Die Bad Religion Story. Jim Ruland
„Ich hatte mir den Arsch abgeprobt“, so Pete. Aber es reichte einfach nicht aus. „Das brach mir das Herz.“
Als Ersatz für die bisherige Rhythmussektion wandte sich Greg an den Bassisten Paul Dedona und an Davy Goldman, einen Jazz-Drummer, mit dem Jay noch vor der Gründung von Bad Religion gelegentlich gespielt hatte. Den Rest von Into the Unknown einzuspielen, nahm nicht übermäßig viel Zeit in Anspruch, da ja insgesamt nur acht Songs auf dem Album vertreten waren. Andererseits waren die Songs aber auch länger als alles, was die Band bis dahin je aufgenommen hatte. Sobald die Platte im Kasten war, ließen Bad Religion sie bei Gold Star mastern. Brett wartete nun darauf, die neue LP ausliefern zu können.
Das ganze Jahr 1983 über spielte die Band Material von Into the Unknown bei ihren Konzerten. Aber eben ohne Synthies. So enthielt die Setlist für ein Konzert im März im Starlite in Long Beach drei der Songs des Albums. Auch ein Flyer für ihren Gig im Vex in East L.A. kündigte Into the Unknown bereits an. Da Davy für diesen Auftritt nicht zur Verfügung stand, trat die Band erneut an Pete heran. Schließlich war er ja nicht gefeuert worden – seine Mitgliedschaft war ja bloß vorübergehend auf Eis gelegt. Pete ließ sich breitschlagen, doch am Abend vor dem Gig geriet er in einer Bar in eine Schlägerei, bei der auch Alkohol im Spiel war. Er zog sich Verletzungen zu, die einen plastischen Eingriff unumgänglich machten. So fand das Konzert letztlich ohne Pete statt.
Im Herbst, während Brett die Veröffentlichung vorbereitete, kehrte Greg nach Wisconsin zurück und wechselte von der California State University in Northridge an die University of Wisconsin. (Milo Aukerman von den Descendents besuchte ebenfalls diese Uni, nachdem er an der University of California in San Diego seinen Abschluss in Biochemie gemacht hatte. Allerdings überschnitt sich seine Studienzeit nicht mit Gregs.)
Zu den Vorzügen, die eine Fortsetzung seines Studiums dort so reizvoll machten, zählte die Gelegenheit, Kurse bei John Talbot Robinson zu besuchen, einem renommierten südafrikanischen Paläontologen, der Anthropologie unterrichtete. Greg besuchte bei ihm ein Taxonomie-Seminar und verfasste eine von Robinson betreute wissenschaftliche Arbeit.
Zuhause in Los Angeles ging es auch ohne Greg mit Bad Religion weiter. Into the Unknown erschien am 30. November 1983. Das Plattencover zierte eine Weltall-Perspektive. „Ich hatte dieses Gemälde bei einer Kunstmesse in Phoenix erstanden“, erinnert sich Brett. „Ich traf dort einen Künstler, der mit Airbrush-Technik auf Glas arbeitete. Das sah richtig cool aus.“ Nach einer Punk-Platte sah das Cover aber nicht aus. Selbst der Titel des Albums, Into the Unknown, signalisierte den neuen Kurs.
Bereits am ersten Tag wurden 10.000 Exemplare der neuen Scheibe ausgeliefert. Um in die Nähe solch einer Auflage zu gelangen, hatte How Could Hell Be Any Worse? fast ein Jahr gebraucht. Als die Veröffentlichung nun anstand, dachte sich Brett: „Wow, die Platte wird richtig einschlagen!“
Das war leider nicht der Fall. Das Album floppte. Es dauerte nicht allzu lange, bis Brett begriff, dass die neue LP seiner Band ein Ladenhüter war. Als nächstes setzten die Retouren ein. Brett scherzte später, das Album wäre auf so wenig Gegenliebe gestoßen, dass „10.000 und eine Platte“ retourniert wurden, nachdem 10.000 Stück ausgeliefert worden waren. Die Mundpropaganda ließ ebenfalls kein gutes Haar am neuen Album. Fans rümpften ob der neuen musikalischen Ausrichtung die Nase und beklagten, dass es zu soft war. Ein Auszug aus einer Rezension in Maximum RocknRoll ist ein gutes Beispiel für die Ablehnung, mit der sich Into the Unknown konfrontiert sah: „Im Grunde genommen kann man sagen, dass das neue Album von Bad Religion total für den Arsch ist – außer ihr steht auf glatt produzierten Weicheier-Rock aus den frühen Siebzigern. Nachdem ich sie mir zu Ende angehört hatte, habe ich die Platte aus dem Fenster geschleudert, hinaus ins Ungewisse …“
Jedem fiel auf, dass Punk sich veränderte – und eingefleischte Fans zögerten nicht, Bands dafür anzuprangern, dass sie der Szene den Rücken kehrten. Into the Unknown fehlte in jeglicher Hinsicht die Intensität der bisherigen Aufnahmen von Bad Religion. Außerdem hatten sie das neuartige Material ohne jegliche Vorwarnung veröffentlicht. Im Gegensatz dazu hatten T.S.O.L., bevor sie Beneath the Shadows herausbrachten, bereits auf einer EP angedeutet, wohin die Reise ginge, und ihren düsteren Weg zumindest angekündigt. Zudem enthielt das neue T.S.O.L.-Album auch ein paar laute, schnelle Songs. Somit konnten sie, wenn sie das wünschten, auch neue Songs bei ihren Konzerten spielen, die sich tadellos in ihr bewährtes Repertoire einfügten. Dasselbe traf auch auf Bad Religion zu. Sie mussten ja nur das Keyboard zuhause lassen.(Es sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Fans von T.S.O.L. keine Loblieder auf deren neues Album anstimmten.)
Wie ging es nun also weiter? Waren Bad Religion ihrer Zeit voraus, oder hatten sie schlichtweg ein schlechtes Album abgeliefert?
Jay ist der Meinung, dass der Erfolg von How Could Hell Be Any Worse? Gregs und Bretts Fähigkeit zur Selbstkritik stark einschränkte. „Ach, was sind wir toll! Alle lieben uns! Wir müssen bloß in ein Mikro furzen und die Leute werden es uns abkaufen.“
Das ist eine schonungslose Einschätzung, doch Brett stimmt damit weitgehend überein. Als Epitaph Records über die Jahre hinweg immer weiter expandierte, offenbarte sich ihm die Möglichkeit, mit vielen jungen Musikern zusammenzuarbeiten, die schon mit ihrem ersten Album Erfolge hatten feiern dürfen und sich nun mit der Frage befassen mussten, wie der nächste Schritt auszusehen hätte. Ihm zufolge fehlt es den meisten jungen Bands an der nötigen Reife, um zu erkennen, dass eine erfolgreiche Platte das Resultat vieler Faktoren ist, die sich alle zur richtigen Zeit ergänzen. Die Band selbst war eben nur ein Faktor, wenn auch ein sehr wichtiger, aber letzten Endes eben auch nur ein Rädchen im Getriebe. „Sie wollen sich ja gar nicht neu erfinden“, so Brett. „Sie begreifen aber auch nicht, dass sie sich von Anfang an gar nicht selbst erfunden haben. Wenn ein paar talentierte Teenager ihre erste Platte aufnehmen und die sich als phänomenal gut herausstellt, dann denken sie oft: Cool, das war ja einfach. Ich schreibe einfach irgendetwas, das mir durch den Kopf geht, und das wird dann automatisch großartig. Sie realisieren nicht, dass ihr Erfolg einem bestimmten Timing geschuldet ist. Es ist verdammt schwer, einen Schritt zurückzutreten und einen prüfenden Blick auf das zu werfen, was man geschaffen hat, um sich die wichtige Frage zu stellen: ‚Wow, wie zum Teufel ist das denn passiert? Und was macht die ganze Sache überhaupt aus?‘“
Eine Erklärung für das Scheitern von Into the Unknown könnte sein, dass Bad Religion nicht begriffen, mit welcher Leidenschaft manche Leute ihrer Musik begegneten. Pete stimmt dieser Sichtweise zu. „Wahrscheinlich waren Greg und Brett ganz aufrichtig der Ansicht, dass die Leute sich denken würden: Na ja, ist schon ein wenig anders für Bad Religion und so, aber trotzdem cool … Ich bezweifle, dass sie auf die Ablehnung dieser Platte seitens der Fans eingestellt waren. Da lag richtig Hass in der Luft.“
Wenn Bad Religion Songs von Into the Unknown bei ihren Shows anstimmten, verzichteten sie auf den Roland Juno-6. Das machte einen großen Unterschied aus. Sobald die Fans aber den Synthesizer auf dem Album hörten, drehten sie durch. Jay, dem die Fanbase der Band durchaus bewusst war, sieht das ebenso. „Ganz ehrlich, das Problem mit Into the Unknown lag zu 50 Prozent am fehlenden Verständnis dafür, dass sich rund um die Band eine Gruppe von Fans gebildet hatte. Wenn man eine Platte veröffentlicht hat, die die Leute mögen, kann man nicht auf einmal ankommen und sagen: ‚Ach, wir haben uns schnell mal neu erfunden und sind jetzt ganz anders.‘ Die Leute werden das nicht schlucken. So funktioniert das nicht. Die anderen 50 Prozent hatten wohl mit Drogen zu tun.“
Auf der High School hatte Brett mit psychedelischen Drogen experimentiert. In Interviews deutete er immer wieder an, dass sein damaliger LSD-Konsum zumindest teilweise für Into the Unknown verantwortlich war. „Ich mochte psychedelische Drogen und als Junge fuhr ich auch auf psychedelische Musik ab. Diese beiden Dinge lassen sich gut miteinander kombinieren. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit.“
Trotzdem entstammte die Inspiration für das Album keiner übernatürlichen Dimension. Vielmehr verwies Brett auf seinen Sänger: „Als mir Greg seinen neuen Song vorspielte, fand ich, dass ich etwas schreiben sollte, das dazu passte. Also brachte ich einen Prog-Song mit. Es ist sicher nicht seine Schuld, dass ich mich darauf eingelassen habe, aber er hat damit angefangen. Ich hätte wohl noch einmal darüber nachdenken und fragen sollen, warum wir das machten. Damals in den Achtzigern hat irgendwann jede Punk-Band