huuuhuuu!“, rief sie.
Inge winkte zurück und die anderen Teilnehmer ebenfalls.
Inge rief: „Geh schon vor und warte in der Cafeteria auf mich. Ich komme gleich nach.“
Eigentlich wollte Karla noch weiter am Strand entlanglaufen, aber sie tat Inge gern den Gefallen.
Um den Hintereingang der Klinik zu erreichen, musste sie die Deichkrone erklimmen.
Der Wind fegte ihr ins Gesicht, er hatte gedreht und kam aus einer anderen Richtung. Sie schmeckte das Salz in der Luft und die Sandkörner pieksten auf der Haut. Karla tapste durch den Sand, den der Wind aufwirbelte. Die Mütze zog sie tiefer über die Ohren, der steife Brise machte ihr nichts aus. Das gehörte zum Föhrer Inselflair.
Oben angekommen schaute sie in einen liebevoll angelegten Park mit Mischwald. Karla konnte Menschen beobachten, die sich mit Nordic Walking Stöcken zum Stockentenrennen, wie sie es nannte, aufstellten. Es sah komisch aus und Karla musste schmunzeln. Sie fand die Stöcke lästig, der Marathonlauf war eher ihr Ding.
‚2014 habe ich gar nicht mal schlecht abgeschnitten‘, jubelte sie. ‚Wenn ich mich noch steigern könnte, wäre ich noch zufriedener mit mir.‘
Karla lief auf eine Gymnastikhalle zu, sie spähte durch das Fenster. Eine Gruppe legte sich mächtig ins Zeug. Die Rehabilitanden hüpften mit Gymnastikbällen durch die Halle. Flotte Musik erklang und eine Therapeutin motivierte zum Tempo.
‚Oha! Anstrengend‘, dachte sie.
Außer Atem kam Inge angerannt.
„Mannomann, euer Sportprogramm ist stramm“, sagte Karla.
„Ja sicher“, stimmte Inge zu. „Wir sind doch nicht zum Spaß hier.“
„Hauptsache, dir tut es gut.“
„Klar, alles bestens. Ich bin froh, dass ich hier sein kann. Das Rehaprogramm ist klasse. Anstrengend, aber effektiv.“ Karlas Freundin strahlte übers ganze Gesicht. Die frische Luft hatte ihr eine sanfte Röte auf die Wangen gezaubert. „Möchtest du hier in der Klinik mit mir essen? Du kannst dich in der Klinikküche als Gast zum Essen anmelden. Anschließend trinken wir gemütlich ein Käffken in der Cafeteria. Danach fahren wir nach Nieblum. Wie findest du das?“
„Das ist eine gute Idee. Dann brauche ich nicht kochen.“ Froh darüber schlug Karla vor: „Vor der Vernissage bummeln wir durch das beschauliche Örtchen. Ich kann nach dem Essen zu meinem Apartment laufen und den Bus holen.“
„Nee, das erledigen wir gemeinsam. Bewegung nach dem Essen tut gut“, entgegnete Inge.
„Ja sicher, die brave Patientin. Hoffentlich gibt es was Leckeres“, ließ Karla verlauten. „Klinikessen ist eigentlich nicht meins.“
„Du wirst überrascht sein. Der Koch hier ist kein Fünfsternekoch, aber meckern muss man nicht.“
„Okay, dann bin ich dabei. Wie sieht es mit deinem Rehaplan für heute aus?“, wollte Karla wissen.
„Ab jetzt habe ich frei.“
10. Besprechung
– Bochum; Donnerstag –
KHK Klaus Pfeffer betrat als erster den Besprechungsraum der Mordkommission in Bochum. Franzi und Ulf folgten unmittelbar. Der erste Gang von Ulf Schmidt führte in Richtung Kaffeemaschine, die er zügig in Gang setzte. Klaus Pfeffer befüllte den Wasserkocher. Er bevorzugte schwarzen Tee.
„Für mich auch einen Tee“, rief Rolf Klaus zu, der mit zwei Akten unterm Arm den Raum betrat. Ulf frotzelte sofort: „Was ist los Rolf? Keinen Kaffee, in dem der Löffel stehen bleibt?“
„Haben wir auch Kamillen- und Fencheltee im Sortiment? Mein Magen meldet sich.“
Ulf schüttelte sich. „Brrr. Damit kann man sich höchstens die Füße waschen, aber doch nicht trinken. Fang nicht an zu schwächeln. Aber wir haben beides da.“
„Gut, dann hätte ich gern eine Mischung von beiden.“
„Das lässt sich machen.“ Ulf schauderte es immer