Die Bad Religion Story. Jim Ruland
sich die Atmosphäre unleugbar verändert. Als Brett und Greg begannen, neues Material für die nächste Platte zu schreiben, unterschied sich die Szene mittlerweile von jener, die dereinst die Screamers, die Weirdos und X hervorgebracht hatte. Greg schrieb einen Song und nahm ihn zur nächsten Probe mit. Zu Bretts Überraschung machte die neue Nummer auch vom Roland Juno-6 Gebrauch. Greg hatte den Synthesizer nicht nur für den kompositorischen Prozess verwendet, sondern ihn auch als Instrument vorgesehen.
Brett nahm diesen neuen Ansatz interessiert zur Kenntnis. „Er griff auf den Synthie anders zu, als das T.S.O.L. taten, die mehr so in Richtung Joy Division gingen.“ Bis dahin waren Synthesizer nur an der Peripherie des Punkrocks zum Einsatz gekommen, um ein musikalisches Ambiente von Trostlosigkeit und Verzweiflung zu suggerieren. Doch Gregs Song „It’s Only Over When …“ war unverschämt fröhlich und munter, so ähnlich wie eine Auftaktmelodie zu einem zeitgenössischen Kinofilm aus jenen Tagen.
„Der Roland-Synthie, den ich für die Band gekauft hatte, war für diese neue Rolle vielleicht nicht das ideale Instrument, da er monophon war. Aber Greg brachte eine Prog-Nummer mit. Statt zu jammern, dass das lahmarschig wäre, nahm ich die Herausforderung an und wollte nun auch so einen Song schreiben.“
Zur nächsten Probe steuerte Brett „The Dichotomy“ bei, einen Song, den er als Ergänzung zu Gregs Song sah. „Das war im Grunde genommen meine Version des Pink-Floyd-Songs ,Dogs‘.“ Der Schreibprozess für das nächste Album der Band schritt in ähnlicher Manier voran. Greg und Brett achteten jeweils darauf, Material zu kreieren, das gut zu den musikalischen Ergebnissen des jeweils anderen passte.
Bretts Song „Billy Gnosis“ spielte auf Billy Pilgrim an, den Protagonisten aus Kurt Vonneguts Roman Schlachthof 5. Eine Nummer, die sich hingegen ganz offenkundig vom Rest abhob, war Gregs „Time and Disregard“. Immerhin war der Song in vier Passagen unterteilt und ganze sieben Minuten lang. „Greg liebt Jethro Tull“, erklärt Brett. „Ich bin auch mit Jethro Tull aufgewachsen, aber Greg fährt noch mehr als ich auf sie ab.“
Für Brett war klar, was sie da machten: Definitiv kein Punk-Album, sondern eine Prog-Platte. „Greg und ich haben eine Affinität für Progressive Rock. Was wohl auf niemanden sonst in der Band zutrifft“, gesteht Brett. „Bevor wir Punk für uns entdeckten, hörten wir beide jede Menge Prog-Rock: Yes und Emerson, Lake & Palmer. Oder King Crimson. Das war keine Mainstream-Mucke. In den Siebzigerjahren hörten die anderen Kids Peter Frampton, Led Zeppelin, Black Sabbath oder weiß der Geier was. Prog stellte damals die Avantgarde dar. Das war eben Musik für uns Spinner.“
Trotz ihres unterschiedlichen Alters und ihrer familiären Hintergründe teilten Greg und Brett ihre Leidenschaft für gleich mehrere Prog-Rock-Bands. Zur Entscheidung, sich vollends auf Punk einzulassen, gehörte seinerzeit eigentlich auch, sämtlicher Musik, die man zuvor gemocht hatte, den Rücken zu kehren und sich von den Platten zu trennen, die nun nicht länger als cool galten. Der Schmerz, eine vormals geliebte Platte aufzugeben, war aber immer noch besser als das Drama, das abging, wenn andere Punks sie im Plattenregal vorfanden. Doch wie gegenüber vielen anderen Trends erwiesen sich Bad Religion auch hier als immun.
„Das war vermutlich der Grund dafür, dass ich mich so gut mit Greg verstand“, erinnert sich Jay. „Wir waren eben beide Fans von Musik an sich – und nicht nur von Punkrock. Manchmal kamen andere Jungs in der Schule auf uns zu, um mit uns über Punkrock zu quatschen, und wir nickten bloß mit dem Kopf. Ja, ja … Sobald sie dann wieder abgezogen waren, unterhielten wir uns wieder über ELP.“ Sie sagten sich nicht von der Musik los, die ihnen in der Vergangenheit so viel bedeutet hatte, sondern feierten sie weiterhin ab.
Andererseits traf das auf manche Bandmitglieder eben mehr zu als auf andere. „Ich war in der KISS Army“, so Jay, der kein Fan von Prog war, aber wusste, dass jeder in der Band seine eigenen musikalischen Vorlieben pflegte. Ihn interessierten vor allem die Schnittstellen dieser unterschiedlichen Einflüsse. „Unsere Geschmäcker waren ein wildes Durcheinander. Brett kam mit den Ramones an und Greg stand auf die Dead Boys. Ich fuhr wiederum auf The Jam ab. Wir hatten allesamt unsere eigenen Vorstellungen davon, was wir sein wollten. So verschmolzen wir zu jener Band, zu der wir uns letztendlich entwickelten. Wir sagten nie, dass wir wie Black Flag oder die Germs sein wollten. Das waren nicht wir. Ich fand heraus, dass sowohl Brett als auch ich Elton John besonders schätzten. Die Band, die Greg und ich beide mochten, war Discharge. Und wir standen alle auf Elvis Costello. Vielleicht hörte Greg etwas mehr Jethro Tull als wir anderen, aber wir alle besaßen Platten von Genesis.“
Mochten ihre individuellen Interessen auch vielschichtiger Natur gewesen sein, so lässt sich auch der Einfluss lokaler Bands nicht von der Hand weisen. Der Reiz von Bad Religion lag für ihre Fans darin, dass sie ihnen die perfekte Synthese südkalifornischen Punkrocks boten. Sie kombinierten die Energie und Dynamik der in den Strandgemeinden beheimateten Hardcore-Bands wie Black Flag oder Circle Jerks mit den intelligenten Songtexten von X oder den Germs, den Vorzeige-Bands der Hollywood-Szene. Und sie ergänzten sie durch gefühlvolle Melodien und einen gekonnten Harmonie- und Hintergrundgesang – Stilmittel, die man eher mit Bands aus Orange County wie den Adolescents assoziierte. Bad Religion fügten all diese Vorzüge zu einem für Los Angeles exemplarischen Sound zusammen. Doch mit ihrem aktuellen Material beschritten sie neue Pfade.
Zunächst machte sich Jay noch keine Gedanken darüber, was sie da fabrizierten. „Wir hatten die Songs einstudiert und daran herumgebastelt. Für mich ergaben sie einen Sinn.“
Die Zeiten hatten sich geändert und das traf auch auf Punk zu. Brett liebte David Bowie, der sich offenbar mit jedem neuen Album neu erfand – und Bowies Einfluss machte sich auch im Auftakt-Riff von Bretts Song „Chasing the Wild Goose“ bemerkbar. Greg glaubt, dass diese musikalische Vorliebe auch Bretts Entscheidung beeinflusste, im Rahmen des neuen Albums Prog gegenüber Punk den Vorzug zu geben. „Für Brett war es keine große Sache, seine Identität von Album zu Album über den Haufen zu werfen. Vermutlich dachte Brett eben: Ich bin Künstler, verdammt. So macht man das eben.“
Abgesehen davon hatten T.S.O.L. einen Präzedenzfall geschaffen. Als Bad Religion ausreichend Material für eine Platte gesammelt hatten, wandten sie sich an den in Südkalifornien hochangesehenen Punkrock-Produzenten Thom Wilson, der für die Produktion etlicher Platten aus ihrem musikalischen Umfeld verantwortlich war. So hatte Thom zum Beispiel das Debütalbum der Adolescents und Only Theatre of Pain von Christian Death betreut. Auch hatte er mit T.S.O.L. gearbeitet und deren Alben Dance with Me und Beneath the Shadows produziert. Wilson war ein Experte, der offenbar seinen Finger am erratischen Puls des Punkrocks hatte, was ihn für Brett zu einem idealen Kandidaten für den Job machte. „Seine Platten klangen am besten, also engagierten wir ihn.“
Bad Religion begaben sich in ein von Thom präferiertes Studio namens Perspective Sound in Sun Valley. Die Probleme starteten praktisch in dem Moment, als sie mit der Arbeit am ersten Song begannen. Nachdem sie die einzelnen Spuren zu „It’s Only Over When …“ aufgenommen hatten, nahm Jay an, dass anschließend die nächste Nummer an die Reihe käme. Doch stattdessen wurde stundenlang an Overdubs gebastelt und an Synthie-Parts herumgefrickelt. „Das war mir einfach zu hoch“, so Jay. „Sobald wir im Studio waren, glitt alles zusehends in Absurdität ab. Hier muss noch etwas von diesem Effekt hin, da gehört noch mehr Echo drauf … Was taten wir da bloß? Man konnte gut hören, was für ein Schrott dabei entstand.“
Pete erinnert sich noch gut an Jays Unbehagen: „Das ist schrecklich! Ich hasse diesen Mist! Das hat doch nichts mit Bad Religion zu tun!“
Jay argumentierte, dass sie eine Punk-Band mit einer Fangemeinde wären und ihr Anhang nichts mit dieser neuen Musik würde anfangen können. Brett und Greg entgegneten, dass es eben eher der Punk-Attitüde entspräche, das zu tun, worauf man Bock hat, als das, was gerade angesagt war. Ganz egal, Jay wollte nichts damit zu tun haben. Er verabschiedete sich aus dem Studio und kehrte auch nicht wieder zurück.
Die Band beschloss daraufhin, ohne Jay weiterzumachen, sah sich aber sogleich mit dem nächsten Besetzungswechsel konfrontiert. Brett informierte Pete, dass Thom der Meinung sei, das neue Material würde Petes Fähigkeiten übersteigen. Ein anderer sollte seinen Part übernehmen.
Das war für Pete ein Schlag in die Magengrube. Immerhin hatte er fleißig