DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI. Sokei-an Shigetsu Sasaki
Denken. Grabt bis zum Boden des Geistes, macht ihn bodenlos. Klettert auf die höchste Geistesstufe und macht sie grenzenlos. Dann werdet ihr wissen, was wahres Dharma ist.
Wenn ihr wisst, was wahrer Dharma ist, werdet ihr wissen, wie man zwischen dem Wahren und dem Falschen unterscheidet. Jede wahre Religion gibt euch eine Art Idee von Reinheit: „Sei so rein wie der Schnee“, „sei so rein wie ein Kristall.“ Einige denken, dass alles Wünschen profan ist, dass zu rauchen, zu trinken und am Geschlecht zu hängen unrein ist; enthaltsam zu sein, unverheiratet zu bleiben, wird euch reinmachen. Aber Reinheit ist in eurem Geist. Ihr müsst alle Stufen der Reinheit kennen. Als ein empfindungsfähiges Wesen seid ihr rein. Fallt nicht in einen Aberglauben. Jeder Übende muss diese Stufen der Praxis durchlaufen. Wenn ihr japanische Fechtkunst übt, beginnt ihr mit Strohpuppen, nicht mit einem echten Gegner. So übt der buddhistische Schüler, wie man die Anweisungen des Lehrers mit einem reinen Geist ausführt. Hilfsmittel selbst sind nicht Buddhismus, sie tragen euch aber zu wahrem Verstehen durch die vielen Phasen der Übung.
In Japan ziehen einige buddhistische Äbte goldene Roben an und sitzen auf zinnoberroten Stühlen, essen kein Fleisch, sprechen kein menschliches Wort, denken keinen menschlichen Wunsch, gerade wie lebende Buddhas, aber das ist nicht wahrer Dharma. Sein Geist ist dann gleich dem eines Laien, wenn sein Auge sich nicht für die Wirklichkeit geöffnet hat. Gefangen in den fünf Sinnen sieht er nie den Kern dieser Existenz. Es gibt einige, die nicht einmal einen Brief schreiben können. Wirklich, sie sollten zur Grundschule zurückgehen, aber sie sitzen dort (im Kloster)! Wir nennen sie nicht Roshi; sie sind Sklaven der Unwissenheit, Leichenbestatter, die nur noch Trauergottesdienste durchführen — doch sie nennen sich Buddhisten. Denkt ihr, dass ein Mann, nur weil er Roshi [DJW: oder Osho] eines großen Tempels ist, ein großer Mönch sein muss?
Dem ist nicht so! Es gibt heute nicht viele echte Lehrer, Lehrer, die das Auge haben, um das Dharma von Shakyamuni Buddha zu sehen. Es ist nicht leicht, einen echten Lehrer zu treffen.
„Heute kennen Übende das Dharma nicht. Sie sind Ziegen ähnlich, die sofort alles in ihre Münder nehmen, was mit ihrer Nase in Berührung kommt. Sie unterscheiden nicht zwischen Herr und Sklave, Gastgeber und Gast.“ Gemäß der Theorie von Lin-chi gibt es vier Positionen, von Subjekt und Objekt, oder, wie hier, Herr und Sklave: Der Herr ist auf dem Platz des Herrn; der Abhängige ist in der Position des Abhängigen; der Abhängige ist auf dem Platz des Herrn und so weiter. Ein Herr in der Position eines Herrn ist einem klugen König auf dem Thron gleich, oder im chinesischen Idiom: „Einem Drachen in der Sonne ähnlich.“
Aber Natur verbirgt alles Wertvolle; einen Diamanten zu finden, ist nicht so leicht. Die Natur erzeugt nicht viele wertvolle Dinge — es gibt nicht viele Weise in der Welt. Wie viele kennen wir? Buddha? Christus? Manchmal dauert es Hunderte von Jahren, um Leute von der wahren Stellung eines großen Lehrers zu überzeugen. Sogar in der Zeit von Buddha haben sogar zwei Drittel der Bürger von Shravasti seine Stimme nicht gehört, obwohl er seinen Dharma öffentlich verkündete. In dieser großen Stadt Indiens hörten nur einige zu und wie viele haben wirklich gehört? Heute kennt fast die ganze Menschheit den Namen Buddhas.
„Da ihre Motive, in den Weg einzutreten, falsch sind, gehen sie zu lärmenden Orten.“ Man kann auf einem Berggipfel leben und dort ruhig und gelassen sein, aber wenn derjenige in die Stadt geht und beleidigt wird, hat er in einem kurzen Augenblick seine Ruhe verloren. Wie kann er andere retten? Solche Leute werden nicht aus der Liebe an der Menschheit Buddhisten, sondern sie werden durch niedrige Motive angetrieben. Sie hassen die Welt. Weil alles gegen ihre Wünsche ist, finden sie, dass alles unrein ist; obwohl nichts unrein ist, nur ihre eigenen Ansichten. Alles wird aus der reinen Erde, dem Feuer und so weiter, gemacht. Solch eine Person begibt sich in einen Tempel und schneidet alle Beziehungen mit anderen Menschen ab. Er nennt sich heilig, aber sein Geist ist nicht heilig, so lange er die Welt hasst. Er kann sich in einer Felsenhöhle, einem Tempel oder Berg verbergen, aber er kann sich nicht vor seinem eigenen unreinen Geist verbergen. Der Buddha ist in den Weg durch die Liebe zu denjenigen in der Dunkelheit eingetreten. Um sie zu erleuchten und zu unterrichten, sie zu befreien, hat er ihnen gezeigt, wie sein Geist rein erklingt.
„Wir können sie nicht Welt-Entsager nennen. Nein! Sie sind die Weltlichen.“ Lin-chi hat gedacht, dass man nicht ein echter Einsiedler ist, wenn man nur auf die physische Welt verzichtet hat — als ob jemand heute auf die U-Bahn und das Radio und alle Restaurants verzichten sollte — aber hat nicht auf die Welt in seinem Geist verzichtet. Dem echten Einsiedler sind der Berggipfel und der Boden des Meeres gerade ein und dasselbe Ding; das ganze Weltall ist aus einer Substanz gemacht. Wenn man wirklich in diesem wesentlichen Verstehen gefestigt ist, dann ist alles auf Eines reduziert. Aber derjenige, der vor den Geräuschen der Stadt davonläuft, hat Angst vor Begierden. Indem er sie unterdrückt, begibt er sich auf das Niveau des Begehrens. Wenn sein Begehren rein ist, dann ist jeder beliebige Ort, an dem er sich befindet rein und heilig. Obwohl sich die Natur seines Geistes von morgens bis abends ändern kann, ändert er sich selbst nicht. Er versteht die Änderungen in seinem Körper und seine Schwingungen in Übereinstimmung mit anderen. Was auch immer er mit dem Auge sieht, befleckt sein Auge nicht; und genauso ist das mit seinem Bewusstsein.
„Derjenige, der behauptet, auf die Welt verzichtet zu haben, muss sich darin üben, die Kenntnis des wahren Dharma zu erlangen, zwischen Buddha und Mara, wahr und falsch, heilig und weltlich unterscheidend. Wenn er das tun kann, verdient er es, ein Welt-Entsager genannt zu werden. Aber wenn er unfähig ist, zwischen Buddha und Mara zu unterscheiden, ist er derjenige, der bloß auf ein weltliches Haus für ein anderes verzichtet hat. Nennt ihn einen Karma-Schöpfer, nicht einen Welt-Entsager.“
SOKEI-AN SAGT:
Als Buddhisten müssen wir wissen, was „die große Sache Buddhas“ genannt wird. Dass dieser Shakyamuni Buddha auf das Hausleben verzichtet hat und Einsiedler wurde, ist nicht ein wichtiger Punkt für uns. Für einen Buddhisten bedeutet, auf die Welt zu verzichten, unsere ursprüngliche Natur zu kennen. Das ist das Fundament unseres Lebens.
Wenn ihr zum sanzen (dokusan) kommt, wird euer Zen-Lehrer euch die Frage geben: „Vor Vater und Mutter, wer warst du?“ Wenn ihr denkt und philosophiert, um auf diese Frage zu antworten, ist eure Antwort ein Konzept, das ihr zeigt, um die Wirklichkeit und ihre ursprüngliche Natur zu identifizieren, aber eure Antwort ist nicht ursprüngliche Natur. Deshalb müsst ihr, um eure ursprüngliche Natur zu finden, eine vom Philosophieren völlig verschiedene Methode anwenden. Ursprüngliche Natur ist nicht ein Konzept. Es ist, um ein anderes Wort zu verwenden, Buddha-Natur.
Diese Frage war die große Sache, für die der Buddha auf die Welt verzichtet hat. Wart ihr dort oder nicht? Wenn nicht, könntet ihr nicht hier sein. Wenn ihr hier seid, müsst ihr dort gewesen sein. Wenn ihr denkt, dass ihr dort wart, wer wart ihr? Im Buddhismus sind unsere Übungen von Anfang bis zum Ende, von der Zeit, in dem wir den Tempel als Novize betreten, bis zu der Zeit wo wir ihn als Lehrer verlassen — was auch immer wir lernen — auf diesen Punkt reduziert: Unsere Buddha-Natur zu kennen.
Ein Mönch in China fragte Chao-Chou Ts'ung-shen [778-896], einen berühmten Zen-Roshi: „Besitzt ein Hund Buddha Natur?“ Chao-Chou antwortete: „MU!“ — NEIN! [DJW: NICHTS]
Wenn ihr versucht, dies durch Vernunft zu verstehen, werdet ihr es nie verstehen. Es ist nur ein Wort, aber es schließt eine Million Bedeutungen ein, die alle auf dieses Wort, „MU!“ reduziert sind!
In einer Legende hat Brahma den ersten Bija-Ton, den Diamant-Ton AH geschaffen. Auf Sanskrit bedeutet „AH“ „Niemand“, „negativ“, „Nein“. Die Priester der Mantra Sekte sagen, dass AH in jedem Wort ist, dass es dort war, als Gott dort war und dass es immer dort sein wird. Ein Zen-Lehrer könnte euch fragen: „Was war vor AH?“ Alle diese Fragen weisen auf die ursprüngliche Natur hin. Buddhismus ist nicht schwer zu lernen. Es ist so einfach wie eure Hand, klar wie der Ton einer Silberglocke.
Zurzeit Buddhas war eine der großen Fragen die Ursache des Weltalls. Heute wissen wir, dass die Erde rund ist und wie das Sonnensystem entstanden ist. Aber in der Zeit Buddhas wurde geglaubt, dass die Erde flach sei, dass die Sterne die Geister von