Norderende. Tim Herden

Norderende - Tim Herden


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einzige Berührungspunkt. Sein Lager und mein Laden liegen beide im Hafen von Vitte. Wir sind uns nicht oft begegnet. Er organisierte alles von seinem Haus aus oder war auf den Baustellen zu finden.“

      „Warum haben Sie sich getrennt?“

      „Auseinandergelebt.“ Ulrike Stein drehte sich wieder um und setzte sich auf das breite Fensterbrett. Sie verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch. Es schien, als würde sie frieren. „Man glaubt, ein Kapitel eigentlich schon abgeschlossen zu haben. Und dann ist alles plötzlich wieder da. Und dann sitzt man hier, weiß, dass Peter tot ist und denkt die ganze Zeit, dass diese Veranda sein Lieblingsplatz war.“

      „Kein Streit ums Geld? Ums Haus? Sind Sie eigentlich geschieden?“

      „Scheidung war nie ein Thema. Das hätte alles nur komplizierter gemacht. Wir besitzen gemeinsam mehrere Häuser hier auf Hiddensee und wollten nicht um Grund und Boden streiten und damit Anwälte und Notare reich machen. Peter hat sich um alles gekümmert, die Vermietung der Ferienwohnungen mit allem Drum und Dran: Saubermachen, Rasen mähen und mir meinen Anteil an den Einkünften überwiesen. Das lief alles ohne Probleme. Peter war großzügig. Für alle Fälle habe ich noch mein eigenes Einkommen durch die Praxis. Die läuft in der Saison sehr gut, und so langsam macht sich auch unter den Hiddenseer Frauen die Erkenntnis breit, dass man ab und zu mal was für Körper, Haut und Seele tun sollte.“

      „Haben Sie wieder eine neue Beziehung?“

      „Spielt das eine Rolle?“

      „Möglich. Bei Mord spielt immer alles eine Rolle.“

      „Hier und da ein Abenteuer. Immer hübsch diskret. Nicht auf der Insel.“

      „Und Ihr Mann?“

      „Wie gesagt, wir sind seit zwei Jahren nicht nur getrennte Wege, sondern, soweit es die Insel erlaubt, auch unsere eigenen Wege gegangen. Man hörte dies und das ...“

      „Was hörte man denn?“

      „Kleine Affären. Ich glaube aber nichts Ernstes.“

      „Mit wem?“

      Schulterzucken.

      „Ich denke, Hiddensee ist ein Dorf?“, hakte Rieder nach.

      „Sie kannten auch nicht meinen Mann“, entgegnete Ulrike Stein schmunzelnd. „Ein bisschen müssen Sie auch selbst Ihre Arbeit machen, Herr Rieder.“

      „Hätte es Sie gestört, wenn es was Ernstes gegeben hätte?“ „Vielleicht. Aber wir sind auch alle erwachsen. Oder?“ Ulrike Stein stand auf. „Noch einen Tee?“

      Rieder spürte, dass sie das Thema nicht vertiefen wollte. „Nein, danke.“

      „Aber ich will noch einen. Die Ostsee ist im Oktober doch schon ganz schön kalt.“ Sie ging mit ihrer Tasse in die Küche. Rieder folgte ihr. Sie spülte ihre Tasse aus und schaltete den Wasserkocher ein.

      „Wer könnte ein Motiv haben, Ihren Mann zu töten?“, fragte der Polizist.

      Schulterzucken. „Keine Ahnung. Hier auf der Insel war mein Mann beliebt. Alle ließen von ihm bauen, was zu bauen war. Dass es da mal Streit gibt, ist im Baugeschäft normal. Die Besitzer wollen Paläste für wenig Geld, und die Bauleute müssen oft lange auf ihr Geld warten.“ Sie tat einen Teebeutel in die Tasse und goss heißes Wasser drüber.

      „Er saß seit fast zwanzig Jahren im Gemeinderat und wurde auch immer wiedergewählt. Das spricht doch eher dafür, dass er recht beliebt war. Aber darüber sollten Sie besser mit Durk reden.“

      Sie gingen wieder zurück in die Veranda und setzten sich in die beiden Sessel. „Und außerhalb von Hiddensee?“

      „Mit dem Verkauf eines Teils der Firma und dem Umzug nach Hiddensee hat er keine Aufträge außerhalb der Insel mehr angenommen. Für die letzten zwei Jahre kann ich Ihnen darüber allerdings nichts sagen. Hier gibt’s immer weniger neu zu bauen, um damit richtig viel Geld zu verdienen. Meist sind es Sanierungen oder Umbauten. Das bringt nicht so viel.“

      „Was heißt: Umzug der Firma nach Hiddensee?“

      Ulrike Stein stand und nahm ein Bild von der Wand. Sie gab es Rieder. „Peter und sein Vater.“

      Das war nicht zu übersehen. Die Gesichtszüge und die Haltung glichen sich fast wie bei Zwillingen, wenn nicht der Altersunterschied gewesen wäre.

      „Früher, als Peters Vater noch lebte, hatte die Firma ‚Inselbau‘ ihren Sitz auf Rügen. In Bergen“, erzählte Ulrike Stein weiter. „Willy Stein, mein Schwiegervater, starb kurz vor der Wende. Als Peter dann allein für die Firma verantwortlich war, wurde ihm irgendwann die Fahrerei zu viel. Jeden Morgen von der Insel rüber nach Rügen und abends wieder zurück, und das bei jedem Wetter. Hier gab es damals auch genug für ihn zu tun. Schon vor der Wende hatte er hier einen Bauhof betrieben. Das reichte ihm. Den Rest der Firma, die ‚Inselbau Rügen‘ hat er verkauft und hier aus dem Bauhof die ‚Inselbau Hiddensee‘ gemacht. Außerdem hat er dann auch noch so eine Art Deal gemacht mit den Baufirmen auf Rügen. Die bauen hier nicht und er dort nicht.“

      „Und das funktioniert?“

      „Ich denke schon.“

      „Haben Sie eigentlich Kinder? Gibt es noch weitere Angehörige?“

      Der Blick der Frau erstarrte. Sie nahm das Bild zurück und hängte es wieder an. „Kinder haben wir nicht. Peter hatte noch einen Bruder. Der lebt aber in Bremen.“

      Als sie sich wieder umdrehte, wirkte sie angespannt. „Haben Sie noch mehr Fragen oder reicht das erstmal?“

      Rieder stand auf. „Nein. Ich habe einen ersten Eindruck bekommen. Sie müssen Ihren Mann noch identifizieren. Wir haben ihn in die Leichenhalle an der Inselkirche gebracht. Ich werde natürlich auch Ihre Bekannten befragen müssen. Sie werden das verstehen?“

      „Muss das sein?“

      „Es geht um Ihr Alibi.“

      „Das meine ich nicht“, erklärte sie. „Die Identifizierung. Möselbeck kennt ihn doch länger als ich. Seit Kindertagen. Und Durk auch. Die drei waren wie Pech und Schwefel seit der Schulzeit.“

       VII

      Uwe Gebauer stand am Anleger der alten Reparaturwerft. Er blickte ungeduldig auf die Uhr. Es ging schon auf neun. Der Motor des Wasserschutzpolizeibootes tuckerte leise vor sich hin. Wenn Gebauer etwas hasste, dann Unpünktlichkeit. Acht Uhr dreißig wollten sie ablegen, um nach Hiddensee zu fahren. Doch bisher hatte sich keiner von der Spurensicherung sehen lassen, weder Behm noch seine Kollegen.

      Da bog der graue VW-Bus in die Dänholmstraße ein. Mit Lichthupe antwortete der Fahrer auf Gebauers Winken.

      Behm stieg aus. Statt einer Begrüßung raunzte er Gebauer an: „Einen besseren Liegeplatz gab’s nicht? Wir sind fast eine halbe Stunde rumgekurvt, um dich zu finden.“

      Gebauer gab sich schuldbewusst. „Stimmt schon, liegt etwas ab. Aber hier macht es nicht so viel Aufsehen, wenn ihr euer Zeug an Bord bringt. In der Seestraße, am Hiddensee-Kai, gibt’s doch gleich einen Auflauf. Alle fragen, warum, wieso? Ihr habt doch sicher ein Navi im Auto?“

      „In der alten Krücke?“ Behm zeigte auf den VW, der schon einige Jahre auf dem Buckel hatte: „Vergiss es.“ Dann wandte er sich an seine beiden Kollegen. „Bringt die Kisten aufs Boot.“

      „Aber bitte vorsichtig!“, rief Gebauer dazwischen.

      „Nun mach dir mal nicht ins Hemd. Uns reicht schon so die Plackerei mit den Kisten. Immer für die Insulaner alles verpacken ...“

      Einsätze auf Hiddensee waren bei den Stralsunder Beamten nicht beliebt. Alles musste für Tatortuntersuchungen auf der Insel aus den Einsatzfahrzeugen der Spurensicherung in Kisten umgepackt und dann auf Gebauers Boot geschleppt werden. Dort mussten sie es dann unter seiner Anleitung rutschfest in dem engen Innenraum


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