9 Spannungsromane für den Urlaub: Ferien Sammelband 9017. Frank Rehfeld
machen würde. Mindestens einen von ihnen würde er abfertigen. Und zwar total. Dann erst würde es den beiden anderen wahrscheinlich gelingen, ihn zu erledigen.
Wen würde er sich schnappen?
Caligula, die Schlange?
Oder Hondo, die Ratte?
Beides waren nicht ihre richtigen Namen. Aber so wurden sie in ihren Kreisen genannt. In Benitos Kreisen. Und so stand es sogar in ihren Akten.
William „Caligula“ Dexter.
Mit seinem fast völlig kahlen Schädel sah er tatsächlich aus wie eine Klapperschlange. Und der andere glich mit seiner spitzen Nase und dem schmalen, gedrungenen Schädel tatsächlich einer Ratte. Barney „Hondo“ Evans.
Alle drei in der Zelle waren rechtmäßig verurteilte Mörder. Dabei stand Benito von Rang und Einfluss her zweifellos an der Spitze. Er gehörte zu der Mafia-Familie, die von Oklahoma City aus den ganzen Staat kontrollierte.
Ganze Geschäftszweige waren in der Hand der Benitos - legale und illegale Geschäftszweige.
Auf der legalen Seite reichte das von Kaugummi oder Briefmarkenautomaten bis zur Beteiligung oder Allein-Inhaberschaft in Firmenketten der Baubranche oder der nichtstaatlichen Müllabfuhr.
Auf der illegalen Seite hatten die Benitos ihre Finger in allem drin, was dreistellige Gewinnspannen abwarf. Rauschgift. Glücksspiel. Prostitution. Kreditbetrug.
Die Familie Benito war der Mob.
Das organisierte Verbrechen.
„Hi“, sagte Barry und gab sich Mühe, gelassen zu klingen. „Ich heiße Barry Deegan. Sieht so aus, als ob ich bei euch einquartiert wurde.“
„Yeah, sieht so aus“, entgegnete Benito gedehnt. Seine mächtigen Kiefer bewegten ein Kaugummi, als sollte es zermahlen werden.
Die beiden anderen grinsten bösartig.
„Sieht so aus...“, fuhr der Mobster betont langatmig fort, „…als ob du uns mal im Mondschein begegnen kannst.“
„Ach, was?“
Barry grinste zurück. Er schaffte es tatsächlich, den Überlegenen zu spielen. Dabei wusste er verdammt genau, dass ihn so was wie der Teufel ritt. „Ich denke, ihr werdet euch an mich gewöhnen müssen. Oder habe ich mir eure feine Gesellschaft etwa ausgesucht?“
Verblüfft registrierte er, dass Benito schwieg.
Auch die beiden anderen blieben stumm.
Nur das tückische Grinsen wich nicht aus ihren Mundwinkeln.
Und Benitos Augen waren schmal wie eh und je.
Barry stellte fest, dass das Bett oben rechts frei und unbenutzt war. Er stieß sich von der Gittertür ab und schob sich an dem Mobster und seinen beiden Kumpanen vorbei. Er packte die Bettkante, oben, und schwang sich mit einem einzigen Ruck hoch. Er streckte sich lang aus und tat, als nehme er seine Umgebung nicht mehr wahr.
16
Den ganzen Rest des Tages änderte sich nichts an der Situation.
Barry wurde unbehaglich zumute. Niemand sprach mit ihm. Auch beim Abendessen, im großen Speisesaal, wurde er geschnitten. Zwar waren Gespräche während des Essens sowieso untersagt, doch Barry bemerkte sehr wohl, dass die anderen geflüsterte Mitteilungen oder kleine Zettel austauschten. Doch sämtliche Insassen der Außenstelle Borken Bow schienen sich darauf geeinigt zu haben, den Neuen links liegen zu lassen.
Unterdessen war eine halbe Hundertschaft schwerbewaffneter Wächter aufmarschiert, um den Speisesaal unter Kontrolle zu halten.
Der Zwischenfall, den sie alle zu befürchten schienen, blieb aus. Dann, als die Gefangenen in die Zellen zurückgeführt wurden, gab es für Barry das erste positive Zeichen.
Hinter ihm zischelte jemand. Barry verstand es nicht sofort, hörte aber genauer hin.
„Dealerschwein!“
Der Trucker grinste zufrieden. Die Typen hinter ihm waren aus der Nachbarzelle. Also hielten sie ihn tatsächlich für den, der er laut amtlich getürkten Papieren war. Barry Deegan, der Rauschgifthändler, der versucht hatte, in Tulsa einen neuen Handelsring aufzubauen und dabei drei stadtbekannte Crack-Dealer umgebracht hatte.
Die Crackies waren wirklich ermordet worden.
Und Lovell und seine Männer hatten den wirklichen Killer geschnappt. Einen Gangster aus Arkansas, der selbst in der Szene der Eingeweihten von Oklahoma noch nicht bekannt war. Lovell hatte seine Chance sofort erkannt und den echten Killer in der Versenkung verschwinden lassen. Stattdessen den Trumpf Barry Deegan auszuspielen, war kein Problem gewesen.
Und der Trumpf ging an die richtige Adresse.
Denn der Familienclan der Benitos hatte bislang den gesamten Rauschgifthandel in Oklahoma kontrolliert, also auch in Tulsa. Und Aldo Benito fühlte sich selbst in seiner Gefängniszelle immer noch mitverantwortlich. Es hieß, dass die Anwälte, die ihn regelmäßig aufsuchten, lediglich zum Befehlsempfang kamen. Denn der Rest der Familie, Aldos Vater und sein Onkel, widmeten sich in Oklahoma City mehr den angenehmen Seiten des Lebens. Schon frühzeitig, vor vier Jahren, hatte Aldo deshalb die Führung des Clans übernommen. Damals war er 21 gewesen. Der jüngste Mob-Boss in den Vereinigten Staaten. Die Benitos hatten sogar öffentlich damit geprahlt. Amerikanische Mafia-Familien scheuten sich nicht, ihren Stolz in die Welt hinauszuposaunen.
Barry war erleichtert. Zwar redeten Benito, Caligula und Hondo noch immer nicht mit ihm, doch er konnte zumindest davon ausgehen, dass die restliche Abneigung aus dem Zellentrakt und wohl auch aus dem gesamten Gefängnis daher rührte, dass Drogenhändler von Kapitalverbrechern im Allgemeinen verachtet wurden.
Er schwang sich auf das harte Bett.
Die anderen taten das gleiche. Alle dösten dumpf vor sich hin. Weder Fernsehapparat noch Radio war ihnen erlaubt. Nur Bücher und Zeitschriften. Und die waren ihnen zu mühsam. Also ergaben sie sich ihrem Stumpfsinn.
Barry gelang es, sich zu entspannen. Wenn es auch eine Ruhe vor dem Sturm sein mochte, so wollte er diese Ruhe doch nutzen, um Kräfte zu sammeln. Er brauchte Schlaf. Benito würde ihn auf die Probe stellen. Er musste fit sein, wenn es soweit war, wenn die Stunde X kam.
Würde sie wirklich kommen?
Und wenn seine angeblichen Verwandten aufkreuzten, um ihn zu besuchen, dann würde niemand wissen, dass es Captain Lovells Männer vom Büro of Investigation waren. Aber würde er, Barry Deegan, dann die Informationen liefern können, die sie brauchten, um den Aufstand niederzuschlagen, bevor er begann?
Barry verscheuchte die Gedanken, zwang sie in den entferntesten Winkel seines Bewusstseins. Er entspannte seine Muskulatur, so, wie er gelernt hatte, es nach einem langen Tag am Steuer des Mack zu tun. Er hatte keine Angst vor den drei Kerlen in der Zelle, die ihm durch ihr Schweigen ihre ganze Verachtung zeigten. Er wusste, dass es ein Täuschungsmanöver war. Sie glaubten, dass sie umso überraschender über ihn herfallen konnten, je länger sie ihn mit scheinbarer Missachtung straften.
Und selbst wenn er schlief, würden sie ihn nicht austricksen. Er würde rechtzeitig aufwachen; das leiseste verdächtige Geräusch würde ihn wecken. Auch das war ihm als Trucker in Fleisch und Blut übergegangen. Bei Nachtfahrten, in den Schlafpausen auf einsamen Parkplätzen, hatte er sogar das Eichhörnchen gehört, das über die Motorhaube geschlichen war. Oder das Opossum, das sich von der Restwärme des Sechszylinders angezogen gefühlt hatte.
Nein, überlisten konnten sie ihn nicht. Sie konnten höchstens ihre zahlenmäßige Überlegenheit ausspielen.
Barry verdrängte auch diese Gedanken.
Er wurde schläfrig.
Innerhalb von Minuten schlief er ein - trotz der fremden Umgebung und trotz der Gefahr, in der er schwebte. Und irgendwann, während seines tiefen und erholsamen Schlafs,