Killer im August: 11 Thriller. A. F. Morland
zur Tür. Sie trug Weiß statt Schwarz. Ihr Haar hatte die Farbe, die einst Tizian so gern verwendet hatte: Rot. Ziemlich intensiv. Ihre jetzt ärgerlich blickenden Augen waren meergrün mit falschen Wimpern. Ihre wildesten Jahre hatte sie hinter sich. Auf Anhieb schätzte Cantrell, dass sie älter war als Alex, ihr Mann. Kleine Fältchen um die Mundwinkel, die nur von einem scharfen Auge zu entdecken waren, verrieten, dass Mrs. Sossier kein allzu glückliches Leben führte.
Sie starrte ihren Bruder gereizt an. Zwischen ihr und Cameron bestand nicht die geringste Ähnlichkeit. Ein Vorteil für June.
Im Ausschnitt ihres leichten Sommerkleides, das keine Ärmel hatte, wogte ein allmählich schlaff werdender Busen.
„Ich habe dich etwas gefragt, Neal!“, zischte June Sossier ihren Bruder an.
„Ich wollte dir diesen Spannemann vom Hals halten, June“, antwortete Cameron gepresst.
Mrs. Sossier schüttelte wütend den Kopf. „Wann wirst du endlich einmal erwachsen, Neal? Wann wirst du begreifen, dass man Meinungsverschiedenheiten nicht immer nur mit den Fäusten regeln kann? Du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn du dich in meinem Haus wie ein ungezogener Gassenjunge benimmst!“ June putzte ihren Bruder gehörig herunter. Und der fleischige Cameron ließ sich das alles zu Cantrells größtem Erstaunen widerspruchslos gefallen. Das brachte den Anwalt auf die Idee, dass Cameron von Junes Geld lebte.
June Sossier schob ihren störrischen Bruder zur Seite und bat Cantrell ins Haus. Der Anwalt grinste Cameron triumphierend an, Cameron platzte beinahe der Kragen. Noch einmal wies Cantrell sich aus. June, eine Frau, die über allen Dingen zu stehen schien, bot ihm Platz an. Sie schien den Schmerz nicht zu kennen. Andere Ehefrauen hätten rot geweinte Augen gehabt. Sie hätten hilflos, traurig und ratlos gewirkt. Aber June Sossier sah so aus, als wäre überhaupt nichts passiert. Eine ehrliche Frau. Sie zeigte, dass ihr Alex’ Tod kein bisschen naheging. Obwohl Tony Cantrell normalerweise eine solche Ehrlichkeit begrüßte, stieß sie ihn in diesem Fall ab. Immerhin war Alex Sossier für June kein Fremder gewesen. Sie trug seinen Namen. Sie wohnte in seinem prachtvollen Haus. Cantrell verschwendete einen Blick an seine Umgebung. Da war vor allem Neal Cameron. Er kochte auf Sparflamme, sah aus wie ein Vulkan, der jederzeit noch mal zum Ausbruch kommen könnte. Aber abgesehen von ihm gab es nur nette, teure Dinge im Livingroom. Vor dem Fenster stand ein weißer Steinway-Flügel. Noten auf dem Pult. Vermutlich hatte sich June daran erst vor wenigen Minuten erbaut. Eine Witwe! In Weiß! Die Klavier spielt! Sich vergnügt! Außer Cameron gab es nichts Billiges in diesem Raum.
„Möchten Sie einen Drink haben, Mr. Cantrell?“, fragte June mit einem unbekümmerten Lächeln. Alex schien in der Tat weniger für sie gewesen zu sein als der Würstchenmann an der Ecke. Cantrell lehnte den Drink ab. June schnippte mit dem Finger. Cameron gehorchte wie ein Leibeigener. Er brachte der Witwe einen Sherry und zog sich dann wieder auf seinen Beobachtungsposten zurück. Cantrell gefielen die rosigen Backen, zu denen er dem stürmischen Burschen verholfen hatte.
June nippte am Sherry.
Cantrell sagte: „Wie ich hörte, war Sergeant Retcliff schon hier.“
„Offen gestanden, ein ruppiger Mensch!“, sagte June im Beschwerdeton.
Cantrell lächelte. „Ich kenne ihn. Er meint es nicht so.“
„Sie kommen aus demselben Grund hierher, Mr. Cantrell?“
Der Anwalt nickte. „Ich versuche, in Gemeinschaft mit der Polizei, den Mord an Ihrem Mann aufzuklären, Mrs. Sossier.“
June blickte Cantrell über den Rand ihres Glases zweifelnd an. „Meinen Sie, dass Sie das schaffen?“
Cantrell schmunzelte. „Ich bin kein Anfänger, Mrs. Sossier.“
June seufzte. „Na schön. Stellen Sie schon Ihre Fragen, Mr. Cantrell.“ Auf dem Tisch stand eine kleine goldene Zigarettenschatulle. June nahm ein Stäbchen heraus. Cantrell gab ihr Feuer. Sie dankte ihm mit einem sanften Kopfnicken.
„Ein prachtvolles Haus“, sagte Cantrell.
„Oh ja. Es gefällt mir auch.“
„Muss ein kleines Vermögen gekostet haben.“
„Schon möglich“, sagte June.
„Wissen Sie den Preis?“, fragte Cantrell.
„Das war Alex’ Sache.“
„So viel Geld kann man als Chefdekorateur der Pamberton-Warenhäuser nicht verdienen, Mrs. Sossier.“
„Vermutlich nicht.“
„Woher kommt das Geld?“, wollte Cantrell wissen.
June hob die Schultern. „Dafür habe ich mich nie interessiert. Alex’ schaffte es ran. Wie er das machte, war sein Problem.“
Über dem offenen Kamin hing das Hochzeitsbild. Cantrell wies darauf. „Eine Liebesheirat, Mrs. Sossier?“
June lächelte ein wenig bitter. „Natürlich. Was denken Sie denn? Aber die Liebe hielt nicht lange vor. Ich meine, von meiner Seite aus würde es sie immer noch geben. Aber Alex war ein Mann, der sich schnell für etwas begeistern konnte. Und ebenso schnell verlor er dann auch wieder das Interesse an der Sache.“ June nahm einen Schluck vom Sherry. „Danach war ich meinem Mann nur noch ein Klotz am Bein. Er fing an, sich für andere Frauen zu interessieren. Zuerst heimlich, dann immer ungenierter, nicht mehr versteckt ... Ich versuchte nicht, ihn zu halten. Alex konnte man nicht halten. Er war von einem unbändigen Freiheitsdrang beseelt. Den konnte ihm und durfte ihm niemand nehmen.“
„Was wäre geschehen, wenn Sie es versucht hätten?“, fragte Tony Cantrell.
„Es hätte eine Katastrophe gegeben“, erwiderte June.
„In welcher Form?“
„Kann ich nicht sagen. Vermutlich hätte er mich auf die Straße gesetzt.“
Cantrell winkte lächelnd ab. „Moment, Mrs. Sossier. So einfach geht das nun auch wieder nicht. Wir haben Gesetze, die die Rechte der Frau klar umreißen und schützen!“
June Sossier blickte Cantrell mitleidig an. „Man merkt, Sie kannten Alex nicht. Er erreichte immer, was er wollte. Er hatte einen unheimlich harten Dickschädel. Es war klüger von mir, ihn an einer langen Leine laufen zu lassen.“
„Wussten Sie von seiner zweiten Wohnung?“, fragte Cantrell.
June nickte. „Ich glaube, er hat es mir mal gesagt.“
„Warum hat er das Apartment als Andrew Smith gemietet?“, erkundigte sich Cantrell.
June nahm einen Zug von der Zigarette und zuckte mit den Achseln. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Cantrell. Ich kann nur vermuten, dass ...“
„Was?“
„Sehen Sie, Alex war es ziemlich egal, ob ein Mädchen verlobt oder verheiratet war. Wenn sie ihm gefiel, machte er ihr den Hof. Und dann brachte er sie in dieses Apartment. June leerte das Sherryglas. „Er hatte wenigstens so viel Takt, mir seine Nutten nicht ins Haus zu bringen. Der zweite Name war wohl für sein zweites Leben gedacht. Ich nehme an, er wollte das eine vom anderen streng trennen.“
„Sie haben sein Doppelleben also gutgeheißen.“
„Ich habe es natürlich nicht gutgeheißen“, widersprach June. „Aber was hätte ich denn machen sollen? Sehen Sie sich um, Mr. Cantrell. Was sagen Sie dazu?“
„Ein - wie ich bereits bemerkte - herrliches Haus“, erwiderte Cantrell.
June nickte. „Hätte ich auf das alles verzichten sollen? Auf das Haus, auf das prachtvolle Grundstück, auf den Luxus, den ich mir mit Alex’ Geld leisten konnte. Für mich starb Alex Sossier an dem Tag, wo er mich zum ersten Mal betrog. Deshalb kann ich heute auch nicht mehr um ihn trauern. Er lebte ja schon lange nicht mehr, als er umgebracht wurde. Für mich existierte nur noch sein Geld. Das hielt mich hier fest. Alex war nicht kleinlich ... Jetzt halten