Das Mädchen da oben auf der Treppe .... Harry Robson
setzte ich mich wieder mit dem Lexikon auseinander, konnte aber nichts Neues entdecken. Hier fehlte mein Freund Hans, der solche Dinge sicherlich bis ins Detail erklären konnte. Leider war Hans inzwischen bei der Bundesmarine, Wehrdienst leisten. Also musste des Rätsels Lösung warten, bis er wieder Heimaturlaub hatte.
Irgendwann war er wieder im Lande und ich fragte, ob er mir erklären könne, warum der Kitzler bei Romika nicht richtig arbeitete. Er konnte sich vor Lachen kaum noch halten und nachdem er sich wieder beruhigt hatte, erklärte er mir in allen Einzelheiten, was genau zu tun war. Was soll ich sagen: Beim 2. Versuch hielt ich mich genau an seine Anweisungen und der Erfolg war nicht zu übersehen. Auch Romika schien begeistert und von da an machten wir es, so oft es ging.
Ab und an trafen wir uns sonntags in einer Diskothek. Das war damals nicht so ein Glitzertempel, in der die Lightshow einen zum Erblinden brachte, sondern eine ehemalige Kneipe. Hier hatte man den Raum, in dem normalerweise Hochzeiten und Beerdigungen stattfanden, komplett schwarz gestrichen und einige, winzige Lämpchen aufgehängt. An der Stirnseite thronte der Diskjockey, mit zwei Plattenspielern bewaffnet. Die Lautstärke war durchaus vertretbar, aber wenn die Bude voll war, und das ging ganz schnell, herrschte Saunatemperatur, die einem den Schweiß aus den Poren trieb. Da das Publikum aus Teenies bestand, öffnete man schon um 15: 00 h. Ab 19: 00 h war schon das Meiste gelaufen. Die herrschende Dunkelheit verführte natürlich dazu, an den Mädels herumzugrabschen und sich auf diverse Kussabenteuer einzulassen. Musik: Bee Gees, Beatles, Cliff Richard, Stones, Spencer Davies, Kinks usw. Es war einfach richtig schön.
4. Kapitel
Irgendwann im Frühjahr 1969 meinte Hans, dass er gerne im Sommer in Österreich den Urlaub verbringen möchte. Seine Schwester und ihr Freund würden mitfahren und wenn ich auch mitkäme, wäre das eine feine Sache. Ziel war der kleine Ort Ledenitzen am Faaker See. Dort sei er als Kind mit den Eltern gewesen, es sei wunderschön und auch sehr preiswert.
Gerne wollte ich mitfahren, sehr gerne sogar. Ich war noch nie irgendwo im Urlaub gewesen und an mir lag es bestimmt nicht. Die Klippe, die es zu umschiffen galt, war mein Vater. Obwohl ich 19 war, behandelte er mich immer noch wie seinen Leibeigenen. Ich sprach mit meiner Mutter darüber und sie meinte, frage einfach, mal sehen was passiert. Was passieren würde, wusste ich schon vorher. „Was, Du willst in Urlaub fahren? Du bist 19 Jahre alt, hast im Leben noch nichts geleistet, liegst uns nur auf der Tasche und Du willst in Urlaub fahren? In Deinem Alter hatte ich den Krieg und die Kriegsgefangenhaft hinter mich gebracht, geheiratet und gearbeitet. Hatten Deine Mutter und ich jemals Urlaub?“
Es war sinnlos. Einige Zeit später sagte Mutter, „Du kannst fahren, aber sprich bloß nicht mit ihm darüber.“ OK, mir fiel der berühmte Stein vom Herzen. Als Hans das nächste Mal kam, sagte ich zu. Sofort begann das Pläne schmieden. Was uns fehlte, war ein Zelt und Luftmatratzen. Romika hatte ein Zelt, das wusste ich. Bei nächster Gelegenheit fragte ich nach, ob ich das Zelt leihen könne. Naja, das Zelt stand den ganzen Sommer im Garten und die kleineren Geschwister spielten den ganzen Tag im und um das Zelt herum. Eigentlich war es ziemlich ramponiert. Außerdem ließ es sich vorn am Eingang nicht verschließen. Aber ein neues Zelt zu kaufen, war uns finanziell nicht möglich. Damals kosteten die Dinger ein kleines Vermögen. Ich musste also bei Romikas Mutter Überzeugungsarbeit leisten, damit wir das Zelt bekamen. Eine Luftmatratze bekam ich auch und Hans konnte eine bei einem Kameraden leihen.
Der Tag der Abreise rückte näher und als Hans mit dem Auto bei uns vorfuhr, mich und meine Habseligkeiten einzuladen, stockte mir der Atem. Es war der Mercedes SU-D 450, den ich noch vor einem Jahr bei Romikas Eltern gesehen hatte. Die hatten den Wagen gegen ein anderes Modell in Zahlung gegeben und Hans hatte ihn dann in Köln, bei einem anderen Händler, entdeckt und gekauft. Gut, dass Vater nicht zu Hause war. „Sein Mercedes“ als Urlaubsgefährt für ein paar Halbstarke. Ein Tobsuchtsanfall wäre das Mindeste gewesen.
Die Schwester, Heidi, und ihr Freund hatten es sich auf der Rücksitzbank gemütlich gemacht, ich war der Beifahrer. Noch nie hatte ich eine größere Strecke auf diesem Platz zurückgelegt. Waren Familienfahrten angesagt, musste ich immer hinten sitzen. Bei einem FIAT 500 war es dann das Problem, dass ich meine Beine so zusammenfaltete, dass man die Türe schließen konnte.
Natürlich war ich aufgeregt. Es sind rund 1.000 Kilometer bis Kärnten und Hans rechnete mit 14 – 16 Stunden Fahrzeit. Die musste er alleine leisten, denn Heidi und ich besaßen keinen Führerschein. Der Freund hatte seinen Führerschein erst ganz kurz und wollte nicht mit dem dicken Wagen fahren. Am Frankfurter Kreuz: Stau. Wenn ich heute über die A3 Richtung Süden fahre, Frankfurter Kreuz: Stau. Es gibt Dinge, die ändern sich nie.
Alles in Allem kamen wir gut voran, der nächste Knackpunkt war München. Man musste quer durch die Innenstadt fahren, um auf die Autobahn München-Salzburg zu kommen. Eine direkte Verbindung gab es noch nicht. Das war nicht nur nerven-, sondern auch zeitraubend. Aber irgendwie gelang das auch und nun sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Berge, die größer waren als Drachenfels und Ölberg. Viel grösser. Sehr viel grösser. Später sogar mit Schnee obenauf und das im August.
Wir fuhren Richtung Hohe Tauern, wir wollten über die Katschbergverladung nach Kärnten. Den Tauerntunnel gab es damals noch nicht. Die Autos mussten auf einen Eisenbahnanhänger fahren, ähnlich denen wie bei einem Autoreisezug. Allerdings blieben die Reisenden im Auto sitzen. Nachdem die Anhänger voll beladen waren, fuhr der Zug durch den stockdunklen Katschbergtunnel und kam dann im Süden, im strahlenden Sonnenschein, wieder aus dem Berg hinaus. Ich war fasziniert. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, und als wir den Verladebahnhof verlassen hatten, fuhren wir Richtung Spittal/Drau.
Eine so steile Abfahrt hatte ich im Leben noch nicht gesehen. Mir war angst und bange. Das Gefälle betrug bis zu 15 %, und wir verloren fast 1.000 Höhenmeter. Der Wagen, Leergewicht über eine Tonne, knarrte und knackte, ich erwartete jeden Moment, dass die Bremsen versagten und wir mit Karacho, die ganzen Serpentinen abschneidend, den Berg herunterkrachten. Glücklicherweise geschah nichts davon. Hans hatte auch keine Höhenangst und fand das Ganze völlig normal. Er blieb völlig cool, würde man heute sagen. Irgendwann waren wir im Drautal angekommen und Hans fand zielsicher Ledenitzen, unseren Urlaubsort.
5. Kapitel
Wir waren auf einem Bauernhof zu Gast, auf dem Hans Eltern schon etliche Male Urlaub gemacht hatten. Sie hatten jeweils zwei Zimmer gemietet, eins für die Eltern, eins für die Kinder. Es gab eine zentrale Toilette, und man konnte die Küche fürs Frühstück mitbenutzen. Wir bekamen einen Platz auf der Hofwiese, Toilette und Küche durften wir mitbenutzen. Der Preis für den Zeltplatz lag bei 50 Pfennig pro Tag. Wir taten uns schwer mit dem Aufbau des Zeltes. Heringe fehlten, Befestigungsschlaufen waren ausgerissen, es war ein trauriger Anblick. Meine Luftmatratze verlor genauso schnell die Luft, wie ich sie reinpustete. Einen Blasebalg besaßen wir nicht. Keiner von uns hatte je auf einer Luftmatratze geschlafen. In den nächsten Tagen gelang es uns dann, die Matratze zu flicken und einen Blasebalg trieben wir auch auf.
Weniger schön war die Tatsache, dass wir das Zelt nicht verschließen konnten. Mit ein paar Wäscheklammern, so dachte ich, wäre das Problem gelöst, aber es gab Millionen von Insekten, die auf der Wiese lebten, die sich nicht um die Klammern kümmerten. Offensichtich war man auf Insektenseite der Meinung, dass es sich bei uns um ein Geschenk des Bauern handelte, denn wir wurden von Besuchern überschüttet. Ameisen, Ohrwürmer, Mücken, Spinnen und allerlei Getier, das ich nicht kannte, strebte in unser Zelt. Jeden Morgen mussten wir es komplett ausräumen und mit einem Besen alles rauskehren. Eine der ganz wichtigen Tatsachen, die ich auf diesem Urlaub gelernt habe: Fahre nie in Urlaub, wenn du dir kein vernünftiges Bett leisten kannst. Daran habe ich mich mein ganzes Leben lang gehalten.
Aber das war auch der einzige Wermutstropfen. Direkt neben dem Bauernhof lag der Dorfgasthof, der auch Gäste beherbergte. Man konnte dort Kleinigkeiten essen und Bier trinken. Hans war mit den Wirtsleuten gut bekannt. Wenn Bedarf bestand, wurden wir mit Eimern und Schütten ausgestattet. Wir gingen dann in den Wald, Blaubeeren sammeln. Es war unvorstellbar, wieviel Blaubeeren es in unmittelbarer Nähe des Gasthofes gab. Mit der Schütte, eine Art riesiger Kamm, ging man durch die Büsche, die Früchte sammelten sich obenauf und wurden dann in den Eimer geschüttet. Nach etwa einer Stunde waren die zwei Eimer voll. Zum Lohn gab es Blaubeerpfannkuchen und ein Bier.