Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz

Der Muttermörder mit dem Schal - Bernd Kaufholz


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trinkt sie jedoch nicht ganz aus. Ihr Zorn ist inzwischen abgeflaut. Sie versucht, mit Paul ins Gespräch zu kommen. Doch auch als sie ihm anbietet: „Lass uns doch wieder vertragen“, winkt er nur ab.

      Gegen 17 Uhr legt sich Paul Brauer auf das Sofa und schläft sogleich ein. Zwei Stunden später wacht er auf. Der 64-Jährige ahnt nicht, dass seine Frau inzwischen den Entschluss gefasst hat, ihn umzubringen. Sie hat im Rest Bier, der noch in der Flasche ist, Schlaftabletten aufgelöst. Nachdem sich Paul aufgesetzt hat, reicht sie ihm die Flasche mit dem „Elrodorm“. „Habe ich extra für dich aufgehoben.“ Der Mann trinkt die Neige auf einen Zug aus, schüttelt sich und sagt: „Schmeckt aber bitter.“ Minna Brauer antwortet: „Meins hat auch so bitter geschmeckt.“ Nach ein paar Minuten fallen dem 64-Jährigen die Augen zu. Er legt sich wieder hin und ist nach einer halben Stunde eingeschlafen.

      Darauf hat seine Ehefrau nur gewartet. Sie nimmt ihren grauen Seidenschal mit den roten Blüten und windet ihn ihrem Mann, der auf dem Rücken liegt, um den Hals. Sie macht vorne einen Knoten und zieht zu. Ein ersticktes Stöhnen ist die einzige Reaktion des Strangulierten. Sie hält die Schalenden etwa fünf Minuten fest. Paul Brauer regt sich nicht mehr.

      Sie löst den Schal vom Hals der Leiche und setzt sich an den Stubentisch. Sie bleibt die ganze Nacht wach. Hin und wieder geht sie durch die Wohnung. Am Morgen zieht sie den Toten vom Sofa und legt ihn in die Abstellkammer.

      Minna Brauer gibt auch zu, den angeblichen Brief ihres Mannes selbst geschrieben zu haben. Das Geständnis wird durch das Gutachten des Schriftsachverständigen der Bezirkspolizeibehörde untermauert. Er hat inzwischen Brief und Vergleichsschrift untersucht. Polizeioberleutnant Schönebein hatte neben dem Brief einen Fragebogen für Kampagnehelfer in der Landwirtschaft, den Minna Brauer ausgefüllt hat, und einige Schriftstücke mit der Handschrift ihres Ehemanns Paul Brauer zur Verfügung gehabt. Der Kriminaltechniker kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass der angeblich von Paul Brauer geschriebene Brief nicht mit den Originalschriftstücken des Mannes übereinstimmt. Zwar gebe es eine gewisse Ähnlichkeit in der Buchstabenformung, doch sei das lediglich durch die Schriftart begründet. Die Schrift des von Minna Brauer bei der Polizei geschriebenen Vergleichsbriefes stimme hingegen mit dem Brief überein. Besonders deutlich sei das am kleinen „a“ und in den Anfangszügen der Kleinbuchstaben „b“, „s“ und „w“ zu erkennen. Der Schriftexperte verweist auf zehn weitere individuelle Merkmale, die aufdecken, dass Minna Brauer den Brief gefälscht hat.

      Das Kreisgericht Haldensleben erlässt am späten Vormittag des 16. November wegen Mordverdachts Haftbefehl. Vor Haftrichter Mitzenheim gibt sie erneut zu, ihren Ehemann vorsätzlich getötet zu haben, weil sie eifersüchtig war. Anders als vor der Mordkommission sagt sie jetzt, dass sie bereits um 15 Uhr Schlaftabletten in der Apotheke besorgt habe, um den 64-Jährigen „einzuschläfern“, damit er sich nicht wehren könne. „Ich habe drei ‚Elrodorm‘ im Bier aufgelöst.“

      Sie habe geglaubt, die Tat würde nicht aufgedeckt, wenn sie erzählt, dass ihr Mann sie verlassen hat. „Zumal wir ja im Grenzgebiet wohnen.“

      Am selben Tag wird die Weferlinger Kellerleiche in Magdeburg geöffnet. Doch die Sektion allein ergibt wegen der „fortgeschrittenen Fäulnis mit teilweiser Autolyse (Selbstauflösung, B. K.) und beginnender Mumifikation“ keinerlei Anhaltspunkte für die Todesursache. Drosselmarken werden nicht gefunden. Ebenso wenig die für eine Drosselung charakteristischen, punktförmigen Blutungen in den Bindehäuten. Auch für eine vorausgegangene Vergiftung gibt es keine Beweise. Der Magen war leer.

      Am 17. November sitzt Minna Brauer zum zweiten Mal vor Polizeileutnant Kühnhardt. Es geht um einen Brief, den sie vor ihrer Festnahme an ihre Tochter in Gerbstedt im Kreis Hettstedt geschrieben, aber nicht abgeschickt hat. Einen „Abschiedsbrief“, wie sie sagt. Denn sie habe vorgehabt, sich umzubringen. Inhalt des weißen Umschlags seien 240 Mark und die Kohlenkarten für 1963 und 1964 gewesen.

      „Ich hatte eine größere Menge Schlaftabletten genommen und war gerade dabei, eine Marke auf den verschlossenen Umschlag zu kleben, da ist der ABV, Herr Litte, gekommen. Er wollte mit mir über meinen vermissten Mann sprechen.“

      Kühnhardt will wissen, wie oft sie noch die Rente ihres Mannes unrechtmäßig in Empfang genommen habe. „November und Dezember“, antwortet Minna Brauer. „Insgesamt 268 Mark.“ Sie bietet an, den Betrag mit den 240 Mark aus dem Brief und mit 20 Mark, die sie ihrer Nachbarin geliehen habe, an die Sozialversicherungskasse zurückzuzahlen.

      Dann fragt der Kriminalist noch einmal, wie viele Tabletten sie in dem restlichen Bier aufgelöst habe. „Drei“, so die Antwort.

      Die Staatsanwaltschaft hebt am 17. November die Beschlagnahmung der 240 Mark aus dem Umschlag auf, da das Geld aus einer strafbaren Handlung stammt, und überweist es an die Sozialversicherung.

      Am nächsten Tag geht ein Fernschreiben der Magdeburger Mordkommission an das Polizeikreisamt in Hettstedt. Darin wird angefragt, ob die Tochter der geständigen Mörderin als Zeugin vernommen werden kann – sie ist hochschwanger. „(…) ferner wird gebeten, ihr mitzuteilen, dass ihr Vater am 4. November verstorben ist und sich ihre Mutter in Untersuchungshaft befindet.“

      Hettstedter Kriminalisten unterrichten Isolde Sack* am 18. November über den Fall. Die 26-Jährige reagiert auf die Verhaftung der Mutter „sehr gelassen“, wie der Magdeburger Mordkommission in einem Antwortfernschreiben mitgeteilt wird.

      Am 5. Februar wird die junge Mutter in Magdeburg vernommen. Sie teilt Hauptmann Winter mit, dass sie in der letzten Zeit nur noch brieflichen Kontakt zur Mutter hatte. Zwei Jahre sei es her, dass sie Vater und Mutter das letzte Mal gesehen hat. Sie bestätigt, dass sich ihre Eltern „nie gut vertragen haben“. Beziehungen ihres Vaters zu anderen Frauen habe sie nie feststellen können. Dass der Vater vermisst wurde, habe ihr die Mutter nicht geschrieben.

      Am 10. Februar 1964 trifft das Gutachten der chemischen Untersuchung von Leber und Niere des Ermordeten vom Bezirkshygieneinstitut ein. Darin wird festgestellt, dass in beiden Organen Glutethimid nachgewiesen wurde; ein Wirkstoff, der sich in den Medikamenten „Elrodorm“ und „Doriden“ befindet. Eine mengenmäßige Bestimmung sei nicht möglich gewesen.

      Und noch ein Gutachten bekommt die Mordkommission am selben Tag auf den Tisch: Die nervenfachärztliche Untersuchung in der Medizinischen Akademie Magdeburg hat ergeben, dass bei Minna Brauer zwar „eine gewisse intellektuelle Minderbefähigung“ bestehe, diese schränke jedoch „die Fähigkeit der Angeschuldigten, das Gesetzwidrige ihrer Handlungsweise zu erkennen oder sich einer Erkenntnis entsprechend zu verhalten, nicht in erheblichem Maße ein“. Die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit müsse bejaht werden.

      Der Fall steht kurz vor seinem Abschluss und die Kripo ist bereits dabei, den Abschlussbericht aufzusetzen, da verlangt Minna Brauer, dass sie erneut gehört wird. Vor Staatsanwalt Kiehl widerruft sie am 15. Mai 1964 ihr Geständnis: „Ich habe das nur gesagt, weil ich Hermann Hoppe* nicht ins Gefängnis bringen wollte.“

      Hoppe wohne in Weferlingen und mit ihm habe sie 1941 ein halbes Jahr lang ein intimes Verhältnis gehabt. „Es muss im Jahr 1962 gewesen sein, da hat er mich gefragt, ob ich mich nicht von meinem Mann scheiden lassen und mit ihm zusammen sein will. Das habe ich abgelehnt.“ – „Dann mache ich das mit Zwang“, soll Hoppe daraufhin gesagt haben. Eines Tages 1963 habe er sie dann abgepasst, als sie gerade von der Mittagsschicht kam. „Er umarmte mich gleich und gab mir einen Kuss. Ich habe ihm eine Backpfeife gegeben. Doch er hat nur gelacht und gesagt: ‚Dich kriege ich doch noch.‘“

      Am 3. November 1963 habe Hoppe sie auf ihrem Weg zur Nachtschicht auf der Allerbrücke erneut abgefangen. „Heute komme ich das letzte Mal und die Folgen trägst du“, soll er gedroht haben. Auf diese Szene sei ihr Mann zugekommen. „Ich habe Hoppe darauf aufmerksam gemacht. Er hat sich auf sein Fahrrad gesetzt und ist weggefahren.“ Ihr Mann habe das von Weitem gesehen, habe sich umgedreht und sei gegangen.

      „Als ich am nächsten Morgen von der Schicht kam, hing mein Mann an einem Strick an der Türklinke. Auf dem Tisch stand ein Wasserglas. Daneben lagen drei leere Schachteln Schlaftabletten.“ Nachdem sie den Strick durchgeschnitten hatte, habe sie den Toten im Keller vergraben.

      Der Staatsanwalt will


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