Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz
der schon geschlafen hatte, hatte sich angezogen und sich mit dem Moped ins knapp 10 Kilometer entfernte Fleetmark aufgemacht.
Es ist kurz vor Mitternacht, als er im Gastraum des Lokals auf den Arzthelfer Müller* sowie seine Kollegen, Oberwachtmeister Peetz, Meister Michel und Polizeileutnant Drankmeister aus Salzwedel, sowie den Wirt Selm trifft. Die Leiche liegt mit einem Mantel zugedeckt auf dem Dielenboden. Drankmeister sagt zu Bierstedt: „Der Täter ist ein gewisser Buckow, Walter Buckow. Fahr mit den Genossen Michel und Peetz los und nehmt ihn fest.“
Die drei Polizisten fahren mit dem Polizei-Wartburg zur Wohnung des Verdächtigen in die Mühlenstraße. Doch da ist er nicht. Sie treffen nur die Schwiegermutter an. Sie erzählt, dass Buckow kurz zu Hause war.
Die Polizisten vermuten, dass sich der Gesuchte versteckt. Peetz und Michel durchsuchen das Haus. Als sie ihn nicht finden, sagt Peetz, dass er möglicherweise bei der Mutter ist.
Die Polizisten fahren mit dem Dienstfahrzeug in Richtung Dorfmitte. Als sie um die Kurve am Ortseingang biegen, ruft Peetz: „Anhalten! Da sind sie“, und deutet auf zwei Frauen und einen Mann, die im Scheinwerferlicht auftauchen und in Richtung Tierarztpraxis gehen. Wenige Meter später hält der Wartburg vor dem Trio an. Es sind Walter Buckow, seine Ehefrau Gerda und seine Mutter Anna. Michel springt als Erster aus dem Fahrzeug und sagt zu Walter Buckow: „Sie sind vorläufig festgenommen. Steigen Sie ein!“
Gerda Buckow fällt ihrem Mann um den Hals und auch seine Mutter gibt ihm einen Kuss. Dann setzt sich der 29-Jährige wortlos auf die Hinterbank. Peetz versucht derweil die beiden Frauen zu beruhigen. Er begleitet sie nach Hause. Dabei erfährt er, dass Anna Buckow die Tatwaffe in der Wohnung hat. Der Hauptwachtmeister stellt das Messer sicher.
Bierstedt und Michel bringen den Messerstecher ins Dienstzimmer des ABV. Dort wird Buckow durchsucht. Die Waffe wird nicht gefunden. „Wo ist das Messer?“, will Michel wissen. „Ich habe es meiner Mutter gegeben“, antwortet er. Dann will der Polizeimeister wissen, wie sich die Sache zugetragen hat. Er erfährt, dass Büntje Buckow nach einem Streit in der Konsumgaststätte am Hals gewürgt habe. „Ich habe dann einfach zugestochen“, so Buckow.
Kurz nach 1 Uhr beginnen die Ermittlungen am Tatort in und vor der Konsumgaststätte, die unweit vom Ortseingang aus Richtung Rademin liegt. Bis 3.30 Uhr wird dokumentiert, fotografiert und die erste Leichenschau durchgeführt. In einem Aschenbecher findet die Polizei den zerrissenen Schuldschein. Kurz darauf erlässt das Kreisgericht Salzwedel Haftbefehl wegen Totschlagsverdachts.
Gut vier Stunden später wird Buckow vernommen. Er schildert, wie er den Vortag verbracht und danach wie sich die Tat aus seiner Sicht zugetragen hat: „Nachdem wir rausgegangen waren, haben wir uns gleich weitergeprügelt.“ Dabei vergisst er nicht zu erwähnen, dass Büntje größer war und „körperlich überlegen“. Es sei dem Stendaler gelungen, ihn auf den Boden zu werfen. Dabei sei er „leicht mit dem Hinterkopf aufgeschlagen“. Büntje habe auf ihm gelegen. „Ich habe mich unterlegen gefühlt und mit meiner linken Hand in meine linke Hosentasche gegriffen. Ich zog mein Taschenmesser heraus.“ Er habe die Waffe mit seiner Faust umklammert und „zwei-, dreimal“ gegen die rechte Körperseite des 22-Jährigen gestochen. Büntje sei „schlapp geworden“. Er habe ihn von seinem Körper heruntergeschoben. Der Leblose sei auf dem Bauch liegen geblieben. Als er mitbekommen habe, dass Büntje tot ist, sei er nach Hause gelaufen.
Kripo-Hauptmann Winter von der Bezirksmordkommission, der das Verhör leitet, will von dem Fleetmarker wissen, warum er ein Messer bei sich hatte?
„Ich war vor zwei Jahren bei einem Tanzvergnügen schon mal in eine Schlägerei verwickelt“, so Buckow. Jugendliche von außerhalb hätten ihn zusammengeschlagen und dabei ihre Motorradschlüssel benutzt, die sie sich zwischen die Finger geklemmt hatten. „So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren. Darum habe ich seitdem immer das Messer bei mir.“
Er identifiziert das blutige Messer, das ihm vorgelegt wird, als sein Eigentum.
Dann macht ihn Winter auf einen Widerspruch in seiner Aussage aufmerksam: „Sie haben gesagt, dass Sie gegen die rechte Seite gestochen haben. Der Tote hat aber auch an anderen Stellen Verletzungen? Zum Beispiel an der linken Halsseite.“ Buckow darauf: „Ich möcht’ ja gern eine Erklärung abgeben, aber ich weiß nicht, wie es dazu kam.“
Das rechtsmedizinische Gutachten der Medizinischen Akademie Magdeburg sagt aus, dass Hans Büntje durch „Hirn- und Rückenmarklähmung bei Durchtrennung des Halsmarks nach Stichverletzung der Wirbelsäule“ gestorben ist. Der Stich sei sofort tödlich gewesen.
Oberarzt Dr. Friedrich Wolff und Assistenzärztin Dr. Margot Laufer haben bei der Leichenöffnung jedoch zwei Stichverletzungen festgestellt. Zuerst sei der 22-Jährige in den Brustkorb getroffen worden. Diese Verletzung hätte allerdings „erst nach relativ langer Zeit durch Verbluten zum Tode geführt“ und die Handlungsfähigkeit „zunächst kaum oder nicht wesentlich beeinträchtigt“. Beide Stiche seien „mit erheblicher Kraft und Wucht geführt worden. Zeitlich müssen sie kurz hintereinander erfolgt sein.“
Am 16. Januar 1963 wird Walter Buckow im Salzwedeler Untersuchungsgefängnis „nachvernommen“. Er bleibt dabei, dass er sich an Einzelheiten der Tat nicht erinnern könne. „Ich war betrunken. Und bei mir ist es eigentümlich. Wenn ich viel getrunken habe, sieht man mir das äußerlich und körperlich nicht an. Aber der Alkohol steigt mir direkt in den Kopf, und ich kann dann nicht mehr klar denken.“
Doch Vernehmer Leutnant Krüger lässt sich damit nicht abspeisen. Er fragt wieder und wieder. Und die Erinnerung scheint bei dem Lagerarbeiter dann doch noch stellenweise aufzublitzen. Allerdings weicht die Schilderung der Tat erheblich von der aus seiner ersten Vernehmung ab. „Draußen habe ich von Büntje Stöße vor die Brust bekommen und bin nach hinten umgefallen. Büntje hat sich links neben mich gekniet und drückte mich mit der rechten Hand am Hals nieder. Mit der anderen Faust schlug er mich.“
Der Angeklagte habe versucht, mit der rechten Hand sein Gesicht zu schützen und mit der linken das Taschenmesser herausgeholt. Das habe er erst „mit Daumen und Zeigefinger etwas geöffnet und dann an seinem Stiefel ganz“. Davon, dass der Stendaler angeblich auf ihm gelegen hat, ist nun keine Rede mehr.
Buckow räumt ein, dass „keine Gefahr für sein Leib und Leben bestanden“ habe. Doch erzählt er nun, dass es nach den ersten Stichen „einen erbitterten Kampf um das Messer gegeben“ habe. Dabei sei es zu dem tödlichen Halsstich gekommen.
Aufgrund der unglaubhaften Aussagen setzt der Kreisstaatsanwalt in der Untersuchungshaftanstalt Salzwedel eine Tatrekonstruktion an. Dabei muss sich Buckow auf die Erde legen und Kripo-Leutnant Krüger übernimmt die Rolle des Opfers. Und schon als der Tatverdächtige auf die von ihm beschriebene Weise das Messer aus der Tasche nehmen und es öffnen soll, ergeben sich Widersprüche. Aufgrund seiner kurzen Arme ist es Buckow kaum möglich, das Messer aus der Tasche zu ziehen und im Liegen zu öffnen. Als er die Messerstiche andeuten soll, wird deutlich, dass er in dieser Lage gar nicht an sein Opfer herangekommen wäre. Ein Stich in den Hals ist ausgeschlossen.
Am 18. Januar wendet sich Buckow an den Leiter des Salzwedeler Untersuchungsgefängnisses, Polizeimeister Schwarz. Er bittet um eine Unterredung mit der Kripo. Er wolle „zu seiner Straftat etwas richtig stellen“. Er sei bereit, „ein volles Geständnis abzulegen“.
„Ich habe mein Messer schon im Hausflur gezogen“, sagt er Schwarz. „Büntje ist gar nicht dazu gekommen, nur ein Wort zu sagen. Nachdem er den ersten Stich in die Rippen gekriegt hat, hat er sich nach vorn gekrümmt. In dem Moment habe ich nochmal zugestochen.“
Zwei Tage später wird der Fleetmarker erneut aus der Zelle zum Verhör gebracht. Zum dritten Mal schildert er die Tat und zum dritten Mal anders. Im Stehen sei es zu der Auseinandersetzung gekommen, nachdem Büntje ihn an der Jacke gehalten und gesagt habe: „Was willst du denn?“ – „Ich habe ihn weggestoßen und bekam so die Hände frei.“ Er habe mit der rechten Hand den Angreifer auf Distanz gehalten, mit der linken zum Messer gegriffen und „sofort heftig und mit voller Wucht gegen die rechte Körperseite Büntjes zugestoßen“. Als dieser danach mit dem Kopf etwas nach unten gekommen sei, habe er ein viertes Mal zugestochen.
Doch