DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI. Sokei-an Shigetsu Sasaki

DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI - Sokei-an Shigetsu Sasaki


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dass es nichts in ihnen gibt; zwei Spiegel spiegeln sich gegenseitig. Bewusstsein hat kein Objekt, das es wahrnehmen könnte, also kann es nicht bewiesen werden. Es gibt kein Ego, kein Selbst. Alles ist Eins und dieses Eine ist das ganze Universum, ein Universum so klein, wie eine kleine Nadelspitze, aber diese Nadelspitze ist genauso groß wie das ganze Universum und ein Augenblick ist wie eine Million Jahre. Wenn ihr dies erreicht, begreift ihr, dass in eurem Körper alle Gebote geschrieben stehen.

      Eines dieser Gebote lautet nicht zu töten. Die Existenz des Universums zu leugnen – das ist Mord. Gott zu leugnen ist auch töten. In diesem Stadium können wir Bewusstsein wahrnehmen, aber wir können es nicht beweisen. Es ist Leerheit, shunyata. Da jedoch aus dieser Leerheit das ganze Universum neu angelegt wird (in der Zukunft zerstört das kalpa Feuer alles und reduziert es auf das ewige Atom), ist dies nicht Nichts. Aber da es unmöglich ist, sich dies vorzustellen, nennen wir es Nichts. Wenn wir es begreifen könnten, wäre es nicht wirkliches Nichts. Wenn ihr glaubt, dass all dies Existenz ist – ich existiere, du existierst – dann stiehlst du. Denn in der dritten Stufe gehört dir wirklich nichts, nichts gehört mir. Das Universum ist ein Körper. In diesem shunyata, dieser Leerheit, könnt ihr nichts in eurer Hand behalten, an nichts anhängen. Noch könnt ihr irgendetwas hergeben. Solches Verhalten ist, wie Ehebruch begehen. Diese Leerheit ist nicht leer. Es ist wirklich die Bewahrung der Energie; alles ist in ihm. Wenn ihr versucht, sie (die Leerheit) mit dem Namen Buddha oder Gott zu benennen, lügt ihr.

      Ein weiteres Gebot verbietet den Genuss von Rauschmitteln. Unwissenheit ist berauschend. Wenn ihr glaubt, dass es etwas namens Ego gibt, widerspricht dies der wahren Natur des Universums, dann seid ihr in Finsternis, avidya. In diesem Zustand (Rausch) wisst ihr nicht, wo ihr seid, und könnt nicht hell oder Dunkel, Ost oder West unterscheiden. Dies ist die erste Finsternis, aus der wir alle kamen, der Schoß unserer Mütter.

      All diese Gebote sind wirklich in eurem unverzichtbaren Körper geschrieben. Wenn ihr die Stufe erreicht, in der ihr wunschlos, namenlos seid, werdet ihr die Essenz aller Gebote in euch finden. Willst du nach Osten gehen? Du kannst. Wenn du in irgendeine Verstrickung eingehen möchtest, kannst du dies ohne Gefahr tun. Diejenigen Lehrer, die euch Ablenkung bereiten wollen, sind Lehrer, die Unwahrheiten unterrichten, die den wirklichen Körper der Gebote nicht kennen und sie erkennen nicht den wirklichen Körper des Universums. Ihre Augen sind nicht erleuchtet. Sie haben aus einem Buch gelernt, nicht aus eigener Erfahrung, sodass Sie nicht wissen, wovon sie reden.

      Wenn ihr die Stufe der Wirklichkeit erreicht, kommt ihr wieder zurück zu Form, Farbe und so weiter. Dann werdet ihr weitergehen. Vorher war es mit Begierden; jetzt ist es die große universelle Liebe, die euch einlädt. Ihr gebt und nehmt, ohne Wunsch, da das Ego ausgelöscht ist. Die Realisierung des universellen Geistes manifestiert sich in eurem alltäglichen Tun, da der Geist auf der Erde vom Himmel kommt. Die Fähigkeit, Nahrung zu verdauen, ist nicht meine eigene. Noch ist die Kraft zu sehen und zu hören mein. Nichts geschieht aus egoistischen Begierden. In diesem Stadium gibt es nichts weiter zu suchen, nichts mehr zu beweisen. Die unzähligen Gesetze des Universums sind in euch selbst geschrieben. Ihr werdet des Respekts würdig und ein echter Aristokrat sein. Ihr braucht aber kein Schloss. Wenn wir ins Nirvana eintreten, sind wir wirklich der Kostbare. Es ist nicht notwendig irgendetwas zu tun, irgendein Hilfsmittel zu benutzen, um sich groß zu machen. Ihr erkennt, dass dieser Körper das ewige Atom ist, das von Anfang an existierte und dass euer Bewusstsein das ewige Bewusstsein des Universums ist. Warum sollte man dann unecht, unnatürlich sein? Seid natürlich und alles wird sich natürlich zeigen.

      Buch? Lehrer? Kirche? Ihr findet dort nichts außer Bruchstücke der Erkenntnis. Wahrheit ist kein Mosaik, sondern wie eine Quelle. Sie entspringt aus eurem eigenen Herzen. Das ist, wo man es sucht.

       „Wenn du nur Buddha suchst, entpuppt sich ‚Buddha‘ als bloßer Name. Eher sollte man wissen, wer sucht! Alle Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und der zehn Richtungen erscheinen nur, um den Dharma zu suchen.

       Die Übenden von heute sollten im Streben nach Wissen nur dasselbe Dharma suchen. Wenn ihr es erreicht, kommt euer Streben an sein Ende. Aber wenn ihr es nicht erreicht habt, werdet ihr weiterhin in den fünf Bereichen wandern.“

      SOKEI-AN SAGT:

      Zuvor, hat Lin-chi von denen gesprochen, die versuchen Fragmente des Wissens von anderen zu sammeln. Egal, wie viele Informationen so jemand sammelt, er wird nie wahren Buddhismus verstehen, denn den wahren Buddhismus findet man nur in sich selbst. Alles ist in euch selbst geschrieben, nicht außerhalb. Ihr könnt nicht zu wahrem Verständnis durch Verschlingen von Büchern kommen.

      Wenn Lin-chi von der Suche nach Buddha spricht, ist es nicht der Buddha, der als Prinz Siddhartha in Indien Mensch geworden ist. Dieser Buddha ist der Wissende. Alle Elemente im Universum haben die Kraft auf dieses Etwas zu reagieren, das wir das „Andere“ nennen. Die Funktion des „Wissens“ ist in IHM, in sich selbst, dem ganzen Universum. Das ist Buddha. Er ist in keiner Form oder menschlichen Figur, sondern ist die Kraft des Wissens in jedem Atom; ES ist allgegenwärtig. Das ist Buddha.

      Ihr jedoch, verschlingt Bücher und versucht es zu begreifen. Was ihr euch vorstellt, ist ein Name, nicht Buddha selbst. Es ist nicht erforderlich, darauf zu achten, an was gedacht wird. Achtet auf den, der sucht: Dieser ist der Wissende. Aber ihr seid wie eine Großmutter, die ihr Enkelkind fragt wo ihre Brille zu finden ist – „Oh, ich habe sie auf!“ Obwohl ihr außen für mehr als tausend Jahre sucht, werdet ihr Buddha nie treffen, der in euch ist.

      Kennt ihr den, der sucht? Dieser geheimnisvolle Buddha tritt in vielen unterschiedlichen Zustände auf und kennt das Gefühl und den Geschmack von all diesen. Wir sprechen von vielen Zuständen des Bewusstseins, aber in Wirklichkeit ist es nur eine Seele, die in diesen Zuständen als Schauspieler in verschiedenen Kleidungsstücken auftritt. Ein Buddha in euch tritt in all den verschiedenen Zuständen auf. Ihr kratzt eure Haut und Buddha ist in eurer Haut, dieses Gefühl spürend. Gut, böse – es gibt für die Empfindungen keine verschiedenen Tierarten in eurem Körper, nur einen Buddha.

      Aber Lin-chi sagt: „Die Übenden von heute sollten im Streben nach Wissen nur dasselbe Dharma suchen. Wenn ihr es erreicht, kommt euer Streben an sein Ende. Aber wenn ihr es nicht erreicht habt, werdet ihr weiterhin in den fünf Bereichen wandern.“ Die fünf Wege des verblendeten Menschen sind die sechs Daseinsbereiche auf der Stufe der Begierden – Hölle, hungrige Geister, Tier, Mensch und Engel.

       „Was ist Dharma? Dharma ist das Gesetz eures Geistes. Das Gesetz in eurem Geist hat keine äußere Form, jedoch erstreckt es sich in mannigfaltige Richtungen, seine Kraft vor euren Augen manifestierend. Derjenige, der keinen Glauben daran hat, jagt Wörtern und Namen nach, über den Dharma von Buddha mutmaßend. Er und das Dharma sind so weit auseinander wie Himmel und Erde.

       Brüder, was ist das Gesetz, über das ich rede? Ich spreche über das Gesetz, das der Boden eures Geistes ist, durch das der Geist in das Weltliche und das Heilige, das Reine und das Profane, das Wahre und das Vergängliche eingeht.“

      SOKEI-AN SAGT:

      Wenig war eigentlich von Shakyamuni Buddhas Dharma oder Lehre zu dieser Zeit aufgezeichnet, da in den Tagen, in denen er sprach, das was er sagte, durch seine Schüler Anderen aus dem Gedächtnis, nur von den Lippen zu den Ohren, weitergegeben wurde. Zweihundert Jahre später, befahl Maharadscha Ashoka den Mönchen einige der wichtigsten Lehren des Buddha in Stein zu meißeln und in Kupfer zu gravieren. Diese Gravuren kann man immer noch in Indien sehen. Es dauerte jedoch hunderte von Jahren, bis die Lehren des Buddhas in Pali niedergeschrieben wurden, sie kamen also nicht direkt von Buddhas goldenen Lippen. Die Lehren, die wir haben, stammen aus den Sutras erzählt von den Jüngern des Buddha oder durch die Schüler und seiner Jünger.

      Jetzt fragt Lin-chi: „Was ist Dharma?“ und antwortet dann: „Dharma ist das Gesetz eures Geistes.“ Das Sanskrit-Wort Dharma ist schwierig ins Englisch (und Deutsche) zu übersetzen. Europäische Gelehrte haben es oft als


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