Norderende. Tim Herden

Norderende - Tim Herden


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würde. Doch dann hatte er die geplagten Gesichter von Birte und Markus im Rückspiegel gesehen.

      Damp trommelte aufs Lenkrad und sah auf die Uhr: „Gleich eins.“

      „Was ist mit der Frau von Herrn Stein?“

      Damp seufzte. „Muss das noch sein? Hat das nicht Zeit bis morgen?“

      „Nein! Das muss sein. Wo wohnen die Steins?“

      Statt einer Antwort wendete Damp den Wagen. Seine Wut ließ er beim Rangieren am Gaspedal und an der Bremse aus. Rieder wurde kräftig durchgeschüttelt. Die Hinfahrt über den Sandweg zum Haus der Freunde von Birte Seige und Markus Kasan war im Vergleich zur Rückfahrt eine Spazierfahrt gewesen. Jetzt gab Damp alles. Er bretterte durch die Kuhlen. Rieder hielt sich krampfhaft am Griff am Wagendach fest und streckte die Füße gegen den Boden. „Geht es auch etwas langsamer?“

      Damp reagierte nicht. Über den Deichweg ging es in hohem Tempo bis zum Wiesenweg. Dort bogen sie links ab und fuhren durch das nächtliche Vitte, am Hafen und am Rathaus vorbei nach Kloster. Kein Mensch war mehr unterwegs. Alle Fenster waren dunkel. Die Insel wirkte wie ausgestorben.

      Am Platz vor dem Inselmuseum in Kloster bremste Damp scharf. „Da wären wir.“

      Rieder konnte nichts erkennen. Da war nur das Inselmuseum. Da würde Stein wohl nicht wohnen. Der alte Anker. Rechts der kleine Kiosk. „Was soll das?“, fragte Rieder irritiert.

      Damp zeigte nach vorn: „Da ist es.“

      Rieder schaute genauer hin. Und wirklich, da war ein Gartentor. Es war kaum zu erkennen unter dem Geäst der Sträucher und Bäume.

      Die Polizisten stiegen aus. Keine Klingel. Rieder rüttelte am Tor. Verschlossen.

      „Tja, das war’s dann wohl“, stellte Damp fest und war schon drauf und dran, zum Polizeiwagen zurückzugehen. Doch so leicht gab Rieder nicht auf: „Und wenn der Frau auch etwas passiert ist?“

      Damp blieb stehen. Er schob mit einem Ruck seine Hände in die Hosentaschen. „Und danach hat, wer auch immer, das Gartentor wieder mit dem Schlüssel verschlossen.“ Kurzes Kopfschütteln. „Vergessen Sie es! Die Stein ist einfach nicht da. Basta. Wollen Sie die Frau jetzt noch auf der Insel suchen?“

      Rieder und Damp starrten sich wie bei einem Duell an. Dann drehte sich Rieder um und begann über das Tor zu klettern. Das war gar nicht so leicht, denn es war mannshoch, und zwischen den Latten waren die Abstände zu klein, um sich mit den Füßen auf den Querriegeln abzustützen. Irgendwie schaffte er es aber, rüberzukommen. Schließlich musste er es seinem Kollegen zu beweisen.

      Rieder tastete sich vorsichtig voran. Irgendwo musste es hier eine Treppe geben. Da wurde es plötzlich hell. Damp hatte den Scheinwerfer auf dem Dach des Polizeiautos eingeschaltet. Im Lichtkegel wurden Stufen sichtbar. Sie waren verrottet und wenig vertrauenerweckend. ‚Nicht gerade ein Aushängeschild für einen Bauunternehmer‘, dachte sich Rieder. Vorsichtig stieg er nach oben. Plötzlich blendete ihn auch von vorn ein Licht. „Frau Stein?“, rief Rieder. „Ich bin von der Polizei!“ Es kam keine Antwort. Wahrscheinlich hatte er nur einen Bewegungsmelder passiert und damit eine Lampe eingeschaltet. Trotzdem blieb er vorsichtig. Vor ihm lag eine grüne Wiese. Darauf stand ein mächtiges Reetdach-Haus mit einem runden verglasten Vorbau. Alle Fenster waren dunkel. Rieder schlich bis zum Haus. Als er sich umdrehte, war er überwältigt von dem Ausblick. Unter ihm glitzerte im Mondschein die Ostsee. Keine Spur von Nebel. Das Anschlagen der Wellen war zu hören. In der Ferne funkten die Leuchttürme der Insel Møn und vom Darß. Auf dem Meer blinkten die Leuchtbojen der Fahrrinne.

      Rieder schaute durch die Erkerfenster in das Haus hinein. Er erkannte einen Couchtisch und zwei Sessel. Der Polizist erinnerte sich, dieses Haus immer auf der Fahrt nach Kloster hoch oben über dem Inselmuseum thronen zu sehen. Von unten hatte es wie ein Rundbau ausgesehen, doch nun entpuppte es sich als langgestrecktes Gebäude mit einer runden, verglasten Veranda. Der Lack blätterte ab. Auf der Rückseite befand sich die Haustür. Ohne Klingel. Rieder klopfte. Erst vorsichtig. Dann lauter. Aber niemand meldete sich. Er drückte die Klinke nach unten, aber die Tür gab nicht nach. Meistens versteckten die Hiddenseer ihre Hausschlüssel unter dem Abtreter oder in einem Blumenkasten in der Nähe. Rieder hob die Bastmatte vor der Tür hoch. Fehlanzeige. Und Blumenkübel waren nicht zu entdecken. Auf der Wiese hinter dem Haus stand eine Wäschespinne. Doch weder Badesachen noch Handtücher waren dort aufgehängt. Alles wirkte wie verlassen. Rieder ging zurück.

      Damp lehnte mit verschränkten Armen an der Motorhaube, als sich Rieder wieder über das Tor quälte. Neben ihm stand Malte Fittkau mit seinem Fahrrad.

      „Was machst du hier?“, fragte Rieder seinen Nachbarn.

      „Kleiner Nachtspaziergang.“

      ‚Wer’s glaubt‘, sagte sich Rieder. ‚Die pure Neugier hat dich hergetrieben.‘ Zu Damp gewandt, bemerkte er: „Niemand da.“

      Damp nickte. „Kein Wunder. Man erzählt sich, dass es bei den Steins schon länger kriselt.“

      „Wer sagt das?“

      „Der Inselfunk.“ Dabei wanderten Damps Pupillen in Richtung Fittkau. Früher waren Fittkau und Damp wie Feuer und Wasser gewesen. Waren sie aufeinandergetroffen, hatte es immer gleich Streit gegeben. Doch seit die beiden gemeinsam Jagd auf den Mörder des Inselpfarrers gemacht und dabei ihr Leben riskiert hatten, herrschte Waffenstillstand. Kein Frieden. Rieder war das nicht so recht. Bisher war Fittkau für ihn im Kleinkrieg mit seinem Kollegen Damp immer ein Verbündeter gewesen. Nun verhielt er sich neutral. Und dass die beiden nun geradezu harmonisch hier herumstanden, machte Rieder ärgerlich.

      „Wir sehen uns morgen früh im Revier. Nacht.“

      Damit marschierte er an Damp und Fittkau vorbei in Richtung Vitte.

      „Wollen Sie nicht mitfahren?“, rief ihm sein Kollege noch hinterher.

      Rieder antwortete nicht. Er war kurz davor, zu explodieren.

      Wenig später fuhr Damp an ihm vorbei. Malte sah er später mit seinem Fahrrad über den Deich nach Vitte zurückfahren.

      Obwohl er straff gelaufen war, hatte sich der Ärger über Damp und Malte Fittkau nicht verflüchtigt. Er schloss die Tür seines Häuschens im Wiesenweg auf, trat ein und knallte sie dann zu. In der kleinen Küche riss er den Kühlschrank auf, holte ein Bier raus. Die Schublade des Besteckkastens bekam auch noch seinen Frust zu spüren, als er den Flaschenöffner herausholte. Es öffnete die Flasche, da hörte er eine verschlafene Stimme von oben, aus dem kleinen Schlafzimmer unter dem Dach.

      „Stefan?“ Er sah Charlottes nackte Beine die Holztreppe herunterlaufen. Sie trug ein äußerst kurzes Nachthemd. Der Anblick versöhnte Rieder und ließ seine Laune deutlich steigen. Sie küsste ihn. Strähnen ihrer blonden Haare fielen ihm ins Gesicht. Er umfasste sie an der Hüfte und zog sie zu sich heran.

      „Wie spät ist es?“, hauchte sie verschlafen in sein Ohr.

      „Zu früh. Gerade zwei.“ Er stellte das Bier auf den Küchentisch und begann sie sanft zu streicheln.

      „Was ist eigentlich los?“

      „Ein Herr Stein lag tot in der Nähe vom Zeltkino.“

      Charlotte schaute erschrocken zu ihm hoch: „Was? Peter Stein?“

      Rieder nickte. Er hatte aber keine Lust, mehr zu erzählen. „Lass uns hoch gehen. Eine nette Überraschung, dass du hier bist.“

      Eigentlich kam Charlotte nur am Montag zu ihm nach Vitte, wenn in ihrem Strandcafé in Neuendorf Ruhetag war. Bei ihm gab es keine Dusche, nur ein großes Waschbecken. Und die Toilette war von außen zu begehen. So fuhr Rieder meist zu Charlotte nach Neuendorf. Sie hätte es gern gesehen, wenn er ganz zu ihr gezogen wäre. Bisher hatte er aber dieses Thema konsequent gemieden. Seine Ausrede: Es könnten nicht beide Polizisten in Neuendorf wohnen. Allerdings wollte er das Häuschen auch nicht aufgeben. Er mochte die niedrigen Räume, den Duft der alten Möbel, den Blick aus dem Fenster auf die Heckenrosen und nicht zuletzt seine Selbständigkeit. Trat er durch die Tür, fühlte er


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