Norderende. Tim Herden

Norderende - Tim Herden


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      „Hallo, Holm, habe ich. Aber leider haben wir hier einen Toten, wahrscheinlich erschlagen.“

      „Oh nein, sag, dass das nicht wahr ist!“, fluchte Behm. „Wie sollen wir denn jetzt auf die Insel kommen? Wo liegt er überhaupt?“

      „Am Zeltkino.“

      „Kann ihn nicht bei irgendeinem Thriller der Schlag getroffen haben. Die Herbsturlauber sind doch meist etwas älter. Eine Autojagd, eine Schießerei ... da kann doch so was schon mal passieren, wenn die Pumpe nicht mehr so richtig will.“

      „Ich muss dich enttäuschen. Kein natürlicher Tod. Möselbeck ist sich sicher.“

      „Tja, dann ... ich versuche, die Truppe zusammenzukriegen und zu euch rüberzukommen. Ich melde mich wieder.“ Damit legte Behm auf.

      „Kommen sie aus Stralsund?“, fragte Damp. Rieder zuckte mit den Schultern.

      Kaum zehn Minuten später rief Behm an.

      „Nichts zu machen. Wir kommen nicht rüber. Ich habe mit der Wasserschutzpolizei telefoniert. Es ist dicker Nebel angesagt. Da wollen die nicht los. Ist ihnen zu gefährlich.“

      „Und was machen wir jetzt?“, fragte Rieder.

      „Den Tatort sichern.“

      „Toller Vorschlag. Wir haben hier nicht mal Scheinwerfer. Es gibt eine Taschenlampe. Und die gehört dem Arzt.“

      „Na, wenn ihr da im Dunkeln schon hübsch rumgetrampelt seid, ist doch sowieso jede Spur zerlatscht. Da kann ich mir die Bescherung auch noch morgen früh ansehen.“

      „Sollen wir den Toten hier so lange liegenlassen? Vielleicht noch Totenwache halten?“

      Rieder hörte Behm durchs Telefon auflachen.

      „Haste Angst, er könnte zur Geisterstunde wieder lebendig werden. Sag dir immer: ‚Wer tot ist, beißt nicht.’ Nee, im Ernst. Den könnt ihr wegtragen und morgen nach Greifswald schicken, nachdem ich ihn mir angesehen habe. Es gibt doch auf Hiddensee sicher irgendeinen Ort, wo die Toten bis zur Beerdigung aufgebahrt werden.“

      „In der kleinen Kapelle auf dem Inselfriedhof in Kloster. Ich rufe den Pfarrer an.“

      „Wir sehen uns dann morgen früh, wenn der Nebel weg ist. Ich melde mich, wenn wir von Stralsund losmachen.“

      Behm beendete das Gespräch.

      „Nebel? Ist doch gar kein Nebel“, meinte Damp.

      Auch Rieder wunderte sich. Als er in Richtung Ostsee schaute, waren im hellen Mondschein nirgendwo Nebelschwaden zu entdecken. Aber was sollte er machen?

      „Wenigstens müssen wir hier nicht die ganze Nacht hocken und den Toten bewachen“, meinte Damp erleichtert.

      „Die Sanitäter haben einen Bodybag an Bord“, meldete sich der Inselarzt. „Ich kümmere mich darum, dass sie die Leiche verpacken.“ Damit verschwand er in der Dunkelheit und mit ihm das letzte Fünkchen Licht.

      „Brauchen Sie mich noch?“, fragte Dora Ekkehard. Sie hatte die ganze Zeit schweigend abseits gestanden. Rieder hatte sie beinahe vergessen.

      „Ja, schon. Wir müssen noch Ihre Aussage aufnehmen.“

      „Muss das noch heute sein?“

      „Ich denke schon.“

      „Und die beiden jungen Leute?“

      „Welche jungen Leute?“

      „Die Stein gefunden haben. Die sitzen noch bei mir im Vorführraum.“

      „Ach so.“ Rieder und Damp waren von dieser neuen Information überrascht. „Warum haben Sie bisher nicht gesagt, dass nicht Sie, sondern jemand anderes die Leiche gefunden hat?“

      „Ich hab’s vergessen. Die Hektik ...“

      „Die müssen wir auch noch vernehmen.“ Rieder überlegte kurz. „Gehen Sie doch schon vor. Wir regeln hier die Sache mit dem Toten und sind dann gleich bei Ihnen.“ Dora Ekkehard verschwand.

      Die Polizisten waren allein. In der Dunkelheit konnten sie einander kaum erkennen.

      „Blöde Sache“, meinte Rieder.

      „Das kann man wohl sagen.“ Damp war ungewöhnlich versöhnlich gestimmt. Rieder fühlte sich unwohl in seiner Haut. Er spürte so etwas wie Platzangst. Er wollte sich nicht bewegen, um nicht auf den Toten zu treten, und gleichzeitig stand ihm Damps massiger Körper als unheimliche, dunkle Wand gegenüber.

      „Was wissen Sie denn über diesen Peter Stein?“

      „Nicht viel. Er baut alles auf der Insel, sitzt im Gemeinderat und ist ein dicker Kumpel von Durk. Und da sollten wir jetzt mal ran.“

      „Ja, ja, aber Stein hat doch sicher auch eine Frau. Sollte die nicht vor dem Bürgermeister erfahren, dass ihr Mann tot ist?“

      „Aber ich will keinen Ärger ...“

      „Mit Durk sind Sie doch mittlerweile fast auf Du und Du?“ Bis vor kurzem war das Verhältnis zwischen dem Bürgermeister und Damp sehr gespannt gewesen. Damps Ordnungsliebe ging Bürgermeister Durk gewaltig auf die Nerven. Er hatte mehr als einmal dem Stralsunder Polizeichef in den Ohren gelegen, man möge Damp bitte wieder dahin versetzen, woher er, wenn auch schon vor über zehn Jahren, gekommen war – nach Rügen. Hiddenseer und Rüganer können sich von Natur aus nicht leiden.

      Doch dann hatte Damp bei der Aufklärung des Mordes am Inselpfarrer sein Leben aufs Spiel gesetzt. Damit war er in der Achtung von Durk überraschend weit gestiegen. Er hatte Damps Beförderung zum Revierleiter sofort akzeptiert.

      Damp traute dem Frieden nicht. Deshalb war es ihm jetzt auch wichtiger, Durk zu informieren, als sich mit dem Leid der Ehefrau zu beschäftigen. Dass sie nun Witwe war, daran ließ sich in seinen Augen sowieso nichts mehr ändern.

      „Dann rufen Sie doch Durk an ...“, gab Rieder nach.

      Kaum hatte er das ausgesprochen, hörte er in der Dunkelheit das Klicken der Tasten eines Mobiltelefons und dazu das hektische, aufgeregte Atmen seines Kollegen. Er selbst griff auch nach seinem Handy und suchte in dem beleuchteten Display nach der Nummer von Inselpfarrer Laube.

      Wenig später hatten die beiden Sanitäter die Leiche in einem Plastiksack verstaut. Möselbeck ging mit seiner Taschenlampe vorweg, um den beiden Männern den Weg zu leuchten. Allerdings war es trotzdem schwierig, den Toten durch das unwegsame Gelände zu tragen. Ab und zu mussten die beiden Männer den Sack absetzen. Rieder beobachtete das Geschehen mit Missvergnügen. Er konnte jetzt schon Behm poltern hören, wie man hier noch eine vernünftige Spur sichern solle. Aber anders war es wohl nicht zu machen.

      Als sie auf den Weg zum Zeltkino einbogen, warteten immer noch viele, um einen Blick auf den Toten zu erhaschen. Die schöne digitale Welt konnte auch zum Fluch werden.

      Damp spannte gelbes Band mit der Aufschrift „Polizeieinsatz! Betreten verboten!“ zwischen den Bäumen, um den Pfad zum Tatort und den Weg zum Strand abzusperren. Allerdings würde das wohl kaum die neugierigen Touristen aufhalten, war sich Rieder sicher.

      Nachdem die Leiche im Krankenwagen verladen war, fuhren die Sanitäter in Richtung Kloster ab. Die Menschen auf dem Platz machten für das Auto eine Gasse frei und bildeten eine Art Spalier. Unter den Wartenden entdeckte Rieder auch Malte Fittkau. Er nahm sogar seine Schiffermütze ab, als der Krankenwagen vorbeifuhr. Pfarrer Laube hatte versprochen, die Leiche in der kleinen Kapelle neben der Inselkirche aufzubahren und dort auch eine Leichenschau durch die Spurensicherung zuzulassen.

      Kaum war das Auto verschwunden, kam Bürgermeister Durk durch die Gasse. Der sonst so dynamische Mann wirkte bedrückt. Wie von einer schweren Last niedergehalten, schleppte er sich zum Zeltkino. Er streckte den beiden Polizisten die Hand entgegen und drückte sie mit leichtem Nachdruck, als hätten sie einen gemeinsamen Angehörigen oder Freund verloren.

      Rieders Verhältnis zum Bürgermeister war alles andere als


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