Führerin. Gregor Eisenhauer

Führerin - Gregor Eisenhauer


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so zu tun, als würde sie sich über dieses Arrangement ohne ihr Zutun aufregen. Dieses Interview war ihre Mega-Chance, wieder ins Geschäft zurückzukommen, und zwar mit großem Tusch, das war beiden klar.

      «Gut.» Sie nickte.

      «Hier, ein Dossier über ihn, lesen Sie es sich in Ruhe durch. Allzu viel konnten wir nicht herausfinden. Er ist Vollwaise.» Für den Familienmenschen Kehrtmann schien damit über Wilson alles gesagt, was sich sagen ließ.

      «Nun zu den Menschen, vor denen Sie sich hüten sollten!»

      Martinas fragender Blick ließ ihn dozierend die Hände verschränken. Seine Lieblingsgeste, vermutete sie, weil er so seine manikürten Hände ins rechte Licht rücken konnte. Was für eine Welt, dachte sie unwillkürlich, in der Männer mehr Geld für Maniküre ausgaben als Frauen.

      «Klimts Feinde sind auch Ihre Feinde. Denn jede publizistische Schützenhilfe, sei sie negativ oder positiv, wird unweigerlich als Waffenbrüderschaft ausgelegt werden. Also seien Sie auf der Hut. Vor allem vor den beiden!»

      Kehrtmann spulte die Aufnahme zurück. Martina goss sich Wasser ein, ihr Mund war plötzlich sehr trocken und die Luft erschien ihr viel zu stickig, obwohl die meisten Kollegen inzwischen den Raum verlassen hatten.

      «Hier, unser Glück will es, dass wir beide recht gut gemeinsam im Bild haben!»

      Martina musterte die vorderen Reihen.

      «Ist das nicht ein alter Bekannter?» Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber auf ein Gesicht in der zweiten Reihe.

      «Ludwig Müller von Hausen!»

      «Ah ja, unser dünnbeiniger Bluter!» Martina rief die Daten ab. Ihr Gedächtnis funktionierte noch immer perfekt, trotz Chemo und Strahlentherapie, wie sie sich selbst widerwillig zugestand.

      «Kunstmäzen und Führer der Humanistischen Liga, Anhänger Stefan Georges, Liebhaber von Knabenchören, Familienvater aus Diskretionsgründen, nicht wegzudenken vom alten Westberliner Parkett, einer der ganz großen Strippenzieher in town …»

      Kehrtmann nickte anerkennend.

      «Das war eine Ihrer letzten wirklich guten Reportagen. Schade, dass sie ein anderer zu Ende schreiben musste …»

      Martina war sich gar nicht sicher, ob sie die Arbeit damals gern zu Ende gebracht hätte. Es ging um die Mafia-Investionen in Ostdeutschland, um die Milliardensummen, die dort sauber gewaschen worden waren, dank der Hilfe skrupelloser Juristen, die als Aufkäufer und Mittelsmänner agierten. Ludwig Müller von Hausen war einer der erfolgreichsten, mit Sicherheit der skrupelloseste. In Gestalt der «D’Annunzio-Gesellschaft», deren Vorsitzender er war, hatte er eine wunderbare Tarnorganisation, um seine italienischen Kontakte zu pflegen, die bis in höchste Regierungskreise reichten – noch dazu konnte er seine Transaktionen so sehr elegant steuerlich absetzen. Es ging das Gerücht, dass sich allerdings nie hatte erhärten lassen, dass er Mitglied der P1-Loge war, jener erzkonservativen Geheimorganisation, die Italien seit Jahrzehnten regierte und die dank der Globalisierung der Drogen- und Devisengeschäfte nun auch europaweit ihre dreckigen Geschäfte machen konnte.

      «Ein aalglatter Hund, mit dem ich mich ungern noch einmal anlegen würde. Die zwei, drei Gespräche in seinem literarischen Salon waren unangenehm genug. Er droht nicht, er macht Komplimente. Das heißt, er hat es nicht nötig zu drohen.»

      «So sehe ich es auch», stimmte Kehrtmann zu, «ein sehr gefährlicher Gegner für Klimt – so es denn zur Konfrontation kommt. Immerhin wissen wir, dass von Hausen Klimt seit geraumer Zeit observieren lässt, warum auch immer! Na ja, Sie werden es herausfinden! Hier, in diesem Fall wird es mit Sicherheit zur Konfrontation kommen. Erkennen Sie die Frau?»

      Er tippte in geradezu freudiger Erregung auf den Bildschirm, was bei ihm selten vorkam.

      Das Gesicht einer etwa fünfzigjährigen, sehr gepflegten Dame, die ihr bekannt vorkam, ohne dass sie sie im Moment verorten konnte. «Ich kenne das Gesicht …!»

      «Sicher, kennen Sie diese Frau, die halbe Welt kennt sie mittlerweile, zumindest in Amerika!»

      Kehrtmann schwang sich einmal im Stuhl herum und wandte dann Martina sein ein wenig hektisch geflecktes Gesicht zu. Er glaubte, an einer wirklich großen Story dran zu sein, das sah man ihm an. Einen Augenblick lang wirkte er geradezu sympathisch in seiner jugendlichen Aufgeregtheit.

      «Lady Dolorosa, so ihr Spitzname in den einschlägigen Kreisen, oder auch Lady Macbeth, wie ihre politischen Gegner sie betiteln. Mit richtigem Namen: Ayn Goldhouse, Führerin der New-Virgins-Bewegung, eine wiedergeborene Ayn Rand, wie ihre Anhänger glauben, eine seltsame Mischung aus Sandra Palin und Lady Gaga, wie ich finde. Wieder andere nennen sie die Heidi Klum der Esoterik, allerdings ist sie ungleich geschäftstüchtiger. Als Hohepriesterin der ‹Neuen Unschuld› führt sie eine unüberschaubare Schar von extrem fanatischen Anhängerinnen an. Ihr Erkennungszeichen ist übrigens eine eintätowierte schwarze Rose, unauffällig, aber aussagekräftig: Schönheit bereitet Schmerzen, sie ist der Dorn im Herzen der Ungläubigen!»

      «Klingt ein wenig bizarr», wandte Martina geistesabwesend ein, was Kehrtmann allerdings nicht zu bemerken schien.

      «Das ist bizarr! Aber mich dürfen Sie nicht für den ganz normalen Wahnsinn dieser Welt verantwortlich machen … Hier ein kleines Dossier, in dem alles Wichtige über sie zusammengefasst ist. Die Informationslage ist ziemlich gut. Sie hasst Klimt wie die Pest, verfolgt ihn seit Jahren. Eine hochintelligente Stalkerin. Für sie verkörpert er seit seinem Gottesleugnerbuch schlichtweg alles, was sie verabscheut. Antiquierte Männlichkeit, intellektuelle Arroganz und – ein unsportliches Äußeres. In ihren Augen ist er der Antichrist – und gehört liquidiert, das sagt sie ganz offen.»

      Martina hatte ihn reden lassen, obwohl sie vieles von dem, was er erzählte, schon wusste. Aber sie war fasziniert von den Augen dieser Frau, die in unverwandtem Hass Richtung Klimt starrten. Was ihr bislang allerdings noch nie aufgefallen war: Da war noch etwas anderes im Blick, etwas das sie selbst sehr gut kannte, weil sie schlechte Erfahrungen damit gemacht hatte.

      Dieser Kick Grausamkeit. Eiseskälte. Sie kannte dieses satanische Glänzen von ihren Ex-Kokser-Freunden. Eine seelische Unberührbarkeit, die viele mit Macht verwechseln, mit der Macht jener, die von sich glauben, durch die Hölle gegangen zu sein und nun auf alle Ewigkeit zu den Unberührbaren zu gehören.

      «Hatte sie je mit Drogen zu tun?», fragte Martina Kehrtmann. Der nickte.

      «Ein guter Riecher! Das hab ich Ihnen ja immer attestiert! Als sie sechzehn war, brach sie mit einer Gouvernante zu einer Europareise auf. In Paris büxte sie aus, es dauerte Monate, bis die Eltern sie wiederfanden, gefangen im totalen Drogendelirium. Sie kam in ein amerikanisches Sanatorium – und im Jahr darauf war sie geläutert. Sie selbst hat übrigens nie einen Hehl daraus gemacht, die Junkie-Ausreißer-Story ist Bestandteil der Legende ihrer wundersamen Erweckung …»

      «Was hat sie mit Klimt vor?»

      «Sie will ihn nicht sofort liquidieren, sie will ihn langsam grillen. Noch lieber als seinen Tod hätte sie es wohl, würde er der Lächerlichkeit preisgegeben. Ihre Kunst, fürchte ich, besteht darin, beides möglich zu machen!»

      «Wird ein schwieriger Job mit den beiden!»

      «Der Job ist gefährlich, ohne Frage!»

      «Aber ich hab ja ohnehin nichts mehr zu verlieren bei meiner reduzierten Lebenserwartung, denken Sie sich wohl.»

      «Unsinn! Kokettieren Sie nicht immer mit Ihrer Krankheit, das hilft Ihnen nicht weiter und überfordert nur Ihre Freunde, zu denen Sie mich im Übrigen zählen dürfen, auch wenn Ihnen das ein wenig peinlich sein mag.» Er lächelte maliziös. «Wie auch immer: Sehen Sie es positiv! Das ist die Story Ihres Lebens. So oder so!»

      Donnerstag, 8. März, 6 Uhr

       Martinas Wohnung

      Drei Männer umstanden ihr Bett. Sie schloss die Augen. Horchte auf ihren Atem. Horchte auf den Atem der Männer. Aber sie hörte nur


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