Das Geheimnis des wahren Evangeliums - Band 1. Johanne T. G. Joan
besser ordnen: Es besteht nun kein Zweifel mehr, überzeugte er sich ein weiteres Mal: Ein Text stellt ein Original und der andere eine Fälschung dar.
Das plötzliche Gefühl der Ohnmacht, das ihn überkam, löste einen Magenkrampf aus, ein Zustand, der ihm Angst machte. Um sein Unwohlsein zu vertreiben, stand er auf, atmete tief durch und trat instinktiv einige Schritte von dem Tisch, auf dem die Essener Schriften lagen, zurück. Ein inneres Zittern hatte ihn vereinnahmt, ängstlich und misstrauisch betrachtete er die Unterlagen auf seinem Arbeitstisch, wie einer, der sich davor fürchtet von einem giftigen Skorpion, der sich in unmittelbarer Nähe befindet, gebissen zu werden. Er zitterte am ganzen Körper und war unfähig, seine Forschung fortzusetzen, fluchtartig verließ er den Raum.
Die darauffolgenden Tage machte er einen großen Bogen um sein Arbeitszimmer und vermied, es zu betreten, als ob der Teufel leibhaftig darin hausen würde.
Irgendwann hatte ihn jedoch die Neugierde wieder eingeholt und, obwohl er dem Raum mit dem gefährlichen „Biest“ immer noch auswich, setzte er seine Überlegungen fern von der Gefahrquelle, in einem anderen Raum fort:
„Wenn die ‚Essener-Schriften‘ älter sind, und davon ist ja auszugehen, da sie in Aramäisch und in Hebräisch verfasst wurden, dann sind die Evangelien aus dem Neuen Testament im Anschluss an sie verfasst worden“, leitete er ab. ‚Doch warum so verzerrt? Was heißt verzerrt? Es ist eine Gegenlehre‘, brachte er schließlich über die Lippen.
‚Warum sollten die Jünger Jesu die Wahrheit so verdreht haben? Und was für eine Rolle spielte Paulus wirklich? ‘
Carlucci lehnte sich in sich zusammengesackt in seinem Stuhl zurück und suchte einen Anhaltspunkt, der ihm ermöglichen würde, seine Überlegungen logisch fortzusetzen. Wie er auch die Sache anpackte, konnte er die verschiedenartigen Schriften nicht unter einen Hut bringen. Er fühlte sich überfordert. Alles was er bisher über Gott gehört und gelernt hatte, drehte sich in seinem Kopf und stürzte vor seinem inneren Auge wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Jesus der Widerspenstige – die Wunder – Jesus, der Essener Täufer, der Gutmütige; die bösen Juden, die Jesus verfolgten – die Kreuzigung – der Verrat Judas – Paulus – die Lehre der Gnade – die Lehre der Vollkommenheit…
Mit anderen Ansätzen versuchte er immer wieder Schritt für Schritt im Geiste eine neue Ordnung aufzubauen, um den Inhalt aus dem Essener Evangelium in Einklang mit dem Neuen Testament zu bringen, doch wie er es auch anging, es fand keinen Halt.
Er richtete sich wieder auf und wie ein in Rage geratenes Tier, das in einem Käfig eingesperrt ist und nach einer Lücke, um zu entkommen spürt, lief er erneut in seinem Zimmer auf und ab, herbeisehnend den versteckten Durchlass zu entdecken, der ihm eine Antwort auf dieses Mysterium geben würde. Plötzlich leuchteten seine Augen unheilvoll: Möglicherweise sind diese Schriften ein Werk des Teufels. Wahrscheinlich hatte Satan, der nur die „Auserwählten“ versucht, es auf ihn abgesehen, er wollte ihn verwirren und verunsichern. Sein Glauben war jetzt geprüft. Hier und jetzt musste er sich bewähren; seinen Glauben an den Christus, der für ihn starb, unter Beweis stellen.
Blitzartig griff er nach einem großen Kreuz aus schwerem Holz, das an einer Wand hing und streckte es, wie eine Feuerfackel beschwörend vor sich, als würde er einen angreifenden Tiger vertreiben wollen und rief bedrohend:
„Weiche von mir Satan! Ich habe mit dir nichts zu schaffen! Ich gehöre Christus an! Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist und wo du hingehörst, in die Finsternis!“
Er sprach noch einige Male den Namen „Jesus Christus“ aus, denn er hatte gelernt, dass die bösen Mächte vor diesem Namen weichen müssen. Und dann ließ er im Geiste das Blut des Gekreuzigten über seinen Kopf fließen, als Zeichen der Reinigung und als Abwehrschild und Schutz gegen den Widersacher.
Immer wieder rief der Geistliche die mahnende Formel, bis er sich schweißgebadet und erschöpft in seinen Sessel fallen ließ. Es hatte funktioniert. Er konnte wieder atmen und fühlte sich tatsächlich besser.
Und so endete der Tag. Msgr. Carlucci war fest entschlossen, die Angelegenheit zu vergessen. Am besten sollte er diese Teufelsschriften einfach verbrennen.
6 Das Evangelium der Essener: „ Die Geheimarchiven des Vatikans“, S. 337.
7 Das Evangelium der Essener: „Das Friedensevangelium“, S. 17.
8 Ebenda, S. 41.
8 Ebenda, S. 17.
9 Ebenda, S. 22.
10 Ebenda.
11 Ebenda.
9. Kapitel
Gilberto war ein sehr einfacher Mann und gehörte zu den Menschen, die sich als zufrieden bezeichneten. Er führte diese Zufriedenheit auf seine geregelte Lebensweise, auf seine Ernährung und auf das häufige Fasten zurück, dem er den gesunden, flüssigen und leuchtenden Blutstrom in seinen Adern verdankte. Eine besondere Beschaffenheit des Blutes, die er immer wieder bei sich und seinen Patienten festgestellt hatte. Er ging so weit zu behaupten, dass Fasten sämtliche Erziehungsfehler und sonstige Faktoren, die seine junge Seele jemals gekränkt hatten, heilen könnte.
Er besaß kein Radio und auch keinen Fernseher und er vermisste es auch nicht.
Auf die Schreckensmeldungen und blutrünstigen Bilder und die Sexszenen, die alle mittlerweile ohne Rücksicht auf die Jugend gesendet wurden, konnte er gut verzichten. Wenn es etwas zu erfahren gab, war er manchmal einer der ersten, der es über seine Patienten erfuhr.
In diesen Angelegenheiten hatte er eine klare Meinung: Die Nachrichten, die die Medien senden, haben keinen Aufklärungscharakter mehr, sondern sind mittlerweile größtenteils darauf aus, die Sensationslust ihrer abhängig gewordenen Klientel zu stillen. Vor den Berichten und Reportagen, die teilweise an frevelhaften Voyeurismus grenzen und die manche Zuschauer vor Scham erröten lassen sollten, kann sich niemand mehr schützen. Eine Dekadenz, die die zarte Seele unserer Kinder in ihren Grundfesten beleidigt und verletzt, die wie alle anderen tolerierten Abhängigkeiten, ihr sträfliches Profil verloren hat und deren Einstellung überhaupt nicht in Frage kam, weil die Anzahl derer, die davon nicht ablassen können, überwiegt.
Wie ihre von höheren Stellen her kontrollierte und dosierte Gesundheit, erfährt die sogenannte gut informierte Masse dennoch nur die Dinge, die sie erfahren soll und darf. Gleich einem Drogensüchtigen, der an einem Joint zieht, saugt der sensationsabhängige Verbraucher den gesendeten negativen und angsteinflößenden Informationsmüll ein und schwimmt gar freiwillig, gleich einem Fisch in einer trüben und schmutzigen Brühe, aus der allerlei Gefahren aus der Dunkelheit auftauchen könnten und dem die Angst vor dem plötzlich aufgerissenen Rachen eines hungrigen Hais, den er nicht kommen sah, wie sein eigener Schatten verfolgt und sein Leben lang plagt. Diese Angst war ein Teil des Komplotts, daran zweifelte Gilberto nicht. Denn diese Furcht machte hörig und manipulierbar. Man hatte dem Konsumenten bewusst verschwiegen, dass es irgendwo oberhalb der trüben Wasserschicht, in der er sein Leben lang tauchte, einen Ort gibt, wo er nicht unter notorischer Furcht und Verfolgung leiden müsste. Ein Ort, an dem er gelassen die Gefahr von weitem kommen sehen könnte, weil das Wasser dort klar ist.
„Ich muss wissen, was alles in der Welt passiert! “, lautet die Alibiformel derjenigen, die unter der Sensationsabhängigkeit leiden.
Jahr ein Jahr aus negativen Meldungen. Solche, welche die ohnehin schon im Menschen bestehende Urangst noch größer werden lassen und von der nicht einmal die Reichen mit viel Geld sich loskaufen können. Eine im Laufe eines Lebens erworbene Angst, die viele Gesichter und verschiedene Namen besitzt, dennoch immer den gleichen Ursprung hat: die verletzte Seele.
Angst vor Krebs und vor anderen Krankheiten, Angst vor Einbrechern, Angst davor, Geld oder einen lieben Menschen zu verlieren, Existenzängste, Neid, Missgunst, Eifersucht, Zwangsverhalten, Depressionen, Hoffnungslosigkeit, Angst vor dem Tod, Angst vor der Hölle usw. Ängste, die die Strafanstalten und Psychiatrien immer voller werden lassen.
Gilberto war sich sicher: Über unsere Gedanken vereinnahmt die