DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI. Sokei-an Shigetsu Sasaki

DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI - Sokei-an Shigetsu Sasaki


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Zukunft. Ksana umfasst den Kosmos, der keine Zeit oder Raum kennt. Als der Buddha sich SCHWEIGEND vor seine Schüler gesetzt hat, war das der ksana Moment, die tiefste und höchste Manifestation des Buddhismus.

      Der zweite Patriarch Chinas begegnete Bodhidharma und sagte: „Mein Geist ist nicht befreit.“ Bodhidharma sagte zu ihm:

      „Wo ist dein Geist? Zeig ihn mir!“ Ihr werdet dieses Koan im sanzen beobachten; dann werdet ihr begreifen und den Ksana-Mo- ment verstehen.

      „Wo auch immer er ist, ist Klarheit. Sein Licht strahlt in jeder Richtung aus, und alles ist eins mit ihm.“ „Er“ ist ohne Form oder Körper, aber durchdringt in mannigfaltige Richtungen. Das ist der Herr, der sich in zahlreiche Körper wandelt und predigt sein Dharma, wen auch immer er trifft. Dieses Dharma von Lin-chi entspricht nicht den Predigten, die in Kirchen oder Tempeln gehalten werden, sondern es gleicht unserem wirklichen Leben von morgens bis abends.

      Lin-chi macht natürlich Spaß mit denjenigen, die Wahrheit außen suchen und ihr eigenes Bewusstsein vergessen, das der sambhogakaya des unsichtbaren dharmakaya ist. Das ist das Grundprinzip aller Lehren des Buddhismus.

      Die leuchtende Pracht des Buddha ist eins mit dem Licht geworden und die Myriaden fache Existenz ist eins geworden mit ihm. Das ist der wichtige Ksana-Moment; alles wird auf eins reduziert.

      Im Lukas-Evangelium wird gesagt: „Dass sie alle eins sein mögen in DIR.“ Das Eine in uns ist dasselbe. Lin-chi hatte im neunten Jahrhundert dieselbe Vorstellung von der Wahrheit. Alle Weisen sprechen dieselbe Wahrheit, dasselbe Wort, nicht zwei verschiedene.

      „Brüder, heute wissen diejenigen, die stark sind, dass es nichts weiter zu tun gibt. Aber da ihr keinen Glauben an euch habt, lauft ihr ständig hin und her. Da ihr euren Kopf weggeworfen habt, lauft ihr herum und versucht ihn zu finden, unfähig damit aufzuhören. Ihr seid dem Bodhisattva ähnlich, dessen Erleuchtung unmittelbar und vollkommen ist. Durch seine erweckte Kraft zeigt er sich in der Welt der Phänomene und tritt in den Kosmos der Reinheit ein. Jedoch bevorzugt er das Heilige und zeigt Abscheu für das Weltliche. Solch ein Bodhisattva ist unfähig, seine Prädisposition aufzugeben, da er sich Begriffe wie rein und unrein vorstellt. Aber die Ansicht der Zen-Schule ist eine andere. Erleuchtung ist unmittelbar; es gibt keine Zeit, um irgendetwas zu erreichen. Egal was ich sage, alles kommt zu DAS. Heilmittel werden gemäß dem Grad der Krankheit verschrieben. Es gibt keine feste Regel. Wenn ihr versteht, seid ihr ein wahrer Entsagender der Welt und könnt jeden Tag zehntausend Münzen ausgeben.“

      SOKEI-AN SAGT:

      In diesem Abschnitt spricht Lin-chi über die Anbetung des Bodhisattva, eines universalen erleuchteten Wesens, das eine interindividuelle Natur und kein Ego hat. Die Kraft des Bodhisattva ist nicht seine eigene, sondern die Kraft des Universums. Derjenige, der das versteht, wird ein Bodhisattva genannt. In der Zeit Buddhas war das der Titel von allen Laien-Anhängern, von Königen und wohlhabenden Anhängern des Buddha. Die Mönche wurden Arhats genannt. Später wurde der Titel Bodhisattva an die Namen der Hauptgottheiten des Buddhismus hinzugefügt. Diese Bodhisattvas weisen auf hoch vergeistigte Menschen hin, deren Verstehen sehr nah dem des Buddha gewesen ist. Im Mahayana Buddhismus ist er ein hoch angesehener Erleuchteter. Heute, jedoch, werdet ihr Kuan-Yin Bodhisattva (Avalokiteshvara), die Göttin des Mitgefühls, in Kunstgeschäften als Räucherstäb-chen-Köcher-Avalokiteshvara finden. Ich denke, dass Kuan-Yin, der Bodhisattva, der die Schreie der Welt hört, nie vermutet hätte, einmal als Behälter für Räucherstäbchen zu dienen!

      „Brüder, heute wissen diejenigen, die stark sind, dass es nichts weiter zu tun gibt.“ Mit anderen Worten, wenn wir, durch den Vater in uns, die Wahrheit kennen, dann ist das das Ende aller Zweifel und wir werden vom Suchen befreit. Das tägliche Leben ist dann die Pracht des universalen Bewusstseins. Das Gesetz steht darin geschrieben. Wenn wir wissen, dass wir frei sind, können wir alles genau so beobachten, wie es ist — das ist die höchste Form der Erleuchtung.

      „Aber da ihr keinen Glauben an euch habt, lauft ihr ständig hin und her. Da ihr euren Kopf weggeworfen habt, lauft ihr herum und versucht ihn zu finden, unfähig damit aufzuhören.“ Dieses Bewusstsein, obwohl veränderlich und nicht ewig, ist der Sohn des Vaters; es ist direkt aus ihm gekommen und ist verkörpert in der Mutter (Fleisch, Erde) und manifestiert alle Fähigkeiten seiner Natur in diesem Leben von morgens bis abends. Aber wir haben keinen Glauben an diese Wahrheit und suchen deshalb außerhalb. Zu uns zurückzukehren, Gott in uns zu finden, ist leicht, aber außen zu suchen, philosophierend, ist sehr schwierig. Ihr werdet die gleiche Unterweisung beim Heiligen Paulus finden. Der Weg jeder wahren Religion ist derselbe. Wenn ihr euren eigenen Kopf sucht, gibt es kein Ende der Suche.

      Lin-chi hat Humor und eine scharfe Zunge.

      „Ihr seid dem Bodhisattva ähnlich, dessen Erleuchtung unmittelbar und vollkommen ist.“ Dieser Bodhisattva hat es nicht nötig jahrelang zu meditieren. Die Meditation dieses Bodhisattva ist „unmittelbar und vollkommen.“ Zu irgendeiner Zeit, vielleicht während des Kartoffel-Schälens, kommt die Zeit, und er öffnet sein Auge für die Wirklichkeit des Kosmos. Wir können kein Wort sagen, aber er versteht alles sofort.

      „Durch seine erweckte Kraft zeigt er sich in der Welt der Phänomene und tritt in den Kosmos der Reinheit ein.“ Seine Erleuchtung ist auf der ersten Stufe; er ist in den reinen Kosmos geboren. Das ist die Stufe der Existenz, die nicht mit den fünf Sinnen verbunden ist. Mit den philosophischen Begriffen des Westens ist es die noumenale Stufe; die fünf Sinne können es sich nicht vorstellen, aber unsere Weisheit kann es als den Kosmos des Reinen Landes, des Eingangs zu jeder Erleuchtung identifizieren. Das Bewusstsein des Bodhisattva hat sich ins unendliche Weltall ausgebreitet. All diejenigen mit einer religiösen Natur, Philosophen und Wissenschaftler verstehen diese erste Stufe des Erwachens.

      Von dieser ersten Stufe des Erwachens manifestiert er sich nicht mehr durch sein eigenes Bewusstsein, aber erscheint natürlich noch einmal in der phänomenalen Welt, zum Beispiel, als eine Blume oder ein Mensch. Die zweite Stufe der Erleuchtung ist, den Himmel zur Erde zu bringen. Der Bodhisattva kommt vom Reinen Land zu dieser phänomenalen Stufe. Dort findet er die Blinden und die Schlafenden und er schüttelt sie ins Erwachen aus ihrem dunklen Standpunkt und schiebt sie ins Reine Land. Lin-chi sagt, dass es die Aufgabe des Bodhisattva ist, alle schlafenden Seelen in dieses „Weltall der Reinheit“ zu bringen, die noumenale Stufe, damit sie die Stufe des echten Erwachens des Lebens sehen können.

      Lin-chi spricht über sein eigenes Verstehen als Zen-Lehrer.

      „Jedoch bevorzugt er das Heilige und zeigt Abscheu für das Weltliche.“ Warum das eine bevorzugen und das andere verabscheuen? Das ist nicht echte Erleuchtung. Wenn ein himmlischer König auf der Erde erscheint, dann ist die Erde der Himmel. Alles existiert in eurem Verstehen, nicht außen. Sobald ihr in reine noumenale Erleuchtung eingeht, ist alles Noumenon, auch wenn ihr euch in Phänomenen manifestiert. Da aber Phänomene die Essenz von Noumenon sind, ist alles Wirklichkeit, dieselbe Substanz in Phänomenen und Noumenon.

      „Solch ein Bodhisattva ist unfähig, seine Prädisposition aufzugeben, da er sich Begriffe wie rein und unrein vorstellt.“ Jeder hat diese Neigungen, die Tendenz zur Bevorzugung des Heiligen über das Weltliche. Aber Lin-chi nimmt den Standpunkt ein, dass solch eine Vorstellung nicht wahr ist. Diese Vorstellung stellt religiöse Lehrer vor eine harte Aufgabe, dieses Verstehen zu öffnen und zu reinem Licht zu führen. Wenn jemand vergleichbare Vorstellungen von rein und unrein hat, kann sein Leben nicht glücklich sein, weil sein Geist nicht völlig frei ist von der Anhaftung an die Vorstellungen der Menschen. Das ist Lin-chi‘s Verständnis.

      „Aber die Ansicht der Zen-Schule ist eine andere. Erleuchtung ist unmittelbar; es gibt keine Zeit, um irgendetwas zu erreichen. Egal was ich sage, alles kommt zu DAS [ES].“ Unsere Schule wird heute Zen genannt; Chinesisch wird es Chan genannt, das ursprünglich aus dem Sanskrit Wort dhyana entstanden ist. Dhyana bedeutet Meditation [Versenkung], Ruhe und totale Vernichtung zu üben. Es bedeutet auch, eins zu werden mit anderen. Wenn ein Mann an seine Frau denkt, die in einem entfernten Land ist und sich konzentriert,


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